Netrebko singt in der Hofreitschule, Gheorghiu in Bukarest
Erstaunliche Blüten treibt das Musikleben in der Krise. Während Ensembles auf der Straße stehen, sorgen sich Manager um Political Correctness. New York schert sich keinen Deut um die Zukunft des Ensembles der Met.
Wann auch immer die Plage enden mag, angesichts der Frage, wie das Kulturleben danach weitergehen soll, setzt manch berühmter Manager ungewöhnliche Prioritäten, noch ehe die Politik überhaupt dazukommt, darüber nachzudenken, dass es ein solches Kulturleben überhaupt gibt – beziehungsweise wie es aussehen soll (oder muss).
Derzeit treiben die seltsamsten Pflänzchen aus dem im Übrigen brachliegenden Humus: Während die Wiener Staatsoper immerhin allen Virenattacken trotzt und zumindest vor leerem Saal für ihren Streamingdienst Live-Aufführungen zuwege bringt, um ihre Kräfte in Schuss zu halten, demonstriert der General Manager der New Yorker Met, Peter Gelb, dass er aus der Medienbranche kommt, und präsentiert, während Orchester und Chor quasi im „Zwangsurlaub“ohne Salär auf der Straße stehen, Streaming-Auftritte von Superstars unter dem Met-Siegel.
Was es mit New Yorks Opernhaus zu tun haben soll, wenn Anna Netrebko in der Spanischen Hofreitschule zu Wien ein paar Lieder trällert, kann allerdings niemand erklären. Dem MetEnsemble wird es wenig bringen.
So konnte nun Angela Gheorghiu avisieren, sie werde daheim in Bukarest singen, während Musiker der Metropolitan Opera sie via Liveschaltung aus New York und Umgebung „begleiten“. Die Technik macht’s möglich – und die Gheorghiu rächt sich ein wenig für die Ausbootung aus dem MetSpielplan. Peter Gelb hatte zuletzt alles auf die Netrebko gesetzt . . .
. . . und damit nicht wirklich gewonnen, möchte man ergänzen. Es liest sich gespenstisch, wenn der ehemalige Sony-Classical-Manager nun verkündet, es werde lang dauern, bis die Met wieder den Stand „vor Corona“erreichen könne, denn das Publikum werde nach einem Neustart nur sehr zögerlich zurückkehren.
Da möchte man nun ergänzen: Es ist ja angesichts des Gelb-Spielplans schon zuletzt nur noch zähflüssig geströmt. Aufführungen von Opern, die einst Kassenschlager waren, fanden vor halb leeren Rängen statt und selbst für die früher einmal notorisch überbuchten Vorstellungen mit der Netrebko bekam man mühelos Karten.
Da war von einer Pandemie so wenig die Rede wie von einem Spielplan, der die Anliegen von „Black Lives Matter“berücksichtigt. Einer der wenigen Kommentare, die von Met-Musikchef Yannick Nezet-´Seguin´ zuletzt überhaupt zu hören waren, galt nicht etwa den Nöten „seines“Orchesters, sondern der Tatsache, wie „thrilling“es sei, die Uraufführung einer Oper über die Memoiren des schwarzen Journalisten Charles M. Blow dirigieren zu dürfen, die zum Auftakt der kommenden Saison geplant ist. Wenn sie denn stattfindet.
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