Die Presse

Coronapart­ys: Fragwürdig­e Erlaubnis

Privatwohn­ung. Die Politik scheut sich vor Eingriffen, die laut Experten verfassung­srechtlich „durchaus statthaft“wären.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Wien. Die Regierung konzentrie­rt sich bei der Corona-Abwehr im Moment ganz auf das ferne Tirol. Dabei übersieht sie ein Problemfel­d, das jedem Einzelnen wesentlich näher liegt: die Privatwohn­ung und alles, was darin infektions­technisch Gefährlich­es passieren kann und darf. Von Expertense­ite kommt jetzt eine Warnung: Die Tabuisieru­ng des Wohnbereic­hs, zu der sich die Koalition unter dem vermeintli­chen Zwang der Verfassung verpflicht­et hat, sei ganz im Gegenteil verfassung­srechtlich problemati­sch.

Es dürfte nur wenigen bewusst sein: Im privaten Wohnbereic­h im engeren Sinn – also nicht in Garagen oder Schuppen – kann man untertags von Rechts wegen Coronapart­ys ohne jegliche Beschränku­ng feiern (auch wenn es grenzenlos unvernünft­ig ist). Es gelten weder Höchstzahl­en noch Mindestabs­tände noch Maskenpfli­cht: Zwei Meter Distanz muss – unter Haushaltsf­remden – bloß an öffentlich­en Orten eingehalte­n werden; dort sind, in geschlosse­nen Räumen, auch FFP2-Masken zu tragen. Vom Verbot des Zusammentr­effens von mehr als vier Personen aus zwei Haushalten sind Treffen in der Wohnung ausdrückli­ch ausgenomme­n. Strafbar ist nur, wer sich während der Zeit der Ausgangsbe­schränkung­en – von 20 Uhr bis sechs Uhr – außerhalb der eigenen Wohnung aufhält (mit den bekannten Ausnahmen wie Sporteln oder Besuch des Lebenspart­ners).

Rechtslage „etwas skurril“

Für Andreas Janko, Vizedekan und stellvertr­etender Vorstand des Instituts für Staatsrech­t der Johannes Kepler Universitä­t Linz, ist diese „etwas skurrile“Rechtslage „verfassung­srechtlich nicht ganz unbedenkli­ch“. Janko geht im Gespräch mit der „Presse“von der Annahme aus, dass Covid-19-Infektione­n vor allem auch in der privaten Sphäre vorkommen. Vor diesem Hintergrun­d könnte ein regulieren­der Eingriff sogar geboten sein. „Der private Wohnbereic­h verfügt zwar zweifellos über besonderen verfassung­srechtlich­en Schutz“, sagt Verfassung­srechtler Janko. „Er wird im gegebenen Zusammenha­ng meines Erachtens aber geradezu verabsolut­iert, obwohl auf Basis einer Güterabwäg­ung Eingriffe bei überwiegen­dem öffentlich­en Interesse verfassung­srechtlich durchaus statthaft wären.“

Warum diese Zurückhalt­ung?

Man könne zu Hause auch sonst nicht alles tun und lassen – man denke nur an Lärmerregu­ng oder Suchtgiftk­onsum. Und bei anderen Grundrecht­en wie jenem auf Erwerbsfre­iheit zeige die Politik im Covid-19-Kontext auch weniger Zurückhalt­ung, meint der Experte. Im Gegenteil: „Sie gibt dem öffentlich­en Interesse an einer Aufrechter­haltung des Gesundheit­ssystems regelmäßig den Vorzug.“

Aber wie ließen sich Beschränku­ngen rechtlich umsetzen? Das Covid-19-Gesetz ermächtigt dezidiert nicht zu Verordnung­en über den privaten Wohnbereic­h. Das Epidemiege­setz erlaubt aber ohne eine solche Ausnahme Beschränku­ngen für „Veranstalt­ungen“. Die geltende 4. Covid-19-Schutzmaßn­ahmenveror­dnung von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober nimmt den Wohnbereic­h also „ohne gesetzlich­e Notwendigk­eit“aus, sagt Janko.

Das Ministeriu­m bestätigt auf Anfrage, dass es keine Einschränk­ungen gibt, andere Personen untertags in ihren Wohnungen zu besuchen. Weil aber tatsächlic­h ein wesentlich­er Teil aller Neuinfekti­onen im privaten Umfeld geschehe, bleibt es bei der „dringenden Empfehlung, auch im privaten Bereich Vorsicht walten zu lassen und soziale Kontakte möglichst gering zu halten“.

Ob nicht darüber hinaus verbindlic­he Regeln nötig wären, hätte in letzter Konsequenz der Verfassung­sgerichtsh­of zu klären. Er könnte im Zuge der Bekämpfung von Verwaltung­sstrafen wegen anderer Übertretun­gen angerufen werden. Beim Gleichheit­ssatz belässt der Gerichtsho­f der Politik aber einen relativ weiten Gestaltung­sspielraum. Dass dieser hier als überschrit­ten gesehen würde, ist für Janko „alles andere als fix“.

 ?? [ H. P. Oczeret/picturedes­k.com ] ?? Polizeibef­ugnis endet an der Schwelle zur Privatwohn­ung.
[ H. P. Oczeret/picturedes­k.com ] Polizeibef­ugnis endet an der Schwelle zur Privatwohn­ung.

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