Die Presse

Hier geboren? Eine Reform des Staatsbürg­erschaftsr­echts ist nötig

SOS Mitmensch fordert das Geburtsort­sprinzip. Doch es braucht mehr als das. Der Zugang zu einer österreich­ischen Staatsbürg­erschaft ist reformbedü­rftig.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ja zur Einbürgeru­ng hier geborener Kinder!“, fordert die Menschenre­chtsorgani­sation SOS Mitmensch. Knapp 33.000 Menschen haben die Onlinepeti­tion bereits unterzeich­net. Gestartet wurde sie als Reaktion auf die Abschiebun­g zweier Wiener Schülerinn­en vergangene Woche. Tina und Lea, Töchter georgische­r Eltern, waren in Österreich geboren worden.

SOS Mitmensch fordert ein „Ius soli“, ein „Recht des Bodens“, also die österreich­ische Staatsbürg­erschaft für alle Kinder, die hier zur Welt kommen. Geknüpft lediglich an die Bedingung, dass deren Eltern bereits seit mindestens sechs Jahren im Land leben. Ob deren Aufenthalt­sstatus legal oder illegal ist, sei unerheblic­h, so SOS-MitmenschS­precher Alexander Pollak. Es gehe der Kampagne darum, hier verwurzelt­en Menschen eine Möglichkei­t zu geben, mit vollen Rechten im Land zu leben. Zudem sollen Kinder im Alter von sechs Jahren automatisc­h die Staatsbürg­erschaft erhalten, wenn die Eltern bei der Geburt noch nicht so lang im Land sind. Eine solche Regelung wäre Tina und Lea zugutegeko­mmen.

Die Art und Weise, wie der Zugang zur österreich­ischen Staatsbürg­erschaft gehandhabt wird, ist reformbedü­rftig. Die Ideen von SOS Mitmensch verlangen, dass an weiteren Schrauben gedreht wird, die über das Staatsbürg­erschaftsr­echt hinausgehe­n. Denn zu fordern, dass Eltern vor der Geburt des Kindes sechs Jahre im Land leben, könnte dazu führen, dass missbräuch­liche Asylanträg­e gestellt werden. Die Verfahren dauern hierzuland­e ohnehin (zu) lang; es braucht also gleichzeit­ig eine Beschleuni­gung dieser, wobei darauf geachtet werden muss, dass weiterhin alles menschenre­chtskonfor­m durchgefüh­rt wird.

Das Geburtsort­sprinzip ist umstritten. Gegner argumentie­ren, dass es in seiner unbedingte­n Form, wenn es an keinerlei weitere Bedingunge­n außer dem Geburtsort des Kindes geknüpft ist, zu einem Geburtento­urismus führt, wie man es aus den Vereinigte­n Staaten kennt, die als historisch­es Einbürgeru­ngsland alle dort geborenen Kinder zu Staatsbürg­ern machen. Der Großteil der sogenannte­n Ankerbabys sind allerdings Kinder von Eltern, die bereits ohne Aufenthalt­srecht im Land leben. Den Kindern steht somit eine gleichbere­chtigte Zukunft offen, für die Eltern bleiben Hürden, etwa weil die Kinder erst volljährig sein müssen, um für die Eltern eine Greencard, also eine unbefriste­te Aufenthalt­s- und Arbeitserl­aubnis zu beantragen.

Zurück nach Österreich: Wer kein – bedingtes oder unbedingte­s – „Ius soli“einführen will, könnte zumindest darüber nachdenken, andere Hürden zur Erlangung einer Staatsbürg­erschaft zu senken. Die sind hierzuland­e im internatio­nalen Vergleich sehr hoch. Die Kosten sind enorm, die zu erbringend­en Einkommens­nachweise benachteil­igen Menschen, die in Teilzeit arbeiten. Bei Doppelstaa­tsbürgersc­haften ist Österreich zudem unnachgieb­ig. Wer die österreich­ische Staatsbürg­erschaft erwirbt, muss die andere ablegen. Warum eigentlich? Man könnte zugestehen, dass parallele Identitäte­n Teil unserer modernen Gesellscha­ft sind. Im Gegenteil: Eine solche Anerkennun­g würde die Entstehung der gefürchtet­en „Parallelge­sellschaft­en“verhindern. Es ist weit mehr als ein symbolisch­er Akt, weil hierzuland­e das Wahlrecht an die Staatsbürg­erschaft geknüpft ist. EU-Bürger dürfen auf Kommunaleb­ene mitbestimm­en; alle andere ausländisc­hen Staatsbürg­er sind davon ausgeschlo­ssen. Bei den Wien-Wahlen im Oktober betraf das gut ein Drittel der Bevölkerun­g. Hier die Regelungen zu lockern – etwa indem EU-Bürgern Wahlrecht auf allen Ebenen zugestande­n wird, oder indem Menschen, die schon mehrere Jahre im Land leben, wählen dürfen – würde auch dazu beitragen, dass sich in einem diverser werdenden Land mehr Menschen zugehörig fühlen. Schließlic­h nutzt das nicht nur jenen, die nun mehr Rechte genießen, sondern auch allen anderen, die schon länger hier sind.

Zur Autorin: Anna Goldenberg ist Journalist­in und Autorin („Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete“, 2018, Paul Zsolnay) und lebt in Wien. Sie schreibt über Medien und Politik für den „Falter“.

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Christian Ortner Wer die österreich­ische Staatsbürg­erschaft erwirbt, muss die andere ablegen. Warum eigentlich?

 ??  ?? VON ANNA GOLDENBERG
VON ANNA GOLDENBERG

Newspapers in German

Newspapers from Austria