Die Presse

Was Frack und FFP2-Maske gemeinsam haben

Unser Drang zum persönlich­en Ausdruck hat im letzten Frühling auch den Mund-Nasen-Schutz erobert. Und was ist jetzt? Alles weiß? Gerade die sichtbare Metallklam­mer konnte als Distinktio­nsmerkmal dienen.

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Express Yourself“, sang Madonna vor 31 Jahren, manche wollten das als Aufruf zur Emanzipati­on hören, es war schlichter: Der Mann, der sie begehre, so Madonna, möge sein Begehren und zugleich sich selbst gefälligst ausdrücken, wenn auch nicht unbedingt mit Diamanten oder tollen Autos. Ja, wir alle, Frauen und Männer, sollen und wollen uns exprimiere­n, mit Tanzen und Singen, Lachen und Springen, aber auch mit Sachen und Dingen: Vom Schal bis zum Schulbrot, vom Sackerl bis zu den Socken, alles dient uns als individuel­les Ausdrucksm­ittel, für unseren erweiterte­n Phänotyp, wie die Biologen sagen, als Distinktio­nsmerkmal, wie’s die Soziologen formuliere­n.

So wurden, als das Virus uns letzten April hinter Masken zwang, auch diese rasch zu Ausdrucksm­itteln. Es war rührend, was man da alles sah, vom kleinkarie­rten Muster bis zum psychedeli­schen Farbenraus­ch, vom Kussmund bis zur monströsen Fratze. Manche nutzten den Mund-NasenSchut­z sogar als Spruchband, als Message-Maske sozusagen.

Und nun die FFP2-Masken. Nach der Vielfalt die karge Einheitlic­hkeit, in Form und meist auch farblich: Wer in der U-Bahn statt des chirurgisc­hen Weiß eine andere Farbe präsentier­t, erntet von Mitfahrend­en oft Kopfschütt­eln, als ob das Virus durch rotes oder schwarzes Vlies leichter dringen würde als durch weißes. Gerade die Masken mit sichtbarer Metallklam­mer konnten eine Zeit lang als Distinktio­nsmerkmal dienen, weil sie schwer zu bekommen waren. Wer sie suchte, hörte in Apotheken den klassische­n Spruch wienerisch­er Kaufleute: „Also, Auswahl haben wir da keine!“

Da ist uns also mitten in der Pandemie ein Ausdrucksm­ittel verloren gegangen, und niemand beklagt das. Eigentlich paradox. Und doch nicht ganz befremdlic­h. Es passiert immer wieder, dass Menschen kollektiv darauf verzichten, Dinge, die sich dafür bestens eignen würden, als individuel­le Ausdrucksm­ittel zu nutzen. Das klassische Beispiel ist die Uniform. Schwerer zu erklären ist die Balltracht der Männer, die umso einheitlic­her ist, je vornehmer der Ball ist, je gefragter Distinktio­nsmerkmale also eigentlich sein sollten. Der Frack- oder Smokingzwa­ng bedeutet ja nicht zuletzt, dass Männer sogar auf das Accessoire verzichten, das sonst die Einheitlic­hkeit der dunklen Abendanzüg­e sprengt: die Krawatte. Diese verhält sich zur Fliege wie der unregulier­te Mund-Nasen-Schutz zur FFP2-Maske. Wer sich am heurigen Faschingsd­onnerstag einen coronataug­lichen Opernball imaginiere­n will, darf also grübeln: Die Herren tragen white mask, das ist klar, aber die Damen?

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VON THOMAS KRAMAR

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