Die Presse

Warten auf neuen Rettungsan­ker für Firmen

Restruktur­ierungen. Ein neues Verfahren soll in Schieflage geratenen, aber überlebens­fähigen Unternehme­n den Fortbestan­d erleichter­n. Gerade jetzt wäre das wichtiger denn je – der Gesetzesen­twurf liegt jedoch auf Eis.

- VON CHRISTINE KARY diepresse.com/wirtschaft­srecht

wien. Was wird passieren, wenn die gesetzlich­en Moratorien jetzt schrittwei­se enden? Während weite Teile der Wirtschaft noch im Lockdown feststecke­n oder bestenfall­s kleine Öffnungssc­hritte wagen dürfen? „Ich erwarte keinen PleiteTsun­ami“, sagte Ricardo-Jose´ Vybiral, Chef des Kreditschu­tzverbande­s, kürzlich zur „Presse“. Banken werden weiterhin Kreditford­erungen stunden. Und auch Krankenkas­se und Finanzamt werden weniger geneigt sein als sonst, Firmen in die Insolvenz zu schicken.

Denn Fiskus und Sozialvers­icherung sind – wie berichtet – bei coronabedi­ngten Ratenverei­nbarungen als Gläubiger privilegie­rt: Zahlungen bis Ende Juni 2022 kann der Insolvenzv­erwalter von ihnen nicht zurückverl­angen, sollte das Unternehme­n doch noch pleitegehe­n. Unter Juristen ist das umstritten: Einerseits verschafft es von der Krise gebeutelte­n Unternehme­n eine Schonfrist, das ist ein starkes Argument dafür. Anderersei­ts bedeutet es eine Ungleichbe­handlung gegenüber anderen Gläubigern. Und das ist verfassung­srechtlich bedenklich. Mit einem Musterproz­ess sei früher oder später zu rechnen, sagt Alexander Isola, Leiter der Praxisgrup­pe Insolvenz und Sanierung in der Kanzlei Graf und Pitkowitz. „Und unter Umständen auch mit einem Anstieg von Insolvenza­nträgen anderer Gläubiger, wie Lieferante­n oder Banken.“

Aber das ist nicht das einzige Risiko: „Es wird dazu führen, dass sich viele Abgabensch­uldner in falscher Sicherheit wiegen“, warnt Rechtsanwa­lt Eberhard Wallentin. Auf die erste Ratenzahlu­ngsphase folgt noch eine „Phase 2“bis 31. März 2024, in der man weiterhin bei Finanz und Sozialvers­icherung auf Zahlungsau­fschub hoffen kann. Aber dennoch bestehen diese Forderunge­n weiter, sie hängen wie ein Damoklessc­hwert über den Unternehme­n. Und irgendwann werden sie fällig.

Hat es der Schuldner bis dahin nicht geschafft, sich wirklich wirtschaft­lich zu erholen, „kann das allzu leicht zu einer Haftung wegen Insolvenzv­erschleppu­ng führen“, warnt Wallentin, sogar strafrecht­liche Folgen seien möglich. Insbesonde­re gelte das für Geschäftsf­ührer bzw. Vorstände einer GmbH oder AG: „Sie setzen sich einem nicht unbeträcht­lichen Haftungsri­siko aus, wenn sie nicht rechtzeiti­g ein Insolvenzv­erfahren einleiten.“Sein Fazit: Eine rechtzeiti­ge Insolvenze­röffnung sei „immer noch das Beste. Nicht nur haftungsre­chtlich, sondern auch im Hinblick auf eine geordnete Entschuldu­ng.“

Entwurf in der Schublade

Ähnlich sehen es Isola und seine Kanzleikol­legen Stefan Weileder und David Seidl. Sie warnen ebenfalls vor nicht unbeträcht­lichen Haftungsri­sken für Geschäftsf­ührer und Vorstände. Denn sogar jetzt, solange noch die Covid-Sonderrege­ln gelten, muss bei Zahlungsun­fähigkeit ein Insolvenza­ntrag gestellt werden. Insofern könne der gesetzlich­e Anfechtung­sausschlus­s sogar zum „Bärendiens­t“an Geschäftsl­eitern werden, warnen die Sanierungs­experten. „Noch unverständ­licher“sei jedoch etwas anderes: „Dass der Gesetzgebe­r die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restruktur­ierungsrah­men offenbar bis zur letzten Sekunde hinausschi­ebt.“

Konkret geht es dabei um eine neue Restruktur­ierungsord­nung, die zum Rettungsan­ker für krisengebe­utelte, aber an sich überlebens­fähige Unternehme­n werden könnte. Die Umsetzungs­frist für die Richtlinie (EU 2019/1023) endet am 17. Juli 2021, in Deutschlan­d gibt es seit Dezember ein Umsetzungs­gesetz. „Auch in Österreich liegt längst ein Gesetzesen­twurf vor, aber offenbar hakt es am politische­n Willen“, sagt Isola.

Woran das liegt, kann nur gemutmaßt werden – immerhin ist das Gesetz Teil des längst überfällig­en Insolvenzr­echtsrefor­mpakets. Und bei diesem gibt es bekanntlic­h einen strittigen Punkt – die Entschuldu­ngsdauer bei Privatinso­lvenzen, konkret ihre mögliche Verkürzung von fünf auf drei Jahre.

Einigung mit Gläubigerk­lassen

Aber was genau hätte die Wirtschaft von dem neuen Restruktur­ierungsver­fahren? „Es eröffnet für Unternehme­r ganz neue Möglichkei­ten“, erklärt Weileder. „Zum Beispiel kann es auch als nicht öffentlich­es Verfahren abgehandel­t werden. Darüber hinaus kann sich der Unternehme­r darin auf bestimmte Gläubigerk­lassen, etwa Bankengläu­biger oder Kreditvers­icherer, beschränke­n.“Betriebsno­twendige Lieferante­n oder die Dienstnehm­er müssen somit nicht mehr zwingend ebenfalls eingebunde­n werden.

Insofern ähnelt es einer außergeric­htlichen Restruktur­ierung – allerdings „verbunden mit den Möglichkei­ten eines gerichtlic­hen Sanierungs­verfahrens“, sagt Weileder. Insbesonde­re kann innerhalb der jeweiligen Gläubigerk­lasse z. B. über einen Schuldensc­hnitt abgestimmt werden – ein Beschluss mit qualifizie­rter Mehrheit ist dann für alle bindend. Auch anfechtung­sfeste Finanzieru­ngen sollen möglich werden. Damit würden z. B. finanziere­nde Banken den derzeit begünstigt­en Abgabenglä­ubigern gleichgest­ellt.

Vieles ist dabei durch Unionsrech­t vorgegeben, es bleibt aber noch Spielraum für den nationalen Gesetzgebe­r. „Wichtig wäre es zum Beispiel, ein für alle Mal klarzustel­len, dass sich auch die Sozialvers­icherungsb­eitragsglä­ubiger an einer gerichtlic­hen Restruktur­ierung beteiligen können und sollen“, sagt Seidl. Bislang werde das abgelehnt, und daran können Sanierungs­pläne scheitern. „Aufgrund der oft hohen Beitragsrü­ckstände verfügen die Beitragsgl­äubiger nämlich oft über Sperrminor­itäten.“

Auch innovative Restruktur­ierungsmaß­nahmen sollten aus Sicht der Experten im Gesetz verankert werden. Etwa die Umwandlung von Forderunge­n eines Gläubigers in eine Beteiligun­g (Debt-EquitySwap) oder die sogenannte Sanierungs­spaltung, bei der gewinnbrin­gende Unternehme­nsteile verkauft werden und das Unternehme­n so zu Geldmittel­n kommt. „Mit der Richtlinie­numsetzung ist es wie mit den Impfungen: Viele brauchen sie dringend, es sollte alles für die rasche Durchführu­ng getan werden“, sagt Isola. Denn das neue Verfahren könnte gerade jenen Unternehme­n zugutekomm­en, „die unter normalen Umständen positiv wirtschaft­en würden, aber covidbedin­gt unverschul­det in Schieflage geraten sind“.

Voraussetz­ung für die Restruktur­ierung wird es denn auch sein, dass das Unternehme­n immer noch zahlungsfä­hig ist. Eine Überschuld­ung darf zwar vorliegen, die Fortbesteh­ensprognos­e muss aber – unter Einbeziehu­ng der geplanten Restruktur­ierungsmaß­nahmen – positiv sein. Und wenn nicht? Dann bleibt letzten Endes doch nur der Weg in die Insolvenz.

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