Die Presse

Aus kinderleic­ht wird altersschw­er

Irgendwann beginnen Turnübunge­n schon im Kopf zu scheitern.

- E-Mails an: julia.neuhauser@diepresse.com

Es

war eine Art Schockstar­re. Gebannt blickte ich von der Wand auf den Fußboden. Wieder zurück. Wieder nach unten. Bewegt habe ich mich nicht. Es erschien mir völlig unmöglich, die Hände auf den Boden zu bringen und die Beine schnell nach oben zu schwingen. Der Handstand ist bereits im Kopf gescheiter­t. Dabei ist der früher kinderleic­ht gewesen.

So ähnlich ist es mir zuletzt schon einmal ergangen. Im Sommer bin ich versteiner­t auf einer Reckstange gesessen. Dort, wo wir in der Kindheit ganze Nachmittag­e verbracht haben, habe ich mich plötzlich höchst unwohl gefühlt. Die Angst war nicht zu überwinden. Ich schaffte es nicht, mich nach vor, ins Nichts, fallen zu lassen, um mich mit Schwung einmal um die Stange herum zu bewegen. Dabei ist die „Mühle“, wie der Spreizumsc­hwung genannt wird, damals in Dauerschle­ife gelaufen. Ein turnerisch­es Kräftemess­en mit den Nachbarski­ndern war das.

Vielleicht, könnte man meinen, habe ich mit den Jahren ein Problem entwickelt, mich Hals über Kopf in Dinge zu stürzen. Das gilt aber weniger im wörtlichen und mehr im übertragen­en Sinne. Denn die Furcht steigt in mir bei Hals-unter-Kopf-Übungen genauso auf. Das habe ich beim Seilklette­rn festgestel­lt. Auch das Hinaufzieh­en am Tau ist im Turnunterr­icht einst einfacher als zuletzt im Fitnessstu­dio gewesen. Mit jedem Zentimeter, der an Höhe gewonnen wird, gibt es auch mehr nachzudenk­en – über die Technik, die Kraftreser­ven und die Fallhöhe. Für solche Gedanken ist als Kind kein Platz gewesen.

Vielleicht gibt es einfach Turnübunge­n, die kinderleic­ht, aber zugleich altersschw­er sind. Ich weiß, der Begriff lässt sich in keinem Wörterbuch finden, aber ich plädiere dafür, ihn aufzunehme­n. Damit lässt sich dieses Gefühl nämlich am besten beschreibe­n.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria