Früherer Kindersoldat schuldig gesprochen
Terrorplan. Ein belgisches Gericht verurteilt einen iranischen Botschaftsmitarbeiter aus Wien wegen eines geplanten Anschlags nahe Paris zu 20 Jahren Haft. Ein Spionagekrimi, der zu ernsten Verstimmungen mit dem Iran führen könnte.
Uganda. Nach Jahrzehnten grausamer Verbrechen ist erstmals ein früherer Kommandant der berüchtigten Miliz Lord’s Resistance Army (LRA) vom Weltstrafgericht wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 61 Fällen schuldig gesprochen worden. Mildernd könnte beim Strafausmaß gewertet werden, dass Dominic Ongwen als Neunjähriger selbst verschleppt und als Kindersoldat eingesetzt wurde.
Wien/Antwerpen. Triacentontriperoxid, kurz TATP, ist eine explosive Mischung. Es hat mehr Sprengkraft als Dynamit, muss aber viel vorsichtiger gehandhabt werden. Etwas Reibung, ein Stoß oder ein Funke können dafür sorgen, dass es in die Luft fliegt. Nicht gerade ein Stoff, von dem man ein halbes Kilo in die Tasche packt und dann von Wien nach Luxemburg fährt.
Doch genau das soll Assadollah Assadi getan haben, wie aus belgischen Ermittlungsakten hervorgeht, in die „Die Presse“Einsicht nehmen konnte. Der ehemalige dritte iranische Botschaftssekretär in Wien wurde seit Sommer 2018 verdächtigt, an einem Terrorkomplott mitgewirkt zu haben. Gestern fällten belgische Richter in Teheran ihr Urteil: 20 Jahre Haft wegen versuchten Mordes und Beteiligung an einer terroristischen Organisation. Es ist nicht nur die mögliche Höchststrafe, sondern auch das erste Mal, dass ein iranischer Offizieller von einem europäischen Gericht wegen Terrorismus schuldig gesprochen wird.
Drei iranischstämmige Mitverschwörer wurden zu 15, 17 und 18 Jahren Haft verurteilt, ihnen wird die belgische Staatsbürgerschaft entzogen. Außerdem müssen sie einen Betrag von 450.000 Euro abgeben, den sie nach Angaben einer Gerichtssprecherin vom iranischen Geheimdienst erhalten haben sollen.
Der Terrorplan für Paris
Das Komplott, in das die vier Verurteilten verstrickt sein sollen, klingt wie aus einem AgentenThriller: Demnach benutzte Assadi seinen Job in der iranischen Botschaft in Wien über Jahre hinweg nur als Tarnung. Der belgische Geheimdienst geht davon aus, dass der 49-Jährige ein hochrangiger Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes ist. Er soll das TATP und Zünder in Teheran besorgt und im Sommer 2018 in einem Fast-Food-Lokal an ein iranischstämmiges Ehepaar mit belgischen Pässen weitergegeben haben. Sie wurden von europäischen Ermittlern beobachtet und auf dem Weg nach Frankreich festgenommen.
Ihr Ziel: eine Großkundgebung des Nationalen Widerstandsrates Iran (NWRI), einem Zusammenschluss der iranischen Exil-Opposition, in der französischen Kleinstadt Villepinte nahe Paris Ende Juni 2018. Dort fanden sich nicht nur Tausende europäische Exil
Iraner ein, sondern auch zahlreiche westliche Politstars – darunter Rudy Giuliani, Anwalt und enger Vertrauter von Donald Trump, damals noch amtierender US-Präsident, aber auch der ehemalige französische Außenminister Bernhard Kouchner. Hier eine Bombe zu zünden hätte viele Menschen töten können – und eine internationale Krise ausgelöst. Dass die belgischen Richter trotz der weltpolitischen Brisanz des Falls die Höchststrafe verhängten, deutet an, dass die Beweise gegen Assadi und seine Mitbeschuldigten schwer wiegen. Die genaue Urteilsbegründung lag der „Presse“am Donnerstag nicht vor.
Europäische Ermittler vermuten hinter Assadi schon länger einen Offizier der Einheit 312, des iranischen Geheimdienstes Mois. Diese wird in der EU als Terrororganisation betrachtet. Der belgisch-flämische Fernsehsender VRT bekam Einsicht in Ermittlungsakten und nennt den 49-Jährigen einen „Top-Spion“. Ermittler aus ganz Europa wirkten an der Aufklärung der Anschlagspläne mit, darunter auch das von Skandalen gebeutelte Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Die Österreicher sollten Hinweisen nachgehen, denen zufolge Assadi den Sprengstoff in einem Diplomatenkoffer in einem Linienflug aus Teheran nach Wien gebracht habe. Sie fanden nichts. Bis heute ist unklar, ob das TATP im Flieger nach Europa gekommen ist.
Sichergestellt wurde es jedenfalls Ende Juni 2018 bei den belgisch-iranischen Eheleuten Amir S. und Nasimeh N. Der Sprengstoff war in Plastik in einem Toilettetascherl verpackt, separat davon der Zünder. Belgische Forensiker gehen davon aus, dass die Bombe von Profis zusammengebaut wurde. Bereits kurz nach seiner Verhaftung packte das Ehepaar aus: Es habe den Sprengstoff von einem Mann erhalten, der den Decknamen „Daniel“trägt. Übergeben hatte dieser das hochexplosive Päckchen bei einem Mittagessen in einer Filiale der Fast-Food-Kette Pizza Hut in Luxemburg.
Kein diplomatischer Schutz
„Daniel“, davon sind die Ermittler aus mehreren Ländern überzeugt, ist Assadollah Assadi. Zwei Tage nachdem sie den Sprengstoff sichergestellt hatten, einen Tag nachdem er nahe Paris hätte explodieren sollen, nehmen sie den Iraner auf einer Autobahnraststätte in Deutschland fest. Assadi ist an diesem Tag mit seiner Frau und seinen beiden erwachsenen Söhnen unterwegs. Bis zuletzt scheint er überzeugt, dass ihn seine diplomatische Immunität vor den Behörden schützen würde. Noch vor Gericht argumentierten seine Anwälte, dass er als Diplomat in Österreich akkreditiert sei – und deswegen nicht von einem belgischen Gericht verurteilt werden könne. Assadi weigerte sich, seine Zelle für die Verhandlung zu verlassen. Vergangenes Jahr drohte er mit Vergeltung im Nahen Osten, sollte er tatsächlich verurteilt werden.
Klar ist: Die Affäre um den iranischen Diplomaten aus Wien ist politisch hochbrisant. Derzeit versucht der Westen, die ins Stocken geratenen Gespräche rund um das Atomabkommen mit dem Iran wieder voranzubringen. Aber kann es wirklich ohne Folgen bleiben, wenn der iranische Geheimdienst einen Mitarbeiter mit einer Ladung Sprengstoff durch halb Europa schickt, um eine Kundgebung von Exil-Iranern in die Luft zu jagen? Was, wenn das Mordkomplott gar in der Botschaft in Wien mitorganisiert wurde?
Die iranische Exil-Oppositionsversammlung NRWI forderte am Donnerstag, alle iranische Botschaften in der EU schließen zu lassen und Botschafter Teherans aus Europa zu verweisen. Die österreichische Aktivistengruppe „Stop the Bomb“rief die Regierung zur Sperre der iranischen Botschaft in Wien auf.
„Begrüßen die Aufklärung“
Das österreichische Außenministerium gab nur eine kurze Stellungnahme ab: „Wir begrüßen die gründliche Aufklärung des Falls durch die belgischen Justizbehörden.“Man habe Assadi bereits im Juli 2018 den Diplomatenstatus in Österreich entzogen, als die Schwere der Vorwürfe gegen ihn bekannt wurde, weitere Maßnahmen seien derzeit nicht geplant.
In Teheran sieht man sich als Opfer einer Verschwörung. Das Regime behauptet, der gescheiterte Anschlagsversuch sei eine „Operation unter falscher Flagge“gewesen, um die Mullahs schlecht dastehen zu lassen.
Experten erwarten, dass die Iraner versuchen könnten, wie zuletzt mit Deutschland und Australien, ihren Gefangenen in Belgien gegen Europäer in einem iranischen Gefängnis zu tauschen. Unter diesen befinden sich seit Jahren auch zwei Austro-Iraner: der ITExperte Kamran Ghaderi (58) und Massud Mossaheb (74).