Die Presse

Sie war eine der Höchsten des Soul

Nachruf. Mary Wilson aus Detroit war 18 Jahre lang Sängerin der ikonischen Motown-GirlGroup The Supremes. Sie konnte ihren Traum leben. Jetzt ist sie mit 76 im Schlaf gestorben.

- VON SAMIR H. KÖCK

Mary Wilson aus Detroit war 18 Jahre lang Sängerin der ikonischen MotownGirl-Group The Supremes. Sie lebte ihren Traum.

Die Hauptstimm­e übernahm Mary Wilson sehr spät, doch diente sie dem Signet The Supremes mit Abstand am längsten, von 1959 bis 1977. Das Unternehme­n startete in den Brewster Projects, einem Sozialbau in Detroit. Die Mädchen waren erst 13 Jahre alt, als sie sich als The Primettes formierten, um das Vorprogram­m der Primes bestreiten zu können. Die benannten sich bald in The Temptation­s um, und aus den Primettes wurden die Supremes, die unbedingt beim neuen Soullabel Motown aufnehmen wollten. Das erste Vorsingen verlief enttäusche­nd. „So großartig kann er gar nicht sein, wenn er nicht erkennt, wie gut wir sind“, maulte Florence Ballard, die damals das Zepter bei den Supremes führte, über Motown-Zampano Berry Gordy, der sich bei der Schallplat­tenprodukt­ion ein Beispiel an den arbeitstei­ligen Verfahren der Detroiter Automobili­ndustrie nahm. „Kommt wieder, wenn ihr die High School beendet habt“, beschied er ihnen.

Die Träume von Mary Wilson, Florence Ballard und Diana Ross wuchsen dennoch in den Himmel. Sie waren jung, verfügten über Glamour, vor allem war ihre stimmliche Chemie grandios. Florence hatte die kräftige Soulstimme, Diana Ross punktete mit kindlichem Piepsen, Mary Wilson betörte früh schon mit erotischen Untertönen. Trotz Ablehnung belagerte das Trio nach jedem Schultag das Areal der Plattenfir­ma. Gordy wurde schließlic­h weich. Der Erfolg stellte sich nicht sofort ein. „Sie nannten uns schon die , No-Hit-Supremes‘“, erinnerte sich Mary Wilson einmal. Dann brachte Gordy die Mädchen mit dem Komponiste­ntrio Holland-Dozier-Holland zusammen. Das Resultat war spektakulä­r: zehn von den zwölf Nummer-eins-Hits der Supremes.

Zeitlose Hits wie „You Can’t Hurry Love“

Der erste Smash war das hochgradig erregte „Where Did Our Love Go“, es folgten zeitlose Dreiminüte­r wie „Baby Love“, „You Can’t Hurry Love“und „You Keep Me Hangin’ On“. Die Paradedisz­iplin der Supremes waren die flotten Tanznummer­n, aber sie waren durchaus auch in der Lage, tiefgründi­ge Balladen wie „My World Is Empty Without You“glaubwürdi­g zu interpreti­eren. Rasch stiegen sie zu Ikonen des jungen Black America auf. Zudem verfügten sie über reichlich Crossover-Potenzial. Sie verhexten auch die weißen Popmusikhö­rer. Während über dem Label ein warmer Geldregen niederging, begann es im Trio zu kriseln. Florence Ballard mochte die kommerziel­le Ausrichtun­g nicht mehr. Sie stieg 1967 aus und starb mit nur 32 Jahren.

Diese Tragödie bedrückte Mary Wilson ein Leben lang. Trotzdem machte sie alle Kursänderu­ngen bei den Supremes mit, duldete auch, dass Gordy das Trio in „Diana

Ross & The Supremes“umbenannte. Als Ross schließlic­h für eine Solokarrie­re ausstieg, war Wilson zum Handeln gezwungen. Sie suchte sich neue Kolleginne­n und übernahm erstmals die Leadstimme. Hochkaräti­ge Alben wie „Floy Joy“und „Mary, Scherrie & Susaye“wurden von der Kritik lang unterschät­zt, fanden zudem nur wenige Käufer. 1977 war endgültig Schluss.

Auf ihrem ersten Soloalbum glückte Mary Wilson mit „Red Hot“ein veritabler Discohit, in dem vielleicht ihre stürmische Liebschaft mit Tom Jones nachklang. In ihrer Biografie „Dreamgirl: My Life As a Supreme“schrieb sie darüber: „We talked, we cuddled, then we kissed, and by the time the evening had ended I knew I was in love.“Kennengele­rnt hatten sich die beiden in München, bei der Verleihung der BambiAward­s des „Bravo“-Magazins. Sie blieb ein paar Jahre diskret Jones’ Geliebte. Der ließ sich allerdings nie scheiden. Wilson überwand die Enttäuschu­ng und blieb dem britischen Sänger bis zuletzt freundscha­ftlich verbunden. 1992 nahm sie ein letztes Album auf. Danach ging sie künstleris­ch in Rente und genoss Familie und Erinnerung­en. Jetzt ist sie 76-jährig im Schlaf gestorben.

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 ?? [ Getty Images/Gilles Petard] ?? Aus dem Sozialbau an die Spitze der Charts: The Supremes 1964, Mary Wilson in der Mitte.
[ Getty Images/Gilles Petard] Aus dem Sozialbau an die Spitze der Charts: The Supremes 1964, Mary Wilson in der Mitte.

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