Tag für Tag wird eine Fläche von 18 Fußballfeldern zugepflastert
Zersiedelung. Es wird Naturraum verbraucht wie eh und je: Im Schnitt werden tagtäglich 13 Hektar Grünraum versiegelt. Mit nachhaltigen Folgen.
Wien. Der Flächenbedarf ist in den vergangenen 20 Jahren fast dreimal so stark gestiegen wie die Bevölkerung: Die Inanspruchnahme von Naturflächen ist um 27 Prozent in die Höhe geschnellt, die Bevölkerung hat um zehn Prozent zugenommen.
Das ist eine der Kernaussagen des „Bodenreports 2021“, den der World Wide Fund for Nature (WWF) am Dienstag in Wien vorgestellt hat. „Damit ist fast ein Fünftel der bewohnbaren oder landwirtschaftlich genutzten Fläche in Österreich bereits verbaut“, sagt Maria Schachinger, Sprecherin des WWF. Als „Bodenverbrauch“gilt der „dauerhafte Verlust biologisch produktiven Bodens“.
Demnach nimmt Österreich einen Spitzenwert ein, wenn man die Versiegelung in Bezug zur Zahl der Bewohner setzt. Konkret: Statistisch entfallen auf jeden Österreicher und jede Österreicherin 1,6 Quadratmeter Fläche in einem
Einkaufszentrum und 15 Meter Straße – in Deutschland hingegen bloß 9,7 Meter, in der Schweiz 8,1.
Das Ausmaß jährlicher Versiegelung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Österreich eine statistische Achterbahn hingelegt, die allerdings weniger durch Maßnahmen der Raumordnung zu erklären sind als durch Änderungen von Definitionen und Zeitverzögerung bei Meldungen. So wurden etwa die 158.300 km Forststraßen neu definiert – sie sind seit 2013 nicht mehr Straße, sondern Wald. Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass die ökologische Auswirkung einer geschotterten Forststraße eine andere ist als die einer asphaltierten Bundesstraße oder betonierten Autobahn.
Mit den 13 Hektar versiegelter Fläche ist Österreich weit entfernt von selbst gesteckten Zielen: 2002 wurden in der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes als maximales Maß des Flächenverbrauchs 2,5 ha definiert. Bis 2010. Mehr als die Hälfte der Versiegelung geht auf Kosten von Bauflächen, ein Drittel wird verursacht durch Betriebsflächen, der Rest entfällt auf Straßen sowie auf Erholungs- und Abbauflächen. 40.000 Hektar gewidmeten und versiegelten Baulands liegen brach, werden also noch nicht, nicht mehr oder auch nur gerade nicht genutzt.
Zersplitterte Kompetenzen
Dass die Entwicklung hierzulande nicht einzufangen ist, hängt nicht zuletzt an der Zersplitterung der Kompetenzen. Flächenwidmung ist Angelegenheit der Gemeinde, Raumordnungsgesetze zu erlassen obliegt den Landesregierungen. Dazu kommt noch, dass derzeit die Umwidmung in Gewerbeflächen für Städte und Gemeinden einen Lebensnerv darstellt: Für jeden Arbeitsplatz wird Kommunalabgabe fällig.
Die Folgen dieser Jahrzehnte währenden Entwicklung sind an allen Ecken und Enden festzustellen. Die landwirtschaftliche Fläche schrumpft – zulasten der Selbstversorgung. Außerdem können durch die Versiegelung Flüsse und
Uferbereiche immer weniger Wasser aufnehmen, Überschwemmungen werden folgenreicher. Artenvielfalt gerät noch stärker unter Druck, als sie es bereits ist. Und schließlich bedeutet mehr Beton und Asphalt auch mehr Hitze im Sommer, mehr Straßen heißt auch mehr Lärm und Abgase.
Der WWF fordert nun, dass ein Naturschutzfonds mit einer Milliarde Euro dotiert wird. Damit sollen Naturräume vor „großtechnischer Erschließung“geschützt werden. „Bestehende Schutzgebiete sind zu erweitern und zu vernetzen“, so Schachinger. Generell plädiert sie für einen verbindlichen „Bodenschutz-Vertrag“, denn: „Bisher gibt es zwar Ziele, aber keinerlei Verbindlichkeit.“Zentrale Bedeutung misst sie schließlich einer Leerstandsdatenbank und einer Ökologisierung der Steuern bei.
In Deutschland wurden um die Jahrtausendwende noch 129 ha Boden täglich versiegelt, heute sind es 56 ha. Die Obergrenze für 2020 – 30 ha – wurde verfehlt, für 2030 werden 20 ha anvisiert.