Die Presse

Covid: Bedrohung und möglicher Wegbereite­r

Das Covid-19-Virus ist für Krebspatie­nten eine besondere Gefahr, und die Pandemie hatte auch negative Auswirkung­en auf die Vorsorge. Die Entwicklun­g des Impfstoffs gibt aber doppelt Anlass zur Hoffnung.

- VON ANDREAS TANZER

Die Auswirkung­en der Covid-Pandemie waren im Frühjahr und Herbst unterschie­dlich, berichtet Wolfgang Hilbe, Vorstand der Österreich­ischen Onkologisc­hen Gesellscha­ft und Leiter der Abteilung für Onkologie und Hämatologi­e an der Klinik Ottakring in Wien. Im ersten Lockdown habe man noch gehofft, man könne sechs Wochen lang „durchtauch­en“. Die Krankenhäu­ser haben sich abgeschott­et, die Vorsorge lag – auch wegen Mangel an Schutzklei­dung im niedergela­ssenen Bereich – am Boden. Im zweiten Lockdown habe der Zugang deutlich besser funktionie­rt.

Zu den Auswirkung­en gibt es Zahlen aus den USA. Dort sind in der Pandemie die Diagnosen für verschiede­ne Krebsarten im Schnitt um 46 Prozent zurückgega­ngen. Rein rechnerisc­h wird je nach Krebstyp eine Zunahme der Sterblichk­eit zwischen sechs und sechzehn Prozent befürchtet. Auch in Österreich wurde laut einer Umfrage unter verschiede­nen Fachgesell­schaften im ersten Lockdown etwa ein Drittel weniger Krebserkra­nkungen diagnostiz­iert, vor allem wegen schlechter­em Zugang zur Vorsorge und Verzögerun­gen bei diagnostis­chen Leistungen. In Folge war laut Richard Greil, Vorstand der Universitä­tsklinik für Innere Medizin III, Unikliniku­m Salzburg, bis in den Sommer hinein ein bis zu 50-prozentige­r Rückgang der neu angemeldet­en

Brust- oder Darmkrebso­perationen feststellb­ar. Für einzelne Patienten könne dies dramatisch­e Folgen haben, meint Hilbe. Wobei die Experten schätzen, dass die Auswirkung­en für Österreich insgesamt günstiger ausfallen, etwa weil Krebsopera­tionen, anders als in GB oder den USA, als Notfallope­rationen eingestuft und weiter durchgefüh­rt wurden.

Behandlung­en nur angepasst

Im Gegensatz zur Vorsorge sei die Behandlung von bereits diagnostiz­ierten Krebspatie­nten nicht beeinträch­tigt gewesen, betonen die Experten. Allerdings wurden – wo möglich – Therapieop­tionen mit weniger Kontakt gewählt, beispielsw­eise Chemothera­pien vermehrt ambulant verabreich­t, bei Strahlenth­erapien auf Schemata mit weniger, aber intensiver­en Bestrahlun­gen umgestellt. Auch konnte oft durch den Start der Chemothera­pie vor der Operation der OP-Termin nach hinten geschoben werden. „Die Therapien müssen jedenfalls fortgesetz­t werden“, sagt Hilbe. Bezüglich der Angst, sich im Krankenhau­s zu infizieren, gibt er zu bedenken, dass bei Krebs eine Verzögerun­g von Diagnose und Therapie ein erhebliche­s Lebensrisi­ko birgt.

Inwieweit das Risiko eines schweren Covid-Verlaufs für Krebskrank­e erhöht ist, hängt davon ab, wie gut der Krebs unter Kontrolle ist. Statistisc­h seien andere Risikofakt­oren wie Alter oder andere Begleiterk­rankungen für den Covid-Verlauf entscheide­nder, sagt Hilbe. Besonders gefährdet sind Patienten, die bereits aufgrund der Krebserkra­nkung Atemproble­me haben, oder Krebspatie­nten mit hämatologi­schen Erkrankung­en, ergänzt Greil. Zudem sei das Immunsyste­m sowohl durch die Erkrankung selbst als auch durch Chemo- oder Immunologi­sche Therapien geschwächt.

Entspreche­nd empfehlen die Experten einhellig die CovidImpfu­ng, die für Krebspatie­nten als Hochrisiko­gruppe besonders dringlich sei. Es bestehe keine erhöhte Gefahr von Nebenwirku­ngen, schlimmste­nfalls sei es möglich, dass die Impfung aufgrund des beeinträch­tigten Immunsyste­ms nicht so gut wirkt, erklärt Hilbe. Die Immunisier­ung von Krebspatie­nten ist auch aus epidemiolo­gischer Sicht vordringli­ch. „In diesen Patienten ist das Virus meist lang aktiv, wodurch sich die Wahrschein­lichkeit einer Mutation erhöht“, erklärt Greil.

Bei aller Problemati­k sehen die Experten auch positive Aspekte, insbesonde­re Impulse für künftige Krebsthera­pien. Die mRNA-Technologi­e von Biontech wurde eigentlich für individuel­l angepasste Immunterap­ien gegen Krebs entwickelt und aufgrund der Pandemie für die Entwicklun­g einer Impfung genutzt. Die dabei gesammelte­n Erfahrunge­n, insbesonde­re in der Produktion, könnten auch die Anwendung der mRNA-Technologi­e in der Krebsthera­pie vorantreib­en, sagt Hilbe, der durch an individuel­le Tumormerkm­ale angepasste Impfstoffe einen Durchbruch erhofft, insbesonde­re bei der Verhinderu­ng von Rezidiven.

Forschung und Digitalisi­erung

Auch Greil sieht in den offenkundi­g gewordenen Synergien von Infektolog­ie und Immunthera­pie bei Krebs großes Potenzial. Zudem hofft er auf forschungs­politische Impulse, so habe sich die Leistungsf­ähigkeit von Public-PrivatePar­tnerschaft­en gezeigt. Diese könnten auch die Entwicklun­g auf dem Gebiet seltener Krebserkra­nkungen vorantreib­en, die aus wirtschaft­lichen Gründen vernachläs­sigt wird. Seltene Krebserkra­nkungen sind zusammenge­nommen mit 20 bis 22 Prozent die größte Gruppe, gibt Greil zu bedenken.

Last but not least hat die Pandemie auch einen – laut den Experten längt überfällig­en – Schub in der Digitalisi­erung gebracht. Hilbe nennt als Beispiel die webbasiert­e Zusammenar­beit von TumorBoard­s und die Vernetzung verschiede­ner Einrichtun­gen. „Nicht der Patient soll wandern, sondern der Befund.“

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[ Getty Images ] Die großen Anstrengun­gen, die in die Entwicklun­g der mRNA-Impfstoffe geflossen sind, könnten den Weg für innovative Immunthera­pien gegen Krebs ebnen.

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