„Krebsfreie Zonen im Kopf schaffen“
Psychologische Nachbetreuung. Ängste vor Kontrollen, Depressionen, Schlafstörungen und Panik bei jeder neuen Krankheit: Eine Krebserkrankung ist mit dem Therapieende nicht vorbei.
Den Moment, in dem die Diagnose Krebs mitgeteilt wird, wird kaum ein Betroffener vergessen: Viele beschreiben es als Gefühl, als würde sich der Boden unter einem öffnen. So abrupt, wie die schwere Reise beginnt, endet sie aber nicht. Denn auch wenn die Operation und möglicherweise anschließende Chemo- oder Strahlentherapie überstanden und die Prognose gut ist, dauert es oft noch Jahre, bis die psychischen Folgen verarbeitet sind. „Rund ein Drittel aller Krebspatienten müssen danach mit Depressionen und Angststörungen leben“, berichtet Gaby Sonnbichler, Geschäftsführerin der Österreichischen Krebshilfe. Besonders groß sei die Angst vor einem Wiederauftreten bei Patienten mit Metastasen, die wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebe. Aber auch für Erkrankte mit weniger schweren Verläufen gehören psychologische Folgen wie chronische Müdigkeit, Haarausfall und Konzentrationsstörungen häufig zum Leben danach. Für eine noch wesentlich größere Gruppe auch Ängste vor den noch lang folgenden Kontrolluntersuchungen oder Panikattacken beim Auftreten anderer Erkrankungen, die durch den Krebsfilter wahrgenommen und als potenzielle Neuerkrankung eingeordnet werden – etwa geschwollene Lymphknoten bei einer schlichten Verkühlung.
Ängste völlig normal
Und während in der Zeit der aktiven Behandlung sowohl der Erkrankte als auch das Umfeld bis zu einem gewissen Maß bereit sind, die emotionalen Belastungen zu akzeptieren, Geduld zu haben und im Falle des Umfelds auch Rücksicht zu nehmen und zu trösten, lässt diese Bereitschaft irgendwann nach. „Viele glauben, der letzte Tag der Therapie ist auch der erste Tag des Wohlbefindens, dem ist aber nicht so“, weiß Karin Isak, klinische Psychologin und Psychoonkologin, die seit über 20 Jahren Patienten auf diesem Weg begleitet. „Gerade Frauen neigen dann zu Schuldgefühlen, weil sie sofort wieder voll für ihre Familie oder den Arbeitgeber da sein wollen.“Was aber aus fachlicher Sicht unberechtigt ist: „Eine Krebserkrankung ist ein schwerwiegendes Ereignis, es ist völlig normal, darauf mit Ängsten und Unsicherheiten zu reagieren – das ist nichts Pathologisches“, beruhigt die Psychologin Betroffene, die damit hadern, dass sie nicht gleich wieder „die Alten“sind. Weshalb auch eine medikamentöse Unterstützung – etwa vor Kontrolluntersuchungen – zur Beruhigung eine sinnvolle Maßnahme sein kann, so sie unter ärztlicher Aufsicht stattfindet.
Überhaupt sei es wichtig, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht, „oft passiert das ein bisschen zu spät“, sagt Isak. „Weil die Betroffenen denken: ,Das schaff ich schon noch, das geht schon noch.‘“Spätestens, wenn die Ängste zu Schlafstörungen, dauerhaftem Grübeln, ständiger Angst und Müdigkeit führen, sei es an der Zeit, sich Hilfe zu holen. Die es unter anderem auch bei der Krebshilfe gibt, wie Sonnbichler berichtet:
„Bis zu zehn Therapiestunden können wir Betroffenen kostenlos anbieten.“Wobei ein finanzieller Beitrag dankbar angenommen wird, da sich die Krebshilfe ausschließlich durch Spenden finanziert. Aber auch niedergelassene Psychologen oder Psychoonkologen können bei der Bewältigung der „Nachwehen“helfen.
Gegen den Kloß im Hals
Denn mit entsprechender Unterstützung lässt sich vieles lernen, was das Leben nach der Diagnose leichter macht. „Ängste begleiten alle“, betont Isak, „daher ist es wichtig, darüber zu sprechen.“Das kann mit einer Vertrauensperson sein, in einer Selbsthilfe-Gruppe oder Gruppentherapie – was am besten hilft, hängt ganz von der Persönlichkeit ab. Allein darüber zu reden sorge dafür, „dass man keinen Kloß mehr im Hals hat“, so Isak. Bei den Ängsten vor der nächsten Kontrolluntersuchung können auch Entspannungstechniken wie Atemübungen, Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung helfen. „Diese sind vor allem bei der sogenannten Progredienzangst – der Furcht, dass die Krankheit zurückkommt oder sich verschlimmert – hilfreich“, weiß die Psychoonkologin.
Andere Ängste, etwa die Furcht, den Arbeitsplatz zu verlieren, oder dass der Partner der Belastung dauerhaft nicht gewachsen ist, kommen häufig hinzu – was dazu führen kann, dass die Betroffenen aus dem Grübeln und Fürchten gar nicht mehr herauskommen. „Da ist es wichtig zu lernen, diese Gedankenkreise zu stoppen. Etwa, indem man auch räumlich Orte schafft, an denen diese Ängste verbannt werden“, rät Isak. Das könne etwa das Badezimmer sein, das als „krebsfreier“Raum definiert wird, in dem man sich ein Bad einlässt, sich mit guten Düften entspannt und schwere Gedanken aktiv gegen schöne eintauscht. Oder für eine gewisse Zeitspanne – einen Tag oder ein paar Stunden – eine „krebsfreie Zone im Kopf“zu schaffen.
Allerdings dürfe man sich nicht der Illusion hingeben, dass man seine Gefühle in einen „Kasten packen und einen Deckel darauf geben kann“, betont die Psychologin. Weshalb es sinnvoll sei, den eigenen Befürchtungen an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit den angemessenen Raum zu geben – „aber dann das Buch auch wieder zuzuklappen“, so Isak.