Österreich und die Impfpflicht
Gastbeitrag. Die Politik bekräftigt, eine Covid-Impfplicht komme nicht. Doch warum wird darüber nicht wenigstens diskutiert?
In Österreich diskutiert zurzeit niemand über die Impfpflicht. Man hört nur immer wieder die Beteuerung: „Wir wollen keine Impfpflicht!“Warum aber wird dies von Politikern aller Couleur gebetsmühlenartig wiederholt, wenn die Impfpflicht doch gar kein Thema ist? In Deutschland ist kürzlich eine Diskussion über die Impfpflicht entbrannt. Der Ethikrat beschäftigt sich damit. Man diskutiert öffentlich über Privilegien für Geimpfte. In Österreich scheint die Meinung zu überwiegen, dass man das Thema lieber nicht ansprechen sollte.
Erstmals kommt bei der Bekämpfung des Coronavirus ein mRNA-Impfstoff zum Einsatz. Dieser funktioniert so, dass Nanopartikel appliziert werden, die ihren Inhalt, einen bestimmten Teil der Virus-mRNA, in die Zellen des Impflings transferieren und damit bewirken, dass dieser vor der Covid-Erkrankung geschützt ist. Der Mechanismus ist also ganz ähnlich wie bei der Virusinfektion selbst, nur dass dabei keine Viren entstehen, die den Impfling oder andere Personen gefährden.
Bereits knapp zehn Tage nach der ersten Impfung entsteht ein solider Schutz vor der Covid-19-Erkrankung, und zwar in allen Altersgruppen. Die Geimpften benötigen eigentlich keinen zusätzlichen Schutz mehr vor einer Corona-Infektion, etwa durch Mund-Nasen-Schutz, Abstand oder Isolation. Nach allen Schätzungen wird die Impfung auch dazu führen, dass die Sterblichkeit und die Belastung der Krankenhäuser sinken und die Eingriffe in unsere Freiheitsrechte gelockert werden können. Wie stark diese Effekte sind und wann wir unser normales Leben zurückerhalten, hängt davon ab, ob und wann wir eine ausreichende Immunisierung der Bevölkerung erreichen. Eine generelle Impfpflicht würde den Weg zur Normalität beschleunigen.
Wir haben bereits Erfahrung mit der Impfpflicht. Für die Pocken galt sie in Österreich von 1939 bis 1977. Eine wunderbare Dokumentation von Elisabeth Woditschka und Christian May für Addendum stellt die Geschichte dieser Impfung dar.
Die Impfpflicht erreichte das wichtige Ziel, die Pocken weltweit auszurotten. Auf der Agenda der WHO zur Eradikation stehen übrigens auch die Polio- und die Maserninfektion, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Ziele erreicht sind.
In manchen Ländern gibt es auch eine Impfpflicht für die Influenza. Obwohl der Impfschutz bei Grippe bekanntlich deutlich geringer ist als bei einer CovidImpfung, konnte kürzlich nachgewiesen werden, dass durch die Impfpflicht, im Vergleich zur freiwilligen Impfung, die InfluenzaMortalität signifikant sank.
Wir brauchen eine Diskussion
Es gibt natürlich auch Argumente dafür, dass jeder sich frei für oder gegen die Impfung entscheiden kann, aber man muss das abwägen gegen den Preis, dass sich so die Pandemie verlängert und die Zahl der Coronatoten erhöht. Warum wird die Frage der Impfpflicht in Österreich nicht wenigstens diskutiert? Auch die Frage von Privilegien für die Geimpften wäre doch ein wichtiges Thema. An solchen Fragen kann sich entscheiden, ob die Schulen dauerhaft öffnen können und Geschäfte, Restaurants und ganze Unternehmen überleben.
Wir brauchen eine öffentliche Diskussion über die Frage, ob wir eine Impfpflicht und Impfprivilegien wollen – vielleicht nicht für alle, sondern nur für einen speziellen Teil der Bevölkerung. Diese Fragen sind spätestens dann zu beantworten, wenn für alle Personen ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht. Das Thema ja nicht anzusprechen hilft da nicht.
Horst Olschewski ist Professor für Pulmologie an der Medizinischen Universität Graz und Leiter der Klinischen Abteilung für Lungenkrankheiten am LKH Universitätsklinikum Graz.
E-Mails an: debatte@diepresse.com