Die Presse

So will Nawalny den Kreml schlagen

Russland. In der direkten Konfrontat­ion mit der Staatsmach­t ist die Opposition unterlegen. Nun ruft sie zu „cleverem“Protest auf und will ihre Kräfte auf die Duma-Wahl im Herbst konzentrie­ren.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau. „Geht hinaus in euren Hof. Schaltet die Taschenlam­pe eures Mobiltelef­ons ein, haltet es in die Höhe und bleibt einige Minuten stehen.“Das ist keine Anleitung für Gymnastik, sondern ein Aufruf für eine neue Protestakt­ion von Alexej Nawalnys Team für Sonntagabe­nd. Eine überrasche­nde Kehrtwende: Noch vor ein paar Tagen erklärte Leonid Wolkow, Chef des landesweit­en Nawalny-Netzwerks, der sogenannte­n Stäbe, die Demonstrat­ionen vorerst für beendet.

Nun versucht es die Opposition mit einer kreativen und nicht konfrontat­iven Taktik. Gleichgesi­nnte sollen einander finden, leuchtende Herzen formen, „immerhin ist Valentinst­ag“. Die Taktik erinnert an Vorgänge im Nachbarlan­d Belarus: Auch dort folgten auf die Niederschl­agung der Massenprot­este weniger sichtbare Hinterhof-Aktionen, die auch der moralische­n

Stärkung der Teilnehmer dienten. „Liebe ist stärker als Angst“, heißt es im Aufruf. Auch die Symbolik ist eindeutig: Licht in der Dunkelheit. Die Teilnehmer sollen Fotos der Aktion in sozialen Medien posten.

Offen ist, wie die Behörden auf den Aufruf reagieren werden. Die bisherigen Kundgebung­en wurden entschloss­en niedergesc­hlagen. Mehr als 10.000 Menschen wurden an drei Protesttag­en festgenomm­en, Hunderten drohen nun Strafen und Prozesse. Nawalnys engste Mitstreite­r sitzen im Hausarrest.

„Jeder kennt seine Aufgaben“

Mit der Neuorienti­erung ziehen die Organisato­ren die Konsequenz aus dem drohenden Aufreiben ihrer Unterstütz­er mit der Staatsmach­t. Wolkow, der in Litauen lebt, versuchte in einem Video Befürchtun­gen zu zerstreuen, dass das Opposition­slager nach Nawalnys Verurteilu­ng gelähmt sei. „Jeder kennt seine Aufgaben“, versichert­e er. Man habe noch vor der Verhaftung des Politikers eine längerfris­tige Strategie entwickelt.

So setzt die Opposition nun auf internatio­nales Lobbying. Das ist insofern neu, als Nawalny – als Politiker mit betont russisch-patriotisc­hem Profil – früher Kontakte mit dem Westen scheute. Nun werben seine Mitstreite­r in Brüssel und Washington um neue Sanktionen gegen Wladimir Putins Entourage.

In einem Video-Call Wolkows mit EU-Botschafte­rn sowie Vertretern der USA, Kanada und der Ukraine ging es zu Wochenbegi­nn um eben diese Frage. Wolkow nannte in diesem Zusammenha­ng die Oligarchen Roman Abramowits­ch und Alischer Usmanow, den TV-Moderator Wladimir Solowjow und VTB-Bank-Chef Andrej Kostin als mögliche Ziele. Die Reaktion ließ nicht lang auf sich warten. Das russische Außenminis­terium warf der Opposition „Verrat“vor.

Nawalnys Mitstreite­r seien „Agenten des Einflusses“von NatoStaate­n in Russland. Die Duma droht ein Gesetz zu erlassen, das Sanktionsa­ufrufe gegen Russland unter Strafe stellt. Eine in den vergangene­n Tagen massiv verstärkte mediale Kampagne porträtier­t Nawalny als Staatsfein­d, der Russland schaden wolle. Wolkow verteidigt­e indes den Ruf nach Strafmaßna­hmen. Es seien „Sanktionen gegen Putin und sein Regime, also für Russland“, sagte er in einem Video. Die EU will am 22. Februar über weitere Schritte entscheide­n.

Gegen die Vereinzelu­ng

Nawalnys Team hat sich auf einen längeren Kampf eingestell­t. Die Duma-Wahl im Herbst sei die „wichtigste Aufgabe für die nächsten Monate“, so Wolkow. Man wolle eine große Zahl an Wahlbeobac­htern rekrutiere­n und Wähler mobilisier­en. Es geht dabei um die Durchführu­ng der „cleveren Wahl“– einer Strategie, die auf eine gezielte Schwächung der KremlParte­i Einiges Russland zielt.

In Wahlkreise­n, in denen es keinen opposition­snahen Kandidaten gibt, empfiehlt man den Wählern das „geringere Übel“– etwa Kandidaten der vom Kreml geduldeten Kommuniste­n oder Liberaldem­okraten. Die Strategie ist nicht unumstritt­en, da diese politische­n Kräfte in der Regel leicht kooptiert werden können.

Unabhängig­e Gewerkscha­ften

Ebenso kündigte Wolkow den Aufbau unabhängig­er Gewerkscha­ften an. Das ist ein neuer Ansatz, gehen solche Netzwerke doch über die bisherige, im engeren Sinn politische Mobilisier­ung von Anhängern hinaus. Bisher konzentrie­rte sich Nawalnys Team auf die unerbittli­che Anprangeru­ng von Missstände­n in Putins Russland. Die Doku über den mutmaßlich­en Palast des Kreml-Chefs wurde auf YouTube bisher mehr als 110 Millionen Mal aufgerufen. Doch der Erfolg medialer Enthüllung­en lässt sich nicht direkt in politische Mobilisier­ung übersetzen. Regime-unabhängig­e Netzwerke könnten indes längerfris­tig Transforma­tionsproze­sse befördern. Und sie zielen auf etwas, was in Russland heute Mangelware ist – gesellscha­ftliche Solidaritä­t.

 ?? [ Reuters ] ?? Der Fall Nawalny hat internatio­nale Dimensione­n erreicht. Im Bild eine Unterstütz­erin des russischen Politikers in Hollywood.
[ Reuters ] Der Fall Nawalny hat internatio­nale Dimensione­n erreicht. Im Bild eine Unterstütz­erin des russischen Politikers in Hollywood.

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