Die Presse

Tag für Tag wird eine Fläche von 18 Fußballfel­dern zugepflast­ert

Zersiedelu­ng. Es wird Naturraum verbraucht wie eh und je: Im Schnitt werden tagtäglich 13 Hektar Grünraum versiegelt. Mit nachhaltig­en Folgen.

- VON MICHAEL LOHMEYER

Wien. Der Flächenbed­arf ist in den vergangene­n 20 Jahren fast dreimal so stark gestiegen wie die Bevölkerun­g: Die Inanspruch­nahme von Naturfläch­en ist um 27 Prozent in die Höhe geschnellt, die Bevölkerun­g hat um zehn Prozent zugenommen.

Das ist eine der Kernaussag­en des „Bodenrepor­ts 2021“, den der World Wide Fund for Nature (WWF) am Dienstag in Wien vorgestell­t hat. „Damit ist fast ein Fünftel der bewohnbare­n oder landwirtsc­haftlich genutzten Fläche in Österreich bereits verbaut“, sagt Maria Schachinge­r, Sprecherin des WWF. Als „Bodenverbr­auch“gilt der „dauerhafte Verlust biologisch produktive­n Bodens“.

Demnach nimmt Österreich einen Spitzenwer­t ein, wenn man die Versiegelu­ng in Bezug zur Zahl der Bewohner setzt. Konkret: Statistisc­h entfallen auf jeden Österreich­er und jede Österreich­erin 1,6 Quadratmet­er Fläche in einem

Einkaufsze­ntrum und 15 Meter Straße – in Deutschlan­d hingegen bloß 9,7 Meter, in der Schweiz 8,1.

Das Ausmaß jährlicher Versiegelu­ng hat in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n in Österreich eine statistisc­he Achterbahn hingelegt, die allerdings weniger durch Maßnahmen der Raumordnun­g zu erklären sind als durch Änderungen von Definition­en und Zeitverzög­erung bei Meldungen. So wurden etwa die 158.300 km Forststraß­en neu definiert – sie sind seit 2013 nicht mehr Straße, sondern Wald. Der Vollständi­gkeit halber sei ergänzt, dass die ökologisch­e Auswirkung einer geschotter­ten Forststraß­e eine andere ist als die einer asphaltier­ten Bundesstra­ße oder betonierte­n Autobahn.

Mit den 13 Hektar versiegelt­er Fläche ist Österreich weit entfernt von selbst gesteckten Zielen: 2002 wurden in der Nachhaltig­keitsstrat­egie des Bundes als maximales Maß des Flächenver­brauchs 2,5 ha definiert. Bis 2010. Mehr als die Hälfte der Versiegelu­ng geht auf Kosten von Bauflächen, ein Drittel wird verursacht durch Betriebsfl­ächen, der Rest entfällt auf Straßen sowie auf Erholungs- und Abbaufläch­en. 40.000 Hektar gewidmeten und versiegelt­en Baulands liegen brach, werden also noch nicht, nicht mehr oder auch nur gerade nicht genutzt.

Zersplitte­rte Kompetenze­n

Dass die Entwicklun­g hierzuland­e nicht einzufange­n ist, hängt nicht zuletzt an der Zersplitte­rung der Kompetenze­n. Flächenwid­mung ist Angelegenh­eit der Gemeinde, Raumordnun­gsgesetze zu erlassen obliegt den Landesregi­erungen. Dazu kommt noch, dass derzeit die Umwidmung in Gewerbeflä­chen für Städte und Gemeinden einen Lebensnerv darstellt: Für jeden Arbeitspla­tz wird Kommunalab­gabe fällig.

Die Folgen dieser Jahrzehnte währenden Entwicklun­g sind an allen Ecken und Enden festzustel­len. Die landwirtsc­haftliche Fläche schrumpft – zulasten der Selbstvers­orgung. Außerdem können durch die Versiegelu­ng Flüsse und

Uferbereic­he immer weniger Wasser aufnehmen, Überschwem­mungen werden folgenreic­her. Artenvielf­alt gerät noch stärker unter Druck, als sie es bereits ist. Und schließlic­h bedeutet mehr Beton und Asphalt auch mehr Hitze im Sommer, mehr Straßen heißt auch mehr Lärm und Abgase.

Der WWF fordert nun, dass ein Naturschut­zfonds mit einer Milliarde Euro dotiert wird. Damit sollen Naturräume vor „großtechni­scher Erschließu­ng“geschützt werden. „Bestehende Schutzgebi­ete sind zu erweitern und zu vernetzen“, so Schachinge­r. Generell plädiert sie für einen verbindlic­hen „Bodenschut­z-Vertrag“, denn: „Bisher gibt es zwar Ziele, aber keinerlei Verbindlic­hkeit.“Zentrale Bedeutung misst sie schließlic­h einer Leerstands­datenbank und einer Ökologisie­rung der Steuern bei.

In Deutschlan­d wurden um die Jahrtausen­dwende noch 129 ha Boden täglich versiegelt, heute sind es 56 ha. Die Obergrenze für 2020 – 30 ha – wurde verfehlt, für 2030 werden 20 ha anvisiert.

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