Haiti, ein Land in der Dauerkrise
Karibik. Die Proteste gegen den haitianischen Präsidenten Jovenel Mo¨ıse reißen nicht ab. Die Opposition fordert Neuwahlen, Mo¨ıse spricht von einem Putschversuch.
Port-au-Prince/Wien. Darüber, was derzeit in Haiti vor sich geht, gibt es zwei völlig unterschiedliche Sichtweisen: Fand am Sonntag tatsächlich ein Staatsstreich gegen den Präsidenten des Karibikstaats, Jovenel Mo¨ıse, statt? Oder stemmt sich der seit 2016 amtierende Staatschef, dem die Opposition Korruption vorwirft, einfach gegen Neuwahlen?
Im Regierungsviertel der Hauptstadt Port-au-Prince ist es in den vergangenen Tagen immer wieder zu gewalttätigen Protesten gekommen. Autos und Barrikaden brannten, die Polizei gab Schüsse ab, mindestens zwei Menschen sind ums Leben gekommen. Die Demonstranten fordern den Rücktritt Mo¨ıses. Sie sind der Meinung, er wolle seine Amtszeit, die am Sonntag zu Ende gegangen sei, illegal verlängern. Mo¨ıse hingegen argumentiert, bis zum 7. Februar 2022 gewählt worden zu sein.
Er spricht von einem Staatsstreich und einem Mordanschlag, der am Sonntag gegen ihn verübt worden sei. Die Verschwörer hätten versucht, Sicherheitskräfte aufzuwiegeln und den Präsidenten festzusetzen. Bei den Verschwörern seien Macheten, Sturmgewehre und andere Waffen gefunden worden sowie Dokumente, die den Putschversuch belegen sollen. Noch in der Nacht auf Montag wurden 23 Personen verhaftet, darunter ein Richter des Obersten Gerichtshofs und ein hoher Polizeioffizier.
Bereicherung an Hilfsgeldern?
Die Opposition, Anwälte, Akademiker und Kirchen hatten Mo¨ıse ein Ultimatum für seinen Rücktritt gestellt, das am Sonntag abgelaufen ist. Am Montag ernannte die Opposition den 72 Jahre alten Joseph Mec`´ene Jean-Louis, den ältesten Richter des Obersten Gerichtshofes, zum Übergangspräsidenten. Diesen schickte Mo¨ıse jedoch gemeinsam mit zwei weiteren Richtern am Montag per Dekret in den Ruhestand. Rückendeckung bekommt Mo¨ıse aus den USA, der früheren Besatzungsmacht Haitis: Ein Sprecher des Außenamtes gab bekannt, dass die Amtszeit erst im kommenden Jahr auslaufe. Grund für die Auffassungsunterschiede: Die fünfjährige Amtszeit des Staatschefs war zwar ab dem 7. Februar 2016 vorgesehen. Die Wahl war allerdings wegen Betrugs annulliert und Mo¨ıse erst ein Jahr später vereidigt worden.
Seine Gegner werfen dem 52-Jährigen zunehmend autoritäres Handeln vor. Ein handlungsfähiges Parlament gibt es im bitterarmen Land seit dem Vorjahr keines, nachdem die Parlamentswahlen im Oktober 2019 wegen Protesten abgesagt wurden. Seither regiert Mo¨ıse per Dekret. Außerdem werden ihm Bereicherung und die Nähe zu kriminellen Banden vorgeworfen. Er soll Hilfsgelder veruntreut haben, die nach dem Erdbeben von 2010 für den Straßenbau vorgesehen waren. Die Folgen des verheerenden Bebens, das einen Großteil der ohnehin dürftigen Infrastruktur zerstörte, wirken bis heute nach.