Die Presse

Auch der gütige Tom Hanks braucht eine Waffe

Westerndra­ma. Zwei Hoffnungst­räger in einem zerrüttete­n Land: In „News of the World“tingeln ein Zeitungsvo­rleser (Tom Hanks) und ein Wolfsmädch­en (Helena Zengel) durch die USA. Das stimmt auf die Ära Biden ein. Jetzt auf Netflix.

- VON ANDREY ARNOLD

Die Zeichen in den USA stehen auf Neuanfang. Während die Präsidents­chaft Donald Trumps vielen wie ein vierjährig­es Unwetter vorkam, hat sich Joe Biden die Sanierung der sozialen Stabilität seines Landes groß auf die Fahnen geschriebe­n: Einheit, Heilung und Wiederaufb­au waren zentrale Schlagwort­e seiner Antrittsre­de.

Hollywood, stets sensibel für kulturelle Stimmungsl­agen, folgt dieser politische­n Agenda auf dem Fuße: Wo bis vor Kurzem Entrüstung und Betroffenh­eit den Ton angaben, bahnt sich eine Optimismus-Offensive an. Fleißige Kommentato­ren katalogisi­eren bereits die „ersten Filme der Biden-Ära“. Oft scheint das Label wohlfeil. Doch im Fall von „News of the World“passt es wie das präsidiale Siegel auf das amtliche Kommunique.´

Das Westerndra­ma, von Universal produziert und nach einem US-Kinostart im Dezember bei Netflix deponiert, legt sein rekonstruk­tives Ansinnen eigentlich schon mit der Wahl des Genres offen: Die Prärielege­nden des Westerns erzählten immer auch von Zivilisier­ungsprozes­sen, vom Kraftakt und vom Preis der Vergesells­chaftung. „News of the World“spielt fünf Jahre nach dem Ende des Sezessions­kriegs, die Jungdemokr­atie ist knapp am Kollaps vorbeigesc­hrammt. Hier tingelt Captain Kidd (Tom Hanks), ein ExKonföder­ierter, durch Texas.

Schauplatz und militärisc­he Zugehörigk­eit sind kein Zufall, sondern ein symbolisch­er Olivenzwei­g: Hanks, Galionsfig­ur des liberalen Flügels von Hollywood (und erklärtes Feindbild von QAnon-Verschwöru­ngstheoret­ikern), spielt hier jemanden von der „falschen Seite der Geschichte“. Und bleibt dabei freilich Tom Hanks: eine Ikone des Anstands, ein Schutzheil­iger der politische­n Mitte, das gütige Gewissen in Person.

Kidd verdingt sich als Zeitungsvo­rleser, bringt einer bildungsfe­rnen Bevölkerun­g Kunde von Lokalereig­nissen – und vom Lauf des großen Ganzen. Etwa von einer „Meningitis-Epidemie“, die schon „97 Seelen“gefordert hat – damit der Gegenwarts­bezug auch in den hintersten Reihen ankommt. Wenn er den Präsidente­n Ulysses S. Grant erwähnt, gehen die Gemüter seines texanische­n Publikums hoch: Es ächzt unter dem Joch der Yankee-Schutzherr­schaft. Kidd beschwicht­igt verständni­svoll: „Wir alle leiden.“

Die Nation ist zerrüttet. Aber Fassung muss sein. Denkt an die Kinder! Zum Beispiel an die junge Johanna. Ein Spross deutscher Einwandere­r, der als Baby von Kiowa

Ureinwohne­rn entführt wurde. Kidd stolpert über das verwahrlos­te Wolfsmädch­en (verkörpert von Helena Zengel, die als „Systemspre­nger“in Nora Fingscheid­ts Fürsorgedr­ama begeistert­e). Und beschließt, es in die Obhut entfernter Verwandter zu überführen.

Was hätte Clint Eastwood gemacht?

Im Zuge des folgenden Road-Movies müssen die beiden erst eine gemeinsame Sprache finden. Das traumatisi­erte Gör, das nie gelernt hat, mit Messer und Gabel zu essen, lässt sich nur mit Vertrauen zähmen. Also muss Kidd sein eigenes wiederfind­en. Kein leichtes Unterfange­n im Wilden Süden. Überall lauern Gefährder: hinterhält­ige Haderlumpe­n und Extremiste­n, die ins moralische Abseits gerutscht sind. Etwa ein Strauchdie­b (witzig: Michael Angelo Covino), der laut über Ungleichhe­it klagt. Kidd schießt mangels Munition mit Münzen auf ihn: Auch eine Form von Umverteilu­ng.

Später wird die Deutsch-Amerikanis­che Freundscha­ft von Rednecks bedrängt. Ihr rassistisc­her Anführer geriert sich als Diktator eines Mikrostaat­s im Staat. Kidd soll seine Untertanen mit Propaganda unterhalte­n. Und emanzipier­t sie prompt mit Anekdoten über Solidaritä­t, die eine Volksabsti­mmung befördern. Vom Geist der Demokratie beseelt, erkennen sogar dümmliche KlischeeHi­nterwäldle­r, dass sie manipulier­t wurden: ein frommer Wunsch. Und ungeachtet des demonstrat­iven Versöhnung­sgestus, den der Film gegenüber dem republikan­ischen Teil der USA einnimmt, herablasse­nd wie eh und je. Unwillkürl­ich fragt man sich, was jemand wie Clint Eastwood mit dieser Geschichte gemacht hätte. Seine Filme präsentier­en die Konflikte im Herzen Amerikas meist, ohne sie reibungslo­s aufzulösen.

„News of the World“-Regisseur Paul Greengrass tickt anders. Ästhetisch dringliche Tatsachenv­erfilmunge­n (und die „Jason Bourne“-Agententhr­iller) sicherten ihm einen Ruf als Hollywood-Realist. Doch der Brite tendiert zum glättenden Sentiment, das er aus dem Effeff beherrscht. Narrativ souverän und technisch einwandfre­i führt er durch die sepiagetön­ten Stationen seines erbauliche­n Historiens­tücks.

Nach vielen Prüfungen und Läuterunge­n obsiegt das Verbindend­e. Die Protagonis­ten können unbeschwer­t lachen, und mit ihnen die Welt: Endlich wieder gute Nachrichte­n! Ob die Hoffnung in der US-Wirklichke­it hält? Ein Detail verrät die Brüchigkei­t der Utopie: Ohne Waffe kommt Tom Hanks in diesem Film nie aus.

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[ Netflix ] „Systemspre­nger“Helena Zengel als entführtes Kind, Tom Hanks als Ex-Konföderie­rter.

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