Warten auf neuen Rettungsanker für Firmen
Restrukturierungen. Ein neues Verfahren soll in Schieflage geratenen, aber überlebensfähigen Unternehmen den Fortbestand erleichtern. Gerade jetzt wäre das wichtiger denn je – der Gesetzesentwurf liegt jedoch auf Eis.
wien. Was wird passieren, wenn die gesetzlichen Moratorien jetzt schrittweise enden? Während weite Teile der Wirtschaft noch im Lockdown feststecken oder bestenfalls kleine Öffnungsschritte wagen dürfen? „Ich erwarte keinen PleiteTsunami“, sagte Ricardo-Jose´ Vybiral, Chef des Kreditschutzverbandes, kürzlich zur „Presse“. Banken werden weiterhin Kreditforderungen stunden. Und auch Krankenkasse und Finanzamt werden weniger geneigt sein als sonst, Firmen in die Insolvenz zu schicken.
Denn Fiskus und Sozialversicherung sind – wie berichtet – bei coronabedingten Ratenvereinbarungen als Gläubiger privilegiert: Zahlungen bis Ende Juni 2022 kann der Insolvenzverwalter von ihnen nicht zurückverlangen, sollte das Unternehmen doch noch pleitegehen. Unter Juristen ist das umstritten: Einerseits verschafft es von der Krise gebeutelten Unternehmen eine Schonfrist, das ist ein starkes Argument dafür. Andererseits bedeutet es eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Gläubigern. Und das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Mit einem Musterprozess sei früher oder später zu rechnen, sagt Alexander Isola, Leiter der Praxisgruppe Insolvenz und Sanierung in der Kanzlei Graf und Pitkowitz. „Und unter Umständen auch mit einem Anstieg von Insolvenzanträgen anderer Gläubiger, wie Lieferanten oder Banken.“
Aber das ist nicht das einzige Risiko: „Es wird dazu führen, dass sich viele Abgabenschuldner in falscher Sicherheit wiegen“, warnt Rechtsanwalt Eberhard Wallentin. Auf die erste Ratenzahlungsphase folgt noch eine „Phase 2“bis 31. März 2024, in der man weiterhin bei Finanz und Sozialversicherung auf Zahlungsaufschub hoffen kann. Aber dennoch bestehen diese Forderungen weiter, sie hängen wie ein Damoklesschwert über den Unternehmen. Und irgendwann werden sie fällig.
Hat es der Schuldner bis dahin nicht geschafft, sich wirklich wirtschaftlich zu erholen, „kann das allzu leicht zu einer Haftung wegen Insolvenzverschleppung führen“, warnt Wallentin, sogar strafrechtliche Folgen seien möglich. Insbesondere gelte das für Geschäftsführer bzw. Vorstände einer GmbH oder AG: „Sie setzen sich einem nicht unbeträchtlichen Haftungsrisiko aus, wenn sie nicht rechtzeitig ein Insolvenzverfahren einleiten.“Sein Fazit: Eine rechtzeitige Insolvenzeröffnung sei „immer noch das Beste. Nicht nur haftungsrechtlich, sondern auch im Hinblick auf eine geordnete Entschuldung.“
Entwurf in der Schublade
Ähnlich sehen es Isola und seine Kanzleikollegen Stefan Weileder und David Seidl. Sie warnen ebenfalls vor nicht unbeträchtlichen Haftungsrisken für Geschäftsführer und Vorstände. Denn sogar jetzt, solange noch die Covid-Sonderregeln gelten, muss bei Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzantrag gestellt werden. Insofern könne der gesetzliche Anfechtungsausschluss sogar zum „Bärendienst“an Geschäftsleitern werden, warnen die Sanierungsexperten. „Noch unverständlicher“sei jedoch etwas anderes: „Dass der Gesetzgeber die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen offenbar bis zur letzten Sekunde hinausschiebt.“
Konkret geht es dabei um eine neue Restrukturierungsordnung, die zum Rettungsanker für krisengebeutelte, aber an sich überlebensfähige Unternehmen werden könnte. Die Umsetzungsfrist für die Richtlinie (EU 2019/1023) endet am 17. Juli 2021, in Deutschland gibt es seit Dezember ein Umsetzungsgesetz. „Auch in Österreich liegt längst ein Gesetzesentwurf vor, aber offenbar hakt es am politischen Willen“, sagt Isola.
Woran das liegt, kann nur gemutmaßt werden – immerhin ist das Gesetz Teil des längst überfälligen Insolvenzrechtsreformpakets. Und bei diesem gibt es bekanntlich einen strittigen Punkt – die Entschuldungsdauer bei Privatinsolvenzen, konkret ihre mögliche Verkürzung von fünf auf drei Jahre.
Einigung mit Gläubigerklassen
Aber was genau hätte die Wirtschaft von dem neuen Restrukturierungsverfahren? „Es eröffnet für Unternehmer ganz neue Möglichkeiten“, erklärt Weileder. „Zum Beispiel kann es auch als nicht öffentliches Verfahren abgehandelt werden. Darüber hinaus kann sich der Unternehmer darin auf bestimmte Gläubigerklassen, etwa Bankengläubiger oder Kreditversicherer, beschränken.“Betriebsnotwendige Lieferanten oder die Dienstnehmer müssen somit nicht mehr zwingend ebenfalls eingebunden werden.
Insofern ähnelt es einer außergerichtlichen Restrukturierung – allerdings „verbunden mit den Möglichkeiten eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens“, sagt Weileder. Insbesondere kann innerhalb der jeweiligen Gläubigerklasse z. B. über einen Schuldenschnitt abgestimmt werden – ein Beschluss mit qualifizierter Mehrheit ist dann für alle bindend. Auch anfechtungsfeste Finanzierungen sollen möglich werden. Damit würden z. B. finanzierende Banken den derzeit begünstigten Abgabengläubigern gleichgestellt.
Vieles ist dabei durch Unionsrecht vorgegeben, es bleibt aber noch Spielraum für den nationalen Gesetzgeber. „Wichtig wäre es zum Beispiel, ein für alle Mal klarzustellen, dass sich auch die Sozialversicherungsbeitragsgläubiger an einer gerichtlichen Restrukturierung beteiligen können und sollen“, sagt Seidl. Bislang werde das abgelehnt, und daran können Sanierungspläne scheitern. „Aufgrund der oft hohen Beitragsrückstände verfügen die Beitragsgläubiger nämlich oft über Sperrminoritäten.“
Auch innovative Restrukturierungsmaßnahmen sollten aus Sicht der Experten im Gesetz verankert werden. Etwa die Umwandlung von Forderungen eines Gläubigers in eine Beteiligung (Debt-EquitySwap) oder die sogenannte Sanierungsspaltung, bei der gewinnbringende Unternehmensteile verkauft werden und das Unternehmen so zu Geldmitteln kommt. „Mit der Richtlinienumsetzung ist es wie mit den Impfungen: Viele brauchen sie dringend, es sollte alles für die rasche Durchführung getan werden“, sagt Isola. Denn das neue Verfahren könnte gerade jenen Unternehmen zugutekommen, „die unter normalen Umständen positiv wirtschaften würden, aber covidbedingt unverschuldet in Schieflage geraten sind“.
Voraussetzung für die Restrukturierung wird es denn auch sein, dass das Unternehmen immer noch zahlungsfähig ist. Eine Überschuldung darf zwar vorliegen, die Fortbestehensprognose muss aber – unter Einbeziehung der geplanten Restrukturierungsmaßnahmen – positiv sein. Und wenn nicht? Dann bleibt letzten Endes doch nur der Weg in die Insolvenz.