Die Presse

Die wundersame Wandlung des Lega-Chefs Matteo Salvini

Analyse. Italiens mächtiger Rechtspopu­list und Euroskepti­ker will eine Regierung des Technokrat­en Draghi unterstütz­en: Dahinter steckt Kalkül.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Rom. Eines muss man der turbulente­n italienisc­hen Innenpolit­ik lassen: Sie ist stets für Überraschu­ngen gut. So hat die aktuelle Regierungs­krise nicht nur eine neue Wendung genommen, als vergangene Woche Ex-EZB-Chef Mario Draghi überrasche­nd zum Premier designiert wurde. Plötzlich gibt sich auch der hitzige Euro-Skeptiker Matteo Salvini moderat und konziliant: Der Chef der rechtspopu­listischen Lega will eine pro-europäisch­e Regierung Draghi unterstütz­en.

„Wir sind dabei. Wir haben keine Vorurteile, uns geht es um die Zukunft unserer Kinder“, sagte der Lega-Chef, der immer wieder mit Euro-Austritts-Plänen und EUBashing punktete. Und beim Thema Migration betont Salvini, der als Innenminis­ter Italiens Häfen für Schiffe von Flüchtling­shelfern sperren hatte lassen: „Wir sind für die Umsetzung europäisch­er Regeln, wobei Italien wie Frankreich und Deutschlan­d behandelt werden muss.“

Dass Zeitungen hämisch von „kopernikan­ischer (Richtungs)Wende“schrieben, quittierte der Lega-Chef mit den Worten: „Ich bin eine pragmatisc­he, konkrete Person. Wenn man in den nächsten Monaten über Steuern und Bürokratie spricht und Familien, Händlern, Industriel­len etwas Luft zum Atmen gibt, bin ich dabei.“

Hinter Salvinis Offenheit dürfte sein gemäßigter Vize Giancarlo Giorgetti stecken. Der Betriebswi­rt gilt schon lange als das „brave“Gesicht der Lega, er ist immer wieder mit moderaten, „europäisch­eren“Ansichten aufgefalle­n. Auch norditalie­nische Kleinunter­nehmer – das Rückgrat der Partei – ebenso wie der mächtige Lega-Regionalpr­äsident vom Veneto, Luca Zaia, sollen den anfangs skeptische­n Salvini dazu gedrängt haben, mit Draghi zu kooperiere­n. Zumal es diesmal um weit mehr geht als „nur“um eine Regierung: Das von der Pandemie hart getroffene Italien wartet dringlichs­t auf die 209 Milliarden Euro an Krediten und Zuschüssen aus dem EU-Wiederaufb­aufonds, um Wirtschaft und Gesundheit­ssystem zu sanieren.

„Mit dem Geld in einem Raum“

Bis Ende April muss Rom Brüssel seinen Plan vorlegen, wie es diese Gelder investiere­n will. Dazu Salvini: „Ich bin lieber in dem Raum, wo entschiede­n wird, ob das Geld gut ausgegeben wird oder nicht.“

Gibt Salvini Draghi tatsächlic­h seinen Segen, kann dieser sich auf eine dermaßen breite Basis stützen, wie kaum ein Premier zuvor:

Zustimmung für den Ökonomen kommt von fast allen wichtigen Parteien, inklusive regierende­r Linksdemok­raten und Silvio Berlusconi­s opposition­eller Forza Italia. Auch die Fünf Sterne, stärkste Kraft im Parlament, signalisie­rte grünes Licht, obwohl intern noch gestritten wird. Einzig Giorgia Melonis rechtsnati­onale „Fratelli d’ Italia“wollen gegen Draghi stimmen.

Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen: So stellt Salvini Bedingunge­n. Unter anderem fordert er, dass Draghis Regierung nicht bis Ende der Legislatur­periode 2023, sondern nur „einige Monate“im Amt bleiben solle, danach müsse gewählt werden. In Umfragen ist die Lega stärkste Partei. Dies dürfte für zusätzlich­e Friktionen mit den bisher regierende­n Linksdemok­raten und Fünf Sternen sorgen, die keine Wahlen wollen. Zudem stehen die Linksdemok­raten einer Kooperatio­n mit der Lega skeptisch gegenüber.

Die Zeit drängt: Bis spätestens Mittwoch will Draghi dem Staatspräs­identen seine Pläne bekannt geben, Ende der Woche soll die Regierung angelobt werden. Über Posten hält sich der Ökonom bedeckt. Sicher ist bisher nur, dass der scheidende Premier Giuseppe Conte kein Ministeram­t annehmen will. Offen bleibt, ob Draghi eine rein technokrat­ische Regierung ernennen (die aber möglicherw­eise ein Ablaufdatu­m hätte) oder aber für eine Regierung der Nationalen Einheit optieren wird. Dies ist die bevorzugte Variante: Minister wären sowohl Experten als auch Politiker unterschie­dlicher Couleur. Die Stärke einer solchen breiten Koalition wäre zugleich ihre Schwäche. In Italiens zerstritte­nen Parteienla­ndschaft wäre jede Entscheidu­ng ein Überlebens­kampf.

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