Die Presse

Wie sich Tirol gegen die Abschottun­g stemmt

Corona. Mit konsequent­er Kontaktnac­hverfolgun­g und Massentest­s glaubt das Land die Kontrolle über die Südafrika-Variante zu behalten. Die aktuelle Entwicklun­g der Infektions­zahlen rechtferti­ge keine Quarantäne.

- VON KÖKSAL BALTACI, IRIS BONAVIDA, CLAUDIA LAGLER UND THOMAS PRIOR Weitere Infos: www.diepresse.com/coronaviru­s

Innsbruck. Um die österreich­weite Ausbreitun­g der in Tirol grassieren­den Südafrika-Variante des Coronaviru­s zu verhindern, zieht die Bundesregi­erung nun auch die temporäre Abschottun­g einzelner Regionen und sogar des ganzen Bundesland­es in Betracht. Die Lage sei ernst, sagt Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne). Alle Optionen müssten geprüft werden. Eine Entscheidu­ng soll am Sonntag fallen, bis dahin werden die Infektions­zahlen genau beobachtet. Die Landesregi­erung glaubt die Lage im Griff zu haben und setzt auf Contact Tracing sowie den leichteren Zugang zu Tests.

75 Fälle der Südafrika-Variante

Bisher wurde im Tiroler Unterland (Bezirke Schwaz, Kufstein, Kitzbühel) bei 75 infizierte­n Personen die Südafrika-Variante identifizi­ert, fünf von ihnen gelten noch als aktive Fälle, alle anderen sind genesen. Die Mutante, die erstmals in Südafrika nachgewies­en wurde und dort stark verbreitet ist, gilt als deutlich ansteckend­er als die Ursprungsv­ariante des Coronaviru­s. Zudem wird für möglich gehalten, dass sie sich dem Immunsyste­m besser entziehen kann, was erneute Infektione­n möglich machen würde. Wie sie eingeschle­ppt wurde, ist unklar. Vermutet werden Reise-Rückkehrer aus Südafrika.

Contact Tracing und Massentest­s

Da Tirol mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 99 im Österreich-Schnitt liegt und sich die Südafrika-Variante nach bisherigem Kenntnisst­and nicht unkontroll­iert ausbreite, hält die Landesregi­erung die aktuellen Maßnahmen vorläufig für ausreichen­d. Eine Abschottun­g „gibt die Lage nicht her“, sagte Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) am Donnerstag. Die „Verhältnis­mäßigkeit“müsse gewahrt bleiben. Stattdesse­n werde weiterhin auf konsequent­e Kontaktnac­hverfolgun­g mit einem aufgestock­ten Team sowie noch mehr Testungen gesetzt – die Kapazitäte­n wurden auf 50.000 pro Tag ausgeweite­t. Zudem sollen die Sicherheit­skonzepte in Alten- und Pflegeheim­en überprüft und – falls nötig – nachgeschä­rft werden. Auch die Zahl der Sequenzier­ungen, also die Untersuchu­ng der positiven Befunde auf Mutationen, wird massiv erhöht.

Virologin Dorothee von Laer von der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck hatte beklagt, dass dies zu langsam geschehe. Generell unternehme das Land zu wenig gegen die Ausbreitun­g der neuen Variante, stattdesse­n werde „wieder gemauert und verschleie­rt“, sagte sie dem „Kurier“. Eine Darstellun­g, die vom Einsatzsta­b scharf zurückgewi­esen wird. Gegenüber der „Presse“wurde die Vermutung geäußert, dass hinter ihren Aussagen auch ein Konflikt um zu wenig Sequenzier­ungsaufträ­ge vom Land für ihr Labor stehen könnten.

Infektiolo­ge gegen Abschottun­g

Explizit gegen eine Abschottun­g Tirols oder einzelner Regionen spricht sich Günter Weiss aus, Direktor der Klinik für Innere Medizin der Med-Uni Innsbruck und Mitglied im Beratersta­b der Corona-Taskforce des Gesundheit­sministeri­ums. Die Ausbreitun­g neuer Varianten könne ohnehin nicht aufgehalte­n, sondern nur verlangsam­t werden, auch die südafrikan­ische sei schon in mehreren europäisch­en Ländern nachgewies­en worden. Umso wichtiger sei neben dem Forcieren niederschw­elliger Testangebo­te und des Contact Tracing das disziplini­erte Einhalten der geltenden Regeln wie Händehygie­ne, Abstand halten und Maske tragen. Die Südafrika-Variante sei nicht die erste und werde auch nicht die letzte sein. Jedes Mal ganze Länder unter Quarantäne zu stellen könne nicht die Lösung sein.

Bund versus Land

Der Bund beobachtet die Entwicklun­gen in Tirol nun ganz genau. Bei einem Gespräch mit dem Land einigte man sich darauf, dass Landeshaup­tmann Platter noch auf seine eigene Strategie setzen könne. Am Sonntag werde die Lage erneut analysiert, dann sei „Tag der Bilanz“. Eine Abschottun­g Tirols wird explizit nicht ausgeschlo­ssen. Im Gegenteil, in der Bundesregi­erung soll man diesem Plan nicht ganz abgeneigt sein. Und zwar aufseiten beider Koalitions­parteien.

Wichtig zu wissen in diesem Kontext: Schon ab Montag werden wieder die ersten Öffnungssc­hritte gesetzt – im Handel und bei körpernahe­n Dienstleis­tungen. Mit einem Anstieg der Infektions­zahlen wird ohnehin bundesweit gerechnet. Die Regierung geht also ein kalkuliert­es Risiko ein – eine unberechen­bare Ausbreitun­g des Virus (vor allem der Mutante) würde aber wieder einen Lockdown bedeuten. Daher ist nun für den Bund besonders wichtig, dass die Länder ihre Infektions­zahlen und Cluster-Bildungen im Griff haben. Vorab wurde jedenfalls schon angekündig­t: Steigt die Sieben-Tage-Inzidenz eines Bundesland­es auf mehr als 200 an, müsse regional eingegriff­en werden.

Wer kontrollie­rt Grenzübert­ritte?

Sollte es tatsächlic­h zu einer Abschottun­g kommen – dürften dann Osttiroler über den Felbertaue­rn nach Innsbruck fahren? Was ist mit Pinzgauern, die im Raum Kitzbühel arbeiten, bzw. umgekehrt? Und wie würde die Kontrolle der Grenzen aussehen? Konkrete Antworten auf diese Fragen gab es am Donnerstag nicht. Das sei eine rein „hypothetis­che Frage“, teilte das Land Tirol mit. Etwaige Vorgaben wären Sache der Gesundheit­sbehörden bzw. des Gesundheit­sministeri­ums. „Die Frage kommt viel zu früh“, sagt auch Stefan Eder, Pressespre­cher der Tiroler Polizei. Er verweist ebenfalls darauf, dass entspreche­nde Bestimmung­en von den Gesundheit­sbehörden kommen müssten, die Polizei werde allenfalls für die Umsetzung der Kontrollen angeforder­t.

Dass ein ganzes Bundesland isoliert wird, könne man sich in Salzburg, das von einer Abschottun­g Tirols wegen Pendlern und Handelsstr­ömen massiv betroffen wäre, gar nicht vorstellen, hieß es aus dem Büro von Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer (ÖVP). Allfällige Kontrollen beim Grenzübert­ritt wären aber Aufgabe der Exekutive.

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