Warum China sich hinter die Generäle stellt
Burma. Täglich wird das Vorgehen gegen die Pro-Demokratie-Demonstranten brutaler, der Ruf nach Sanktionen gegen die Junta lauter. Doch Peking ist auffallend zurückhaltend – und dies nicht unbedingt aus Sympathie für Burmas Militärs.
Wien/Yangon. Mit einer großen grünen Plane schützen sich Demonstranten in der zentralburmesischen Stadt Magway vor den Wasserwerfern der Polizei. Plötzlich verlässt ein Sicherheitsbeamter die geschlossenen Reihen seiner Kollegen. Er geht auf die Demonstranten zu – und schließt sich ihnen an. Ein zweiter Kollege folgt ihm, dann noch einer. Nach kurzer, verblüffter Stille bricht Applaus aus, gerührte Demonstranten umarmen die übergelaufenen Polizisten. Sicherheitskräfte preschen vor, versuchen, die „Deserteure“zurückzuholen. Die Menge stößt sie weg, formt eine schützende Menschenmauer um „ihre Polizisten“– bis diese in der Masse verschwinden.
Dieses Video kursierte am Dienstag auf nicht gesperrten sozialen Netzwerken in Burma, aber auch in Thailand oder Hongkong. Es ist eines der vielen Bilddokumente der friedlichen Massenproteste gegen die Generäle, die die Macht an sich gerissen und die demokratische Regierung abgesetzt haben. Junge und alte Menschen besetzen trotz Demo-Verboten und Ausgangssperren die Straßen, sie fordern die Freilassung von Aung San Suu Kyi, ihrer bisherigen De-facto-Regierungschefin, die die Militärs weggesperrt haben.
Doch täglich wird das Vorgehen der Sicherheitskräfte brutaler: Gestern feuerte die Polizei Gummigeschosse ab, Dutzende Demonstranten wurden verletzt – zum Teil lebensgefährlich. In der Hauptstadt Naypyidaw schossen Polizisten in die Luft, um die Menge zu vertreiben. Man hört von zahlreichen Festnahmen.
„Eine Regierungsumbildung“
Die internationale Gemeinschaft ist geschockt, als erstes Land brach Neuseeland den Kontakt zum Militärregime ab. Auch die USA erwägen Sanktionen. Auffallend zurückhaltend zeigte sich hingegen China, der mächtige große Bruder Burmas: Den Putsch bezeichnete
Peking als „Regierungsumbildung“. Im UN-Sicherheitsrat blockierte China eine Verurteilung der Machtübernahme. Grundtenor: Es handle sich um innere Angelegenheiten – oder: „Wir hoffen, dass alle Parteien ihre Differenzen lösen und die politische sowie soziale Stabilität nicht gefährden.“
Denn um Stabilität geht es Peking in allererster Linie, wie Helena Legarda, Senior-Analystin beim Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin, gegenüber der „Presse“betont: „China wünscht sich vor allem ein stabiles und ein friedliches Myanmar (Burma), auch, um seine eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen dort zu schützen.“Und diese sind beachtlich: Burma ist reich an natürlichen Ressourcen wie Holz, Jade und Gas, von denen in den letzten Jahrzehnten chinesischen Firmen erheblich profitierten. So ist China der wichtigste Markt für Burmas kostbare Jade.
Vor allem aber ist das südostasiatische Land ein zentraler „Baustein“der Seidenstraße, des MegaInfrastrukturprojektes, durch das China laut Kritikern versucht, seine Hegemonialmacht auszubauen: Dank des „China-Myanmar Economic Corridor“(CMEC) soll durch Straßen, Zugverbindungen und Pipelines China mit dem Golf von Bengalen verbunden werden und somit Zugang zum indischen Ozean erhalten. Geplant ist zudem ein Tiefseewasser-Hafen in Kyaukpyu, inmitten der Bürgerkriegsregion Rakhine, Heimat der vertriebenen muslimischen Rohingya.
Pikanterweise wurden all diese Projekte mit der demokratischen Regierung von Aung San Suu Kyi vereinbart. Um die Friedensnobelpreisträgerin hat sich Peking in den letzten Jahren intensiv bemüht, nachdem die „Lady“von den USA und anderen asiatischen Staaten, etwa Singapur oder Japan, hofiert wurde. Suu Kyi wurde nach
China eingeladen, vor wenigen Monaten erst besuchte sie Chinas Staatschef, Xi Jinping, in Burma.
Insofern dürfte dem KP-Regime der Putsch weit mehr Kopfzerbrechen bereiten, als es von außen zeigt. Und auch der Schein der Vergangenheit trügt. Denn auch wenn China jahrzehntelang enge Beziehungen zum isolierten Militärregime pflegte, war dieses Verhältnis „kompliziert. Das Militär war schon immer ein schwieriger
Partner und gehörte zum Chinaskeptischen Teil der Bevölkerung“, so Expertin Legarda. Sie erinnert daran, wie unter Präsident Thein Sein (2011–2016) das von China so begehrte und in Burma unpopuläre Myitsone-Damm-Projekt gestoppt und die Öffnung in Richtung USA vorangetrieben wurde. Der pensionierte General hat kein Problem damit, trotz aller Abhängigkeit Peking vor den Kopf zu stoßen.
Zähneknirschende Akzeptanz
Burmas Militärs sind erratisch, und Unberechenbarkeit hasst China. Dennoch bleibt Pekings Priorität, sich mit jeglicher Regierung in Burma gut zu stellen – um die eigenen Interessen zu schützen. Nun rechnet Peking offenbar damit, dass die Generäle länger das Sagen haben werden. Das erkläre die Vorsicht: „China geht wohl davon aus, dass das Militär keinen Schritt zurück machen und an der Macht festhalten wird“, sagt Legarda.