Die wundersame Wandlung des Lega-Chefs Matteo Salvini
Analyse. Italiens mächtiger Rechtspopulist und Euroskeptiker will eine Regierung des Technokraten Draghi unterstützen: Dahinter steckt Kalkül.
Rom. Eines muss man der turbulenten italienischen Innenpolitik lassen: Sie ist stets für Überraschungen gut. So hat die aktuelle Regierungskrise nicht nur eine neue Wendung genommen, als vergangene Woche Ex-EZB-Chef Mario Draghi überraschend zum Premier designiert wurde. Plötzlich gibt sich auch der hitzige Euro-Skeptiker Matteo Salvini moderat und konziliant: Der Chef der rechtspopulistischen Lega will eine pro-europäische Regierung Draghi unterstützen.
„Wir sind dabei. Wir haben keine Vorurteile, uns geht es um die Zukunft unserer Kinder“, sagte der Lega-Chef, der immer wieder mit Euro-Austritts-Plänen und EUBashing punktete. Und beim Thema Migration betont Salvini, der als Innenminister Italiens Häfen für Schiffe von Flüchtlingshelfern sperren hatte lassen: „Wir sind für die Umsetzung europäischer Regeln, wobei Italien wie Frankreich und Deutschland behandelt werden muss.“
Dass Zeitungen hämisch von „kopernikanischer (Richtungs)Wende“schrieben, quittierte der Lega-Chef mit den Worten: „Ich bin eine pragmatische, konkrete Person. Wenn man in den nächsten Monaten über Steuern und Bürokratie spricht und Familien, Händlern, Industriellen etwas Luft zum Atmen gibt, bin ich dabei.“
Hinter Salvinis Offenheit dürfte sein gemäßigter Vize Giancarlo Giorgetti stecken. Der Betriebswirt gilt schon lange als das „brave“Gesicht der Lega, er ist immer wieder mit moderaten, „europäischeren“Ansichten aufgefallen. Auch norditalienische Kleinunternehmer – das Rückgrat der Partei – ebenso wie der mächtige Lega-Regionalpräsident vom Veneto, Luca Zaia, sollen den anfangs skeptischen Salvini dazu gedrängt haben, mit Draghi zu kooperieren. Zumal es diesmal um weit mehr geht als „nur“um eine Regierung: Das von der Pandemie hart getroffene Italien wartet dringlichst auf die 209 Milliarden Euro an Krediten und Zuschüssen aus dem EU-Wiederaufbaufonds, um Wirtschaft und Gesundheitssystem zu sanieren.
„Mit dem Geld in einem Raum“
Bis Ende April muss Rom Brüssel seinen Plan vorlegen, wie es diese Gelder investieren will. Dazu Salvini: „Ich bin lieber in dem Raum, wo entschieden wird, ob das Geld gut ausgegeben wird oder nicht.“
Gibt Salvini Draghi tatsächlich seinen Segen, kann dieser sich auf eine dermaßen breite Basis stützen, wie kaum ein Premier zuvor:
Zustimmung für den Ökonomen kommt von fast allen wichtigen Parteien, inklusive regierender Linksdemokraten und Silvio Berlusconis oppositioneller Forza Italia. Auch die Fünf Sterne, stärkste Kraft im Parlament, signalisierte grünes Licht, obwohl intern noch gestritten wird. Einzig Giorgia Melonis rechtsnationale „Fratelli d’ Italia“wollen gegen Draghi stimmen.
Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen: So stellt Salvini Bedingungen. Unter anderem fordert er, dass Draghis Regierung nicht bis Ende der Legislaturperiode 2023, sondern nur „einige Monate“im Amt bleiben solle, danach müsse gewählt werden. In Umfragen ist die Lega stärkste Partei. Dies dürfte für zusätzliche Friktionen mit den bisher regierenden Linksdemokraten und Fünf Sternen sorgen, die keine Wahlen wollen. Zudem stehen die Linksdemokraten einer Kooperation mit der Lega skeptisch gegenüber.
Die Zeit drängt: Bis spätestens Mittwoch will Draghi dem Staatspräsidenten seine Pläne bekannt geben, Ende der Woche soll die Regierung angelobt werden. Über Posten hält sich der Ökonom bedeckt. Sicher ist bisher nur, dass der scheidende Premier Giuseppe Conte kein Ministeramt annehmen will. Offen bleibt, ob Draghi eine rein technokratische Regierung ernennen (die aber möglicherweise ein Ablaufdatum hätte) oder aber für eine Regierung der Nationalen Einheit optieren wird. Dies ist die bevorzugte Variante: Minister wären sowohl Experten als auch Politiker unterschiedlicher Couleur. Die Stärke einer solchen breiten Koalition wäre zugleich ihre Schwäche. In Italiens zerstrittenen Parteienlandschaft wäre jede Entscheidung ein Überlebenskampf.