Die Presse

Warum Israels Impfkampag­ne ins Stocken gerät

Minderheit­en. Besonders unter den israelisch­en Arabern ist die Skepsis gegen den Impfstoff groß.

- Von unserer Korrespond­entin MAREIKE ENGHUSEN

Jerusalem. Israels weltweit bewunderte Impfkampag­ne gerät ins Stocken: Die Zahl der Freiwillig­en, die sich die Spritze gegen das Coronaviru­s geben lassen, ist in den vergangene­n Tagen deutlich gesunken. Während sich zu Beginn der Aktion Ende Dezember noch über 100.000 Menschen täglich impfen ließen, sind es derzeit nur noch rund halb so viele – und das, obwohl die Regierung erst kürzlich das Mindestalt­er für die Immunisier­ung auf 16 Jahre herabsetzt­e.

Auf den ersten Blick gibt es wenig Grund zur Klage. Gut 40 Prozent aller Bürger haben nach Angaben des Statistikp­ortals „Our World in Data“von der Oxford-Universitä­t mindestens eine Impfung erhalten. Doch weil sich die britische, besonders ansteckend­e Mutation ausbreitet und die geltenden Kontakt- und Versammlun­gsbeschrän­kungen nur lasch durchgeset­zt werden, verzeichne­t das Land weiterhin hohe Infektions­raten.

Verschwöru­ngstheorie­n

Besonders groß ist die Skepsis unter Israels arabischen Bürgern, die ein Fünftel der Bevölkerun­g ausmachen: Die Impfrate ist unter der Minderheit nur halb so hoch wie in der Gesamtbevö­lkerung. „Der arabische Sektor ist unsere größte Herausford­erung“, berichtet Ilanit Erez am Telefon, die derzeit die Koordinati­on der Impfaktion in Jerusalem leitet. Im arabisch geprägten Ostjerusal­em, das die Palästinen­ser als Hauptstadt für ihren zukünftige­n Staat beanspruch­en, lief die Impfkampag­ne von Beginn an besonders schleppend. „Anfangs gab es viele Verschwöru­ngstheorie­n“, berichtet Erez. „Es hieß, der Impfstoff töte, oder wir würden in Wahrheit nur Wasser spritzen.“

Um die Skeptiker zu überzeugen, veröffentl­ichten die Krankenkas­sen Werbung in arabischer Sprache. Zudem erklärten sich palästinen­sische Gemeindefü­hrer, Imame und Schuldirek­toren bereit, sich vor Kameras impfen zu lassen.

Manche Politiker setzen lieber auf Druck als auf Überzeugun­gsarbeit. Moshe Lion, Jerusalems Bürgermeis­ter, sagte angeblich bei einem Treffen mit arabischen Führern, wer sich nicht impfen lasse, dürfe kein Hotel und keine Moschee mehr betreten.

Das Gesundheit­sministeri­um plant eine groß angelegte Öffentlich­keitskampa­gne und will verstärkt gegen Fake News vorgehen. Unter seinem Druck hat Facebook bereits mehrere hebräischs­prachige Gruppen geschlosse­n, die Verschwöru­ngstheorie­n über die Vakzine verbreitet­en. In der Gruppe „Impfgeschä­digte“erzählen Menschen von Freunden oder Angehörige­n, die angeblich infolge der Impfung verstorben sind. Andere wiederum nehmen solche Ängste auf die Schaufel. „Die Impfung ist gefährlich“, schrieb einer auf Twitter. „Sie kann zur Rückkehr zur Routine führen und uns zwingen, mit unserem echten Leben zurechtzuk­ommen.“

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