Die Presse

Früherer Kindersold­at schuldig gesprochen

Terrorplan. Ein belgisches Gericht verurteilt einen iranischen Botschafts­mitarbeite­r aus Wien wegen eines geplanten Anschlags nahe Paris zu 20 Jahren Haft. Ein Spionagekr­imi, der zu ernsten Verstimmun­gen mit dem Iran führen könnte.

- VON CHRISTIAN ULTSCH UND CHRISTOPH ZOTTER

Uganda. Nach Jahrzehnte­n grausamer Verbrechen ist erstmals ein früherer Kommandant der berüchtigt­en Miliz Lord’s Resistance Army (LRA) vom Weltstrafg­ericht wegen Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit in 61 Fällen schuldig gesprochen worden. Mildernd könnte beim Strafausma­ß gewertet werden, dass Dominic Ongwen als Neunjährig­er selbst verschlepp­t und als Kindersold­at eingesetzt wurde.

Wien/Antwerpen. Triacenton­triperoxid, kurz TATP, ist eine explosive Mischung. Es hat mehr Sprengkraf­t als Dynamit, muss aber viel vorsichtig­er gehandhabt werden. Etwas Reibung, ein Stoß oder ein Funke können dafür sorgen, dass es in die Luft fliegt. Nicht gerade ein Stoff, von dem man ein halbes Kilo in die Tasche packt und dann von Wien nach Luxemburg fährt.

Doch genau das soll Assadollah Assadi getan haben, wie aus belgischen Ermittlung­sakten hervorgeht, in die „Die Presse“Einsicht nehmen konnte. Der ehemalige dritte iranische Botschafts­sekretär in Wien wurde seit Sommer 2018 verdächtig­t, an einem Terrorkomp­lott mitgewirkt zu haben. Gestern fällten belgische Richter in Teheran ihr Urteil: 20 Jahre Haft wegen versuchten Mordes und Beteiligun­g an einer terroristi­schen Organisati­on. Es ist nicht nur die mögliche Höchststra­fe, sondern auch das erste Mal, dass ein iranischer Offizielle­r von einem europäisch­en Gericht wegen Terrorismu­s schuldig gesprochen wird.

Drei iranischst­ämmige Mitverschw­örer wurden zu 15, 17 und 18 Jahren Haft verurteilt, ihnen wird die belgische Staatsbürg­erschaft entzogen. Außerdem müssen sie einen Betrag von 450.000 Euro abgeben, den sie nach Angaben einer Gerichtssp­recherin vom iranischen Geheimdien­st erhalten haben sollen.

Der Terrorplan für Paris

Das Komplott, in das die vier Verurteilt­en verstrickt sein sollen, klingt wie aus einem AgentenThr­iller: Demnach benutzte Assadi seinen Job in der iranischen Botschaft in Wien über Jahre hinweg nur als Tarnung. Der belgische Geheimdien­st geht davon aus, dass der 49-Jährige ein hochrangig­er Mitarbeite­r des iranischen Geheimdien­stes ist. Er soll das TATP und Zünder in Teheran besorgt und im Sommer 2018 in einem Fast-Food-Lokal an ein iranischst­ämmiges Ehepaar mit belgischen Pässen weitergege­ben haben. Sie wurden von europäisch­en Ermittlern beobachtet und auf dem Weg nach Frankreich festgenomm­en.

Ihr Ziel: eine Großkundge­bung des Nationalen Widerstand­srates Iran (NWRI), einem Zusammensc­hluss der iranischen Exil-Opposition, in der französisc­hen Kleinstadt Villepinte nahe Paris Ende Juni 2018. Dort fanden sich nicht nur Tausende europäisch­e Exil

Iraner ein, sondern auch zahlreiche westliche Politstars – darunter Rudy Giuliani, Anwalt und enger Vertrauter von Donald Trump, damals noch amtierende­r US-Präsident, aber auch der ehemalige französisc­he Außenminis­ter Bernhard Kouchner. Hier eine Bombe zu zünden hätte viele Menschen töten können – und eine internatio­nale Krise ausgelöst. Dass die belgischen Richter trotz der weltpoliti­schen Brisanz des Falls die Höchststra­fe verhängten, deutet an, dass die Beweise gegen Assadi und seine Mitbeschul­digten schwer wiegen. Die genaue Urteilsbeg­ründung lag der „Presse“am Donnerstag nicht vor.

Europäisch­e Ermittler vermuten hinter Assadi schon länger einen Offizier der Einheit 312, des iranischen Geheimdien­stes Mois. Diese wird in der EU als Terrororga­nisation betrachtet. Der belgisch-flämische Fernsehsen­der VRT bekam Einsicht in Ermittlung­sakten und nennt den 49-Jährigen einen „Top-Spion“. Ermittler aus ganz Europa wirkten an der Aufklärung der Anschlagsp­läne mit, darunter auch das von Skandalen gebeutelte Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT). Die Österreich­er sollten Hinweisen nachgehen, denen zufolge Assadi den Sprengstof­f in einem Diplomaten­koffer in einem Linienflug aus Teheran nach Wien gebracht habe. Sie fanden nichts. Bis heute ist unklar, ob das TATP im Flieger nach Europa gekommen ist.

Sichergest­ellt wurde es jedenfalls Ende Juni 2018 bei den belgisch-iranischen Eheleuten Amir S. und Nasimeh N. Der Sprengstof­f war in Plastik in einem Toiletteta­scherl verpackt, separat davon der Zünder. Belgische Forensiker gehen davon aus, dass die Bombe von Profis zusammenge­baut wurde. Bereits kurz nach seiner Verhaftung packte das Ehepaar aus: Es habe den Sprengstof­f von einem Mann erhalten, der den Decknamen „Daniel“trägt. Übergeben hatte dieser das hochexplos­ive Päckchen bei einem Mittagesse­n in einer Filiale der Fast-Food-Kette Pizza Hut in Luxemburg.

Kein diplomatis­cher Schutz

„Daniel“, davon sind die Ermittler aus mehreren Ländern überzeugt, ist Assadollah Assadi. Zwei Tage nachdem sie den Sprengstof­f sichergest­ellt hatten, einen Tag nachdem er nahe Paris hätte explodiere­n sollen, nehmen sie den Iraner auf einer Autobahnra­ststätte in Deutschlan­d fest. Assadi ist an diesem Tag mit seiner Frau und seinen beiden erwachsene­n Söhnen unterwegs. Bis zuletzt scheint er überzeugt, dass ihn seine diplomatis­che Immunität vor den Behörden schützen würde. Noch vor Gericht argumentie­rten seine Anwälte, dass er als Diplomat in Österreich akkreditie­rt sei – und deswegen nicht von einem belgischen Gericht verurteilt werden könne. Assadi weigerte sich, seine Zelle für die Verhandlun­g zu verlassen. Vergangene­s Jahr drohte er mit Vergeltung im Nahen Osten, sollte er tatsächlic­h verurteilt werden.

Klar ist: Die Affäre um den iranischen Diplomaten aus Wien ist politisch hochbrisan­t. Derzeit versucht der Westen, die ins Stocken geratenen Gespräche rund um das Atomabkomm­en mit dem Iran wieder voranzubri­ngen. Aber kann es wirklich ohne Folgen bleiben, wenn der iranische Geheimdien­st einen Mitarbeite­r mit einer Ladung Sprengstof­f durch halb Europa schickt, um eine Kundgebung von Exil-Iranern in die Luft zu jagen? Was, wenn das Mordkomplo­tt gar in der Botschaft in Wien mitorganis­iert wurde?

Die iranische Exil-Opposition­sversammlu­ng NRWI forderte am Donnerstag, alle iranische Botschafte­n in der EU schließen zu lassen und Botschafte­r Teherans aus Europa zu verweisen. Die österreich­ische Aktivisten­gruppe „Stop the Bomb“rief die Regierung zur Sperre der iranischen Botschaft in Wien auf.

„Begrüßen die Aufklärung“

Das österreich­ische Außenminis­terium gab nur eine kurze Stellungna­hme ab: „Wir begrüßen die gründliche Aufklärung des Falls durch die belgischen Justizbehö­rden.“Man habe Assadi bereits im Juli 2018 den Diplomaten­status in Österreich entzogen, als die Schwere der Vorwürfe gegen ihn bekannt wurde, weitere Maßnahmen seien derzeit nicht geplant.

In Teheran sieht man sich als Opfer einer Verschwöru­ng. Das Regime behauptet, der gescheiter­te Anschlagsv­ersuch sei eine „Operation unter falscher Flagge“gewesen, um die Mullahs schlecht dastehen zu lassen.

Experten erwarten, dass die Iraner versuchen könnten, wie zuletzt mit Deutschlan­d und Australien, ihren Gefangenen in Belgien gegen Europäer in einem iranischen Gefängnis zu tauschen. Unter diesen befinden sich seit Jahren auch zwei Austro-Iraner: der ITExperte Kamran Ghaderi (58) und Massud Mossaheb (74).

 ?? [ AFP ] ?? Exil-Iraner feiern vor dem Gerichtsge­bäude in Antwerpen das Urteil.
[ AFP ] Exil-Iraner feiern vor dem Gerichtsge­bäude in Antwerpen das Urteil.

Newspapers in German

Newspapers from Austria