Leitartikel von Oliver Pink
Wenn sich der türkise Kanzler mit dem schwarzen Landeshauptmann anlegt, dann ist Feuer am Dach. Nicht nur in der ÖVP. Sondern in der Republik.
Ob das jetzt genauso stattgefunden hat, weiß man nicht, bestätigt ist es nicht. Aber allein die Vorstellung, dass Tiroler Hoteliers im Lockdown zum Golfen nach Südafrika fliegen und von dort die lokale, gefährlichere Variante des Coronavirus mitbringen, würde sich in einer zeitgemäßen Adaption der „Piefke-Saga“hervorragend machen. Das Klischee der parvenühaften Männerseilschaft, Sektion Alpin, Lebensmotto „Was kostet die Welt?“, wäre eindrucksvoll erfüllt.
Damit endet der Satire-Charakter aber schon wieder. Die Sache ist ernster. Und zwar so ernst, dass in den internen Gesprächen zwischen dem Bund und dem Land Tirol nun nicht nur der grüne Koalitionspartner in der Bundesregierung mit den Tirolern aneinandergeraten ist, sondern offenbar auch der nahezu gleichfarbige Bundeskanzler. Denn die feinen Unterschiede zwischen Türkis und Schwarz gibt es nicht nur in Flüchtlingsfragen, sondern auch im Umgang mit der Coronapandemie. Geben sich die Landeshauptleute im ersteren Fall gern weltmännnisch-kulant, sind sie im zweiteren deutlich lokalpatriotisch-engstirniger. Vor allem der Tiroler Landeshauptmann und seine Mitstreiter haben sich da hinter den Bergketten eingebunkert, mit der bekannten „Mir san mir“-Mentalität, nun kommt noch Realitätsverweigerung hinzu.
Von gerade einmal acht aktiven Fällen der südafrikanischen Variante sprach einmal mehr der Vertreter der Tiroler Wirtschaftskammer in der „ZiB 2“. Wissenschafter sprechen mittlerweile von mehr als 300 bestätigten. In den Gesprächen mit der Regierung wurde das den ungläubigen Tirolern dann auch vorgerechnet.
Tirol hat also ein Problem. Nur weigerten sich die Verantwortlichen bisher, dieses zu akzeptieren. Es werde in Tirol halt mehr getestet und sequenziert, hieß es trotzig. In anderen Bundesländern wäre das wohl nicht viel anders, würde mehr getestet und sequenziert werden Das mag vielleicht sogar so sein. Aber in Tirol ist es so. Die Bundesregierung setzte gestern einmal einen ersten Schritt: Es wurde eine Reisewarnung für Tirol ausgesprochen. In der Realität zwar recht wirkungslos, aber im traditionell heiklen Gefüge der Volkspartei, in der die Interessen der Länder stets mit den Vorstellungen der Bundesparteizentrale in Einklang gebracht werden müssen – selbst in der Amtszeit von Sebastian Kurz – kommt das einer Alarmstufe Rot gleich.
Wenn sich ein ÖVP-Obmann, noch dazu einer wie Sebastian Kurz, der im „Westen“eine wesentliche Stütze seiner türkisen Bewegung hat, weltanschaulich wie atmosphärisch, abgebildet auch bei Wahlen, mit einem der Häuptlinge dort anlegt, dann ist Feuer am Dach. Und zwar für die Republik.
Für die Öffentlichkeit ging Kurz da ohnehin noch recht subtil zu Werke, damit alle ihr Gesicht wahren können. Dem Landeshauptmann wurde peu a` peu der Ernst der Lage klargemacht, irgendwann knieten dann alle auf ihm drauf. Es braucht eben ein wenig, bis das sickert. Dann durfte der Landeshauptmann noch höchstselbst vorpreschen und ein Neun-Punkte-Paket aus eigener Feder verkünden, wobei Punkt 6 die Reisewarnung dann schon vorwegnahm. Man wird sehen, ob es dabei bleibt. Die kommenden Stunden werden entscheidend sein.
Einmal mehr zeigt sich: In Österreich ist der Föderalismus einer der Treiber der Pandemie. Von der wieder abgeschalteten Ampel bis zu den Tiroler Stur- und Eigenheiten. Ersteres war reine Macht- und Klientelpolitik, Zweiteres ist möglicherweise schon auch eine Mentalitätssache. Bundesländer mit einer weit zurückreichenden Geschichte als eigenständige Entitäten haben da offenbar einen eigenen Zugang. Auch die Kärntner wollten lang nicht wahrhaben, dass mit ihrer Hypo etwas nicht stimmt.
Damit die nun getätigten bundesweiten Öffnungsschritte nicht in ein Fiasko münden, muss auf regionaler Ebene schnellstmöglich gehandelt werden, sobald sich irgendwo ein lokaler Herd auftut. Ohne Rücksicht auf regionale Loyalitäten und Gewohnheiten. Und Tirol ist immerhin noch ein Teil der Republik Österreich.