Kein Stress mit Frauen und Handys
Leaks. Zigtausende Mails geben Einblick in das Business der Wirecard-Bosse – auch abseits von Zahlungsdienstleistungen. Von der Anbandelung mit Russland, libyschen Warlords und Plänen mit autoritären Staaten zur Bevölkerungskontrolle.
E-Mails geben Einblick in die Freizeitgestaltung der Wirecard-Bosse. Von Anbandelung mit Russland, libyschen Warlords und Plänen mit autoritären Staaten.
Wien. Der eine sitzt im Gefängnis. Der andere im Versteck. Markus Braun und Jan Marsalek, bis vor wenigen Monaten Vorstände von Wirecard, haben sich ihr Leben wohl auch anders vorgestellt.
Tanzen am Opernball, Übernachten in luxuriösen Innenstadthotels, Limousinen und teure Abendessen. Vorzugsweise ohne Frauen und ohne Handys. „Damit es keinen Stress gibt“, wie Markus Braun in einem Mail an seine Männerrunde schreibt. Das war die Freizeit. Business – das waren die kleinen Geschäfte in der alten Heimat Österreich und die großen Deals auf der ganzen Welt: Neben der Abwicklung von Zahlungen wurden Konzepte zur Bürgerüberwachung mit autoritären Regierungen erarbeitet und umgesetzt. Es gab beinahe größenwahnsinnige Pläne vom Wiederaufbau eines vom Bürgerkrieg zerstörten Landes.
Wie die beiden Männer tickten, wohin sie beruflich ihre Fühler ausstreckten, das belegen zig Gigabyte an Mails und Chats, die der „Presse“vorliegen.
Putins Fittiche
Am 19. Juni 2020 stieg Marsalek in Bad Vöslau in ein Privatflugzeug, flog nach Minsk – und ist seither verschwunden. Er wird wegen Bilanzfälschung in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro gesucht. Manche wollen ihn in einem Anwesen in Russland wissen, das vom Geheimdienst bewacht wird. Andere vermuten, dass er gar für diesen arbeitet. Es gibt nur Indizien, die Ermittlungen laufen.
Fakt ist, dass Marsaleks Geschäftsinteressen im Osten groß waren – und um die kümmerte sich vornehmlich ein gewisser Florian Stermann. Er war langjähriger Generalsekretär der österreichischrussischen Freundschaftsgesellschaft (ORFG). Marsalek und Braun waren ORFG-Ehrensenatoren. Diesen Titel erkauften sie sich mit Spenden zwischen 10.000 und 20.000 Euro pro Jahr. Das Freundschaftsband zwischen Stermann und Marsalek wurde aber lange vor der gemeinsamen Mitgliedschaft im Verein geknüpft. Das geht aus Terminkalendern und Mails hervor. Stermann stand auf Marsaleks Gehaltsliste, er bekam mehrere Tausend Euro im Monat, um Geschäfte anzubahnen. Mit dem Iran, aber auch mit der russischen Regierung. Da wurde über Zahlungsabwicklung von Mautsystemen verhandelt, Bezahlsysteme an Flughäfen entwickelt und Gespräche zu Kryptowährungen und Kooperationen mit Banken geführt.
Stermann organisierte für Marsalek in Moskau Termine mit wichtigen Stakeholdern – teils auch über die ORFG. Aus ebenjener wurde Stermann übrigens vor Kurzem hinausgeputscht, nachdem öffentlich geworden war, dass über ihn und Marsalek Informationen aus dem Herzen des Verfassungsschutzes an Ex-FPÖKlubobmann Johann Gudenus geflossen waren. Stermann ist hauptberuflich übrigens Rucksackhersteller – er bot Marsalek eine Reihe an Militärrucksäcken feil. Wofür die ein Chef eines Zahlungsdienstleisters wohl braucht?
Libysche Warlords
Marsalek ist waffen- und militäraffin. „Es war ein bisschen affig, wenn er bei Geschäftstreffen immer erzählt hat, in welchem Land er gerade wieder mit welcher großen Waffe irgendwohin geschossen hat und das dann nachgemacht hat wie ein Zwölfjähriger“, erzählte ein österreichischer Geschäftspartner von Treffen mit ihm. Er soll auch immer wieder mit seiner persönlichen Bekanntschaft zu dem einflussreichen libyschen General Chalifa Haftar geprahlt haben. Haftar ist ein Warlord im Osten, der mit Unterstützung von Russland und den Emiraten die Regierung in Tripolis bekämpft hat. Zu Marsaleks Freunden zählt auch der ehemalige libysche Geheimdienstchef Rami El Obeidi. Er diente jenen, die die Revolution gegen Muammar al-Gaddafi anführten. Er war immer wieder in Wien und bei Marsalek zu Besuch.
Marsalek pflegte auch Kontakte zur libyschen Regierung, mit der er Pläne für eine Art Hybridkarte aus Personalausweis und Bankomatkarte wälzte. Über die Einführung einer Kryptowährung wurde verhandelt. Marsalek besaß in Libyen außerdem eine Ölbohrinsel und eine Zementfabrik.
Seine Geschäftsinteressen in der Region waren also vielfältig – und so startete er ein groß angelegtes Projekt zum Wiederaufbau des Landes. Dabei: ein international bekannter Flüchtlingskoordinator, eine österreichische Unternehmensberatung und ein General des Bundesheers. Der erarbeitete 2018 auch eine Marktanalyse des Landes. Außerdem stellte er auch Gelder des Verteidigungsministeriums für eine Studie in Aussicht. Das Geld wurde angeblich nie ausbezahlt, es gibt dazu aber keine Akten. Das ganze Projekt verlief im Sand, auch weil Marsalek von Milizen schwadronierte, die er aufbauen wolle. Das war manchen Projektteilnehmern zu viel, sie beendeten die Zusammenarbeit. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Identitätsnachweise
Marsalek besaß mehrere Reisepässe aus unterschiedlichen Staaten. „Presse“-Informationen zufolge, soll er seine Flucht mit einem Diplomatenpass aus Grenada angetreten haben. Wie das?
Marsalek pflegte gute Beziehungen zu Regierungen in vielen Ländern. Sein Geschäftsmodell, Hypbridkarten aus Personalausweis und Bankomatkarte zu kreieren, war für viele interessant. Ein solches Projekt setzte er in Grenada um – die Beziehungen waren danach offenbar so gut, dass man sich mit einem Pass bedankte. Er verhandelte ähnliche Projekte mit Ländern wie Libyen, dem Irak, Saudiarabien oder der Ukraine. Er verhandelte darüber persönlich mit dem Finanzminister von Jamaica, mit dem er freundschaftliche Kommunikation pflegte.
Für totalitäre Staaten wäre die Einführung solcher ID-Cards inklusive biometrischer Gesichtserkennung praktisch, um Zahlungsflüsse und Bewegungen der Bevölkerung kontrollieren zu können. Den Bürgern sollte das Ganze als Service angepriesen werden, um etwa Staatshilfen oder Pensionen einfach empfangen zu können.
Mit derartigen Plänen schlug Marsalek übrigens auch im FPÖInnenministerium unter Herbert Kickl auf. Ex-ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger plante so etwas mit Wirecard für die bayrische Regierung. Flüchtlinge sollten solchen Karten erhalten.
Die alte Heimat
Bei der Ausstattung ganzer Staaten mit ID-Karten plus Bezahlfunktion ging es um zig Millionen. Dahingegen muten die Aufträge, die Wirecard in Österreich vergeben hat, fast wie Spielgeld an. Dabei sind etwa 25.000 Euro pro Monat für Social-Media-Beobachtung durchaus nicht wenig. Darum kümmerte sich die Gradus Proximus und lieferte jede Woche umfangreiche Berichte ab. Die beiden Chefs arbeiteten früher im Kabinett von Ex-ÖVP-Innenminister Ernst Strasser. Ebenso ein weiterer PR-Berater, der am Libyen-Aufbauprojekt mitwirkte und russische Marktanalysen für Marsalek machte. In Moskau traf Marsalek Ex-Innenminister Wolfgang Sobotka.
Marsalek nutzte Wien, um sein internationales Netzwerk zu knüpfen. Um Diplomaten zu treffen. Um bei Geschäften zwischen der OMV und dem Iran mitzumischen, Vertragsentwürfe liegen der „Presse“vor. Er ließ sich von einem Wiener Geschäftsmann mit persischen Wurzeln an Kurdistan vermitteln. Und in der Hauptstadt der Spione zog er ehemalige Verfassungsschützer auf seine Seite und nahm sie auf seine Payroll.
Und er tat, was man in Wien eben so tut, wenn man Geld hat und Klischees mag: im Hotel Sacher leben. Zum Opernball gehen – schick essen. Ein Leben, das für Braun und Marsalek nach Aufarbeitung des Skandals aber nur mehr in Mails niedergeschriebene Geschichte sein wird.