Corona veränderte das Einkaufsverhalten
Tech. Der Tiktok-Konkurrent Kuaishou wird an der Hongkonger Börse über fünf Milliarden Dollar einnehmen. Es ist eine der großen Erfolgsgeschichten aus der chinesischen Tech-Branche.
Handel. Die Coronakrise hat den österreichischen Einzelhandel im vergangenen Jahr zweigeteilt. Wegen Lockdown, Home-Office und geschlossenen Restaurants kauften die Menschen deutlich mehr im Supermarkt ein oder bestellten online. Kleidung oder Schuhe blieben dagegen in den Regalen liegen.
Peking.
Als der 38-jährige Start-upGründer Su Hua in seiner Autobiografie vom Erfolg seiner Video-App schrieb, wählte er eine erstaunlich selbstkritische Metapher. Der im zentralchinesischen Hunan geborene Chinese verglich die Macht seines Livestreaming-Dienstes Kuaishou mit den mythischen Artefakten aus „Herr der Ringe“: „Wenn man den Ring trägt, fühlt man sich zwar extrem mächtig. Aber tatsächlich ist es andersherum, es ist der Ring und die Macht, die dich kontrollieren.“
Am Freitag wird Su seine digitale Macht dennoch in ganz realen Wohlstand ummünzen können. Dann nämlich geht seine Videoplattform Kuaishou an die Hongkonger Börse – und wird weit über fünf Milliarden US-Dollar einnehmen und einen Marktwert von 60 Mrd. Dollar erreichen. Es ist das weltweit größte Aktiendebüt seit Beginn der Coronapandemie und der weltgrößte Tech-Börsengang seit fast zwei Jahren. Su Hua wird es zum Multimilliardär machen.
Der Fall Kuaishou – auf Deutsch „schnelle Hand“– ist einer von vielen scheinbaren Widersprüchen im modernen China: Das Land schreibt regelmäßig unternehmerische Erfolgsgeschichten, die zwar Weltrekorde verzeichnen mögen, doch im Ausland nahezu unbekannt sind.
Die Video-App kann man sich im Grunde als Tiktok-Konkurrent vorstellen. Doch im Gegensatz zur Konkurrenz ist Kuaishou weniger in den großen Ostküstenmetropolen wie Shanghai und Peking beliebt, sondern im ländlichen Raum. Nutzer können dort einerseits lustige Videos hochladen, die vor allem unterhalten sollen – etwa Tanzeinlagen oder Schminktipps.
Revolution ausgelöst
Doch das Hauptgeschäft macht Kuaishou vor allem mit Livestreaming, welches den Bereich E-Commerce in der Volksrepublik vollständig revolutioniert hat. Die Idee ist nicht neu, man erinnere sich nur an Shoppingfernsehen a` la QVC. Doch die Machart ist interaktiv, mitreißend und vor allem extrem inklusiv. Selbst im hintersten Bergdorf von Sichuan reicht es künftig aus, mit Smartphone und Ringlicht ausgerüstet seine eigenen Produkte anzupreisen – etwa lokale Landwirtschaftserzeugnisse oder eigene Modeentwürfe. Die Zuschauer fühlen sich unterhalten und können an ihrem Smartphone-Display die Ware in Sekundenschnelle bestellen.
Hongkong statt Wall Street
Mit 300 Millionen täglichen Nutzern ist das Pekinger Technologieunternehmen bereits jetzt der weltweit zweitgrößte Livestreaming-Dienst überhaupt. Allein während der ersten Monate 2020, die ein Gros der Chinesen aufgrund des Lockdowns fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden verbrachte, stiegen die Geschäfte um mehr als 50 Prozent. Laut Börsenantrag dürfte das Unternehmen im ersten Halbjahr aber einen Verlust von umgerechnet 812 Mio. Euro eingefahren haben. Außerhalb Chinas ist die App unter dem Namen „Kwai“bekannt – und wächst vor allem in Südkorea, Brasilien und der Türkei.
Der Börsengang zementiert auch die zunehmende Bedeutung Hongkongs für chinesische TechUnternehmen, nachdem zuletzt etwa auch der Smartphonehersteller Xiaomi die einstige britische Kronkolonie als Standort seines
Börsengangs gewählt hatte. Und dies mit beachtlichem Erfolg: Im vergangenen Jahr haben sich die Aktien von Xiaomi mehr als verdoppelt. Die Botschaft ist klar: Chinas Unternehmen müssen sich nicht zwingend an den USA orientieren, um ausreichend Kapital zu lukrieren. Gleichzeitig schwebt über Kuaishous wie auch Tiktoks Zukunft das Damoklesschwert geopolitischer Spannungen: In Indien sind die Apps bereits von der dortigen Regierung verboten worden.
Dabei zeigt die Unternehmensgeschichte von Kuaishou deutlich, wie wichtig internationaler Austausch ist. Gründer Su Hua hat nach einem Studium an der renommierten Tsinghua-Universität 2006 bei Google in Peking angeheuert – und verdiente damals die stolze Summe von umgerechnet knapp 20.000 Euro pro Jahr.
Doch erst nach einem Aufenthalt im Silicon Valley wuchsen die unternehmerischen Ambitionen des Chinesen, der sich bald darauf an seinem ersten Start-up versuchte. Mehrere Projekte verliefen zunächst im Sand, doch an der amerikanischen Westküste hatte Su gelernt, dass Scheitern zum Erfolg letztendlich dazugehört.