Covid: Bedrohung und möglicher Wegbereiter
Das Covid-19-Virus ist für Krebspatienten eine besondere Gefahr, und die Pandemie hatte auch negative Auswirkungen auf die Vorsorge. Die Entwicklung des Impfstoffs gibt aber doppelt Anlass zur Hoffnung.
Die Auswirkungen der Covid-Pandemie waren im Frühjahr und Herbst unterschiedlich, berichtet Wolfgang Hilbe, Vorstand der Österreichischen Onkologischen Gesellschaft und Leiter der Abteilung für Onkologie und Hämatologie an der Klinik Ottakring in Wien. Im ersten Lockdown habe man noch gehofft, man könne sechs Wochen lang „durchtauchen“. Die Krankenhäuser haben sich abgeschottet, die Vorsorge lag – auch wegen Mangel an Schutzkleidung im niedergelassenen Bereich – am Boden. Im zweiten Lockdown habe der Zugang deutlich besser funktioniert.
Zu den Auswirkungen gibt es Zahlen aus den USA. Dort sind in der Pandemie die Diagnosen für verschiedene Krebsarten im Schnitt um 46 Prozent zurückgegangen. Rein rechnerisch wird je nach Krebstyp eine Zunahme der Sterblichkeit zwischen sechs und sechzehn Prozent befürchtet. Auch in Österreich wurde laut einer Umfrage unter verschiedenen Fachgesellschaften im ersten Lockdown etwa ein Drittel weniger Krebserkrankungen diagnostiziert, vor allem wegen schlechterem Zugang zur Vorsorge und Verzögerungen bei diagnostischen Leistungen. In Folge war laut Richard Greil, Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin III, Uniklinikum Salzburg, bis in den Sommer hinein ein bis zu 50-prozentiger Rückgang der neu angemeldeten
Brust- oder Darmkrebsoperationen feststellbar. Für einzelne Patienten könne dies dramatische Folgen haben, meint Hilbe. Wobei die Experten schätzen, dass die Auswirkungen für Österreich insgesamt günstiger ausfallen, etwa weil Krebsoperationen, anders als in GB oder den USA, als Notfalloperationen eingestuft und weiter durchgeführt wurden.
Behandlungen nur angepasst
Im Gegensatz zur Vorsorge sei die Behandlung von bereits diagnostizierten Krebspatienten nicht beeinträchtigt gewesen, betonen die Experten. Allerdings wurden – wo möglich – Therapieoptionen mit weniger Kontakt gewählt, beispielsweise Chemotherapien vermehrt ambulant verabreicht, bei Strahlentherapien auf Schemata mit weniger, aber intensiveren Bestrahlungen umgestellt. Auch konnte oft durch den Start der Chemotherapie vor der Operation der OP-Termin nach hinten geschoben werden. „Die Therapien müssen jedenfalls fortgesetzt werden“, sagt Hilbe. Bezüglich der Angst, sich im Krankenhaus zu infizieren, gibt er zu bedenken, dass bei Krebs eine Verzögerung von Diagnose und Therapie ein erhebliches Lebensrisiko birgt.
Inwieweit das Risiko eines schweren Covid-Verlaufs für Krebskranke erhöht ist, hängt davon ab, wie gut der Krebs unter Kontrolle ist. Statistisch seien andere Risikofaktoren wie Alter oder andere Begleiterkrankungen für den Covid-Verlauf entscheidender, sagt Hilbe. Besonders gefährdet sind Patienten, die bereits aufgrund der Krebserkrankung Atemprobleme haben, oder Krebspatienten mit hämatologischen Erkrankungen, ergänzt Greil. Zudem sei das Immunsystem sowohl durch die Erkrankung selbst als auch durch Chemo- oder Immunologische Therapien geschwächt.
Entsprechend empfehlen die Experten einhellig die CovidImpfung, die für Krebspatienten als Hochrisikogruppe besonders dringlich sei. Es bestehe keine erhöhte Gefahr von Nebenwirkungen, schlimmstenfalls sei es möglich, dass die Impfung aufgrund des beeinträchtigten Immunsystems nicht so gut wirkt, erklärt Hilbe. Die Immunisierung von Krebspatienten ist auch aus epidemiologischer Sicht vordringlich. „In diesen Patienten ist das Virus meist lang aktiv, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit einer Mutation erhöht“, erklärt Greil.
Bei aller Problematik sehen die Experten auch positive Aspekte, insbesondere Impulse für künftige Krebstherapien. Die mRNA-Technologie von Biontech wurde eigentlich für individuell angepasste Immunterapien gegen Krebs entwickelt und aufgrund der Pandemie für die Entwicklung einer Impfung genutzt. Die dabei gesammelten Erfahrungen, insbesondere in der Produktion, könnten auch die Anwendung der mRNA-Technologie in der Krebstherapie vorantreiben, sagt Hilbe, der durch an individuelle Tumormerkmale angepasste Impfstoffe einen Durchbruch erhofft, insbesondere bei der Verhinderung von Rezidiven.
Forschung und Digitalisierung
Auch Greil sieht in den offenkundig gewordenen Synergien von Infektologie und Immuntherapie bei Krebs großes Potenzial. Zudem hofft er auf forschungspolitische Impulse, so habe sich die Leistungsfähigkeit von Public-PrivatePartnerschaften gezeigt. Diese könnten auch die Entwicklung auf dem Gebiet seltener Krebserkrankungen vorantreiben, die aus wirtschaftlichen Gründen vernachlässigt wird. Seltene Krebserkrankungen sind zusammengenommen mit 20 bis 22 Prozent die größte Gruppe, gibt Greil zu bedenken.
Last but not least hat die Pandemie auch einen – laut den Experten längt überfälligen – Schub in der Digitalisierung gebracht. Hilbe nennt als Beispiel die webbasierte Zusammenarbeit von TumorBoards und die Vernetzung verschiedener Einrichtungen. „Nicht der Patient soll wandern, sondern der Befund.“