Olymp der Weltliteratur
Jubiläum. Diesen Dienstag hätte der Dichter seinen 90. Geburtstag gefeiert. Er wird posthum von Harold Bloom zelebriert, dem US-LiteraturPapst, der auch schon tot ist.
Heute hätte Thomas Bernhard seinen 90. Geburtstag gefeiert. Er wird posthum von USLiteraturpapst Harold Bloom zelebriert.
Vor 32 Jahren, am 12. Februar, starb der so wortgewaltige wie provokante Autor Thomas Bernhard an Herzversagen, drei Tage nach seinem 58. Geburtstag. Rechtzeitig zu diesen Jubiläen gibt es für ihn unverhofft eine transatlantische Ehrung, von Harold Bloom, der 2019 gestorben ist. Er war ein Bücher-Papst Amerikas, mindestens so angriffslustig und konservativ wie der 2013 verstorbene deutsche Großkritiker Marcel Reich-Ranicki, der Bernhard ebenfalls als modernen Klassiker einschätzte. Für Bloom gehört er bereits zur Weltliteratur. Nach dem Urteil des US-Professors (Yale, NYU, Harvard), der gegen den Zeitgeist stets für einen exklusiven westlichen Kanon eintrat, wird Bernhard endgültig in den Olymp der Dichter aufgenommen.
In Blooms Nachlass fand sich ein Leitfaden für die beste aller Lesewelten. In „The Bright Book of Life. Novels to Read and Reread“(Alfred A. Knopf, 2020) empfiehlt er 48 Werke, die ein Bildungsbürger immer wieder lesen sollte, die Basis-Bibliothek der ProsaLangform. Blooms Schwerpunkt liegt naturgemäß auf englischen Büchern, 28 davon will er nicht missen, gefolgt von neun russischen, sechs französischen Romanen. Abgeschlagen sind Spanien und Italien: „Don Quixote“und „I Promessi Sposi“schaffen es in diese Summa. Keine Lateinamerikaner, Afrikaner oder Orientalen. Tolstoi ist vierfach vertreten, Jane Austen dreifach. Nichts von Goethe, Eliot, Kafka, Borges, Musil Pynchon, Beckett . . . Wenn man frühere Empfehlungen Blooms bedenkt, hat dieses Buch große Lücken. Deutschsprachige Werke gibt es immerhin drei: Thomas Manns „Der Zauberberg“, W. G. Sebalds „Die Ringe des Saturn“und eben Bernhards „Der Untergeher“von 1983, ein Text voll dämonischer Musikalität, intensiver Emotion und ingrimmiger Tücke.
„Heldenplatz“: Erfolg in Paris
An internationaler Bekanntheit hat es Bernhard auch zuvor nicht gemangelt. Sein Werke wurden in vier Dutzend Sprachen übersetzt. Suhrkamp gab es in 22 kommentierten Bänden heraus: neun Romane, fünf autobiografische Schriften, Erzählungen, Gedichte, Libretti sowie vor allem Dramen. Inklusive Dramoletten sind es gut 30. Besonders in Frankreich genoss Bernhard hohe Wertschätzung. „Heldenplatz“wurde in Paris wohl auch wegen seiner Österreich-Kritik zum großen Erfolg. In der Übersetzung mutieren etwa „die Sozialisten“zu „Wiener Sozialisten“– „in Frankreich war damals eine sozialistische Regierung unter Mitterrand an der Macht“, erklärt Bernhard-Biograf Manfred Mittermayer.
Bloom, dessen Rezeption zur Vermehrung von Bernhards Ruhm beitragen könnte, kümmert der politische Aspekt weniger. Er denkt vor allem in ästhetischen Kategorien. Wie sieht man diesen einst wild umstrittenen Autor aus größerer Distanz? Was macht für einen Amerikaner den Reiz dieses monomanischen Werks aus? Er hat es sowohl in englischen Übersetzungen als auch im Original studiert. Sechs von 511 Seiten widmet er Österreichs berühmtestem Pessimisten nach Nestroy. Bloom fand Bernhard vor allem irritierend, als er ihn zuerst auf Deutsch las. Mit 88 hat er sich seine Texte noch einmal auf Englisch vorgenommen: „Das macht weniger Mühe, gibt mir aber mehr Muße, mich von ihm aufregen zu lassen.“
Die Muße der Aufregung! Welcher Wiener würde das nicht verstehen? Dieses Paradox könnte geradezu ein Prinzip sein, das Bernhards Protagonisten zu Tiraden verleitet. Hier finden sich also zwei Brüder im
Geiste, die sich kalt vom Stumpfsinn befreien wollen, der sie umgibt. Dazu braucht es Ausdauer: „Wenn ich versuche, ihn laut zu lesen, auf Deutsch oder Englisch, komme ich rasch außer Atem“, gesteht Bloom. Bernhard sei „eine Art innerer Redner, der sich an der Schwelle des Todes befindet“. Man könne ihn keinen Satiriker, Parodisten oder Ironiker nennen: „Zweideutig zu allem, am meisten zu Österreich, will er uns glauben machen, dass die Unabwendbarkeit des Sterbens uns alle lächerlich macht.“
„Notwendigkeit des Sterbens“
Das sei Bernhards ästhetische Haltung, vermutet Bloom. Er ist damit unglücklich. Als Gegensatz nennt er einen Weltweisen: „Sigmund Freud, der größte aller österreichischen Exilanten, drängte uns dazu, uns mit der Notwendigkeit des Sterbens anzufreunden.“Der Tod herrscht auch in „Der Untergeher“: Wertheimer nimmt sich mit 51 das Leben, der fiktionalisierte Pianist Glenn Gould stirbt mit 51. Bernhard selbst habe mit 58 Sterbehilfe erhalten, schreibt Bloom.
Was zeichnet Bernhard sonst aus? „Er vermittelt in der Tat eine Fremdheit, die ihn mit Kafka und Canetti verbindet, aber er macht einen Schlenker weg von ihnen und zelebriert tatsächlich eine Ambivalenz, als wäre sie die wahre Form der Liebe.“Hass und Liebe seien bei diesem Dichter nicht zu trennen. Sein Ich-Erzähler liebt und hasst Glenn zugleich, stets und beständig.
Um Bernhard zu verstehen, solle man auch seine Autobiografien lesen, empfiehlt Bloom. Dort trifft man auf verwandte Dämonen. Er scheint getrieben wie Dostojewski, fatalistisch wie Trakl. Zu erklären, warum er Bernhards Romane so schätze, fällt Bloom am Ende schwer: „Sie schmerzen mich mehr, als sie mich, glaube ich, sollten.“