Wie sich Tirol gegen die Abschottung stemmt
Corona. Mit konsequenter Kontaktnachverfolgung und Massentests glaubt das Land die Kontrolle über die Südafrika-Variante zu behalten. Die aktuelle Entwicklung der Infektionszahlen rechtfertige keine Quarantäne.
Innsbruck. Um die österreichweite Ausbreitung der in Tirol grassierenden Südafrika-Variante des Coronavirus zu verhindern, zieht die Bundesregierung nun auch die temporäre Abschottung einzelner Regionen und sogar des ganzen Bundeslandes in Betracht. Die Lage sei ernst, sagt Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Alle Optionen müssten geprüft werden. Eine Entscheidung soll am Sonntag fallen, bis dahin werden die Infektionszahlen genau beobachtet. Die Landesregierung glaubt die Lage im Griff zu haben und setzt auf Contact Tracing sowie den leichteren Zugang zu Tests.
75 Fälle der Südafrika-Variante
Bisher wurde im Tiroler Unterland (Bezirke Schwaz, Kufstein, Kitzbühel) bei 75 infizierten Personen die Südafrika-Variante identifiziert, fünf von ihnen gelten noch als aktive Fälle, alle anderen sind genesen. Die Mutante, die erstmals in Südafrika nachgewiesen wurde und dort stark verbreitet ist, gilt als deutlich ansteckender als die Ursprungsvariante des Coronavirus. Zudem wird für möglich gehalten, dass sie sich dem Immunsystem besser entziehen kann, was erneute Infektionen möglich machen würde. Wie sie eingeschleppt wurde, ist unklar. Vermutet werden Reise-Rückkehrer aus Südafrika.
Contact Tracing und Massentests
Da Tirol mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 99 im Österreich-Schnitt liegt und sich die Südafrika-Variante nach bisherigem Kenntnisstand nicht unkontrolliert ausbreite, hält die Landesregierung die aktuellen Maßnahmen vorläufig für ausreichend. Eine Abschottung „gibt die Lage nicht her“, sagte Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) am Donnerstag. Die „Verhältnismäßigkeit“müsse gewahrt bleiben. Stattdessen werde weiterhin auf konsequente Kontaktnachverfolgung mit einem aufgestockten Team sowie noch mehr Testungen gesetzt – die Kapazitäten wurden auf 50.000 pro Tag ausgeweitet. Zudem sollen die Sicherheitskonzepte in Alten- und Pflegeheimen überprüft und – falls nötig – nachgeschärft werden. Auch die Zahl der Sequenzierungen, also die Untersuchung der positiven Befunde auf Mutationen, wird massiv erhöht.
Virologin Dorothee von Laer von der Medizinischen Universität Innsbruck hatte beklagt, dass dies zu langsam geschehe. Generell unternehme das Land zu wenig gegen die Ausbreitung der neuen Variante, stattdessen werde „wieder gemauert und verschleiert“, sagte sie dem „Kurier“. Eine Darstellung, die vom Einsatzstab scharf zurückgewiesen wird. Gegenüber der „Presse“wurde die Vermutung geäußert, dass hinter ihren Aussagen auch ein Konflikt um zu wenig Sequenzierungsaufträge vom Land für ihr Labor stehen könnten.
Infektiologe gegen Abschottung
Explizit gegen eine Abschottung Tirols oder einzelner Regionen spricht sich Günter Weiss aus, Direktor der Klinik für Innere Medizin der Med-Uni Innsbruck und Mitglied im Beraterstab der Corona-Taskforce des Gesundheitsministeriums. Die Ausbreitung neuer Varianten könne ohnehin nicht aufgehalten, sondern nur verlangsamt werden, auch die südafrikanische sei schon in mehreren europäischen Ländern nachgewiesen worden. Umso wichtiger sei neben dem Forcieren niederschwelliger Testangebote und des Contact Tracing das disziplinierte Einhalten der geltenden Regeln wie Händehygiene, Abstand halten und Maske tragen. Die Südafrika-Variante sei nicht die erste und werde auch nicht die letzte sein. Jedes Mal ganze Länder unter Quarantäne zu stellen könne nicht die Lösung sein.
Bund versus Land
Der Bund beobachtet die Entwicklungen in Tirol nun ganz genau. Bei einem Gespräch mit dem Land einigte man sich darauf, dass Landeshauptmann Platter noch auf seine eigene Strategie setzen könne. Am Sonntag werde die Lage erneut analysiert, dann sei „Tag der Bilanz“. Eine Abschottung Tirols wird explizit nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil, in der Bundesregierung soll man diesem Plan nicht ganz abgeneigt sein. Und zwar aufseiten beider Koalitionsparteien.
Wichtig zu wissen in diesem Kontext: Schon ab Montag werden wieder die ersten Öffnungsschritte gesetzt – im Handel und bei körpernahen Dienstleistungen. Mit einem Anstieg der Infektionszahlen wird ohnehin bundesweit gerechnet. Die Regierung geht also ein kalkuliertes Risiko ein – eine unberechenbare Ausbreitung des Virus (vor allem der Mutante) würde aber wieder einen Lockdown bedeuten. Daher ist nun für den Bund besonders wichtig, dass die Länder ihre Infektionszahlen und Cluster-Bildungen im Griff haben. Vorab wurde jedenfalls schon angekündigt: Steigt die Sieben-Tage-Inzidenz eines Bundeslandes auf mehr als 200 an, müsse regional eingegriffen werden.
Wer kontrolliert Grenzübertritte?
Sollte es tatsächlich zu einer Abschottung kommen – dürften dann Osttiroler über den Felbertauern nach Innsbruck fahren? Was ist mit Pinzgauern, die im Raum Kitzbühel arbeiten, bzw. umgekehrt? Und wie würde die Kontrolle der Grenzen aussehen? Konkrete Antworten auf diese Fragen gab es am Donnerstag nicht. Das sei eine rein „hypothetische Frage“, teilte das Land Tirol mit. Etwaige Vorgaben wären Sache der Gesundheitsbehörden bzw. des Gesundheitsministeriums. „Die Frage kommt viel zu früh“, sagt auch Stefan Eder, Pressesprecher der Tiroler Polizei. Er verweist ebenfalls darauf, dass entsprechende Bestimmungen von den Gesundheitsbehörden kommen müssten, die Polizei werde allenfalls für die Umsetzung der Kontrollen angefordert.
Dass ein ganzes Bundesland isoliert wird, könne man sich in Salzburg, das von einer Abschottung Tirols wegen Pendlern und Handelsströmen massiv betroffen wäre, gar nicht vorstellen, hieß es aus dem Büro von Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP). Allfällige Kontrollen beim Grenzübertritt wären aber Aufgabe der Exekutive.