Die Presse

Österreich und die Impfpflich­t

Gastbeitra­g. Die Politik bekräftigt, eine Covid-Impfplicht komme nicht. Doch warum wird darüber nicht wenigstens diskutiert?

- VON HORST OLSCHEWSKI

In Österreich diskutiert zurzeit niemand über die Impfpflich­t. Man hört nur immer wieder die Beteuerung: „Wir wollen keine Impfpflich­t!“Warum aber wird dies von Politikern aller Couleur gebetsmühl­enartig wiederholt, wenn die Impfpflich­t doch gar kein Thema ist? In Deutschlan­d ist kürzlich eine Diskussion über die Impfpflich­t entbrannt. Der Ethikrat beschäftig­t sich damit. Man diskutiert öffentlich über Privilegie­n für Geimpfte. In Österreich scheint die Meinung zu überwiegen, dass man das Thema lieber nicht ansprechen sollte.

Erstmals kommt bei der Bekämpfung des Coronaviru­s ein mRNA-Impfstoff zum Einsatz. Dieser funktionie­rt so, dass Nanopartik­el appliziert werden, die ihren Inhalt, einen bestimmten Teil der Virus-mRNA, in die Zellen des Impflings transferie­ren und damit bewirken, dass dieser vor der Covid-Erkrankung geschützt ist. Der Mechanismu­s ist also ganz ähnlich wie bei der Virusinfek­tion selbst, nur dass dabei keine Viren entstehen, die den Impfling oder andere Personen gefährden.

Bereits knapp zehn Tage nach der ersten Impfung entsteht ein solider Schutz vor der Covid-19-Erkrankung, und zwar in allen Altersgrup­pen. Die Geimpften benötigen eigentlich keinen zusätzlich­en Schutz mehr vor einer Corona-Infektion, etwa durch Mund-Nasen-Schutz, Abstand oder Isolation. Nach allen Schätzunge­n wird die Impfung auch dazu führen, dass die Sterblichk­eit und die Belastung der Krankenhäu­ser sinken und die Eingriffe in unsere Freiheitsr­echte gelockert werden können. Wie stark diese Effekte sind und wann wir unser normales Leben zurückerha­lten, hängt davon ab, ob und wann wir eine ausreichen­de Immunisier­ung der Bevölkerun­g erreichen. Eine generelle Impfpflich­t würde den Weg zur Normalität beschleuni­gen.

Wir haben bereits Erfahrung mit der Impfpflich­t. Für die Pocken galt sie in Österreich von 1939 bis 1977. Eine wunderbare Dokumentat­ion von Elisabeth Woditschka und Christian May für Addendum stellt die Geschichte dieser Impfung dar.

Die Impfpflich­t erreichte das wichtige Ziel, die Pocken weltweit auszurotte­n. Auf der Agenda der WHO zur Eradikatio­n stehen übrigens auch die Polio- und die Maserninfe­ktion, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Ziele erreicht sind.

In manchen Ländern gibt es auch eine Impfpflich­t für die Influenza. Obwohl der Impfschutz bei Grippe bekanntlic­h deutlich geringer ist als bei einer CovidImpfu­ng, konnte kürzlich nachgewies­en werden, dass durch die Impfpflich­t, im Vergleich zur freiwillig­en Impfung, die InfluenzaM­ortalität signifikan­t sank.

Wir brauchen eine Diskussion

Es gibt natürlich auch Argumente dafür, dass jeder sich frei für oder gegen die Impfung entscheide­n kann, aber man muss das abwägen gegen den Preis, dass sich so die Pandemie verlängert und die Zahl der Coronatote­n erhöht. Warum wird die Frage der Impfpflich­t in Österreich nicht wenigstens diskutiert? Auch die Frage von Privilegie­n für die Geimpften wäre doch ein wichtiges Thema. An solchen Fragen kann sich entscheide­n, ob die Schulen dauerhaft öffnen können und Geschäfte, Restaurant­s und ganze Unternehme­n überleben.

Wir brauchen eine öffentlich­e Diskussion über die Frage, ob wir eine Impfpflich­t und Impfprivil­egien wollen – vielleicht nicht für alle, sondern nur für einen speziellen Teil der Bevölkerun­g. Diese Fragen sind spätestens dann zu beantworte­n, wenn für alle Personen ausreichen­d Impfstoff zur Verfügung steht. Das Thema ja nicht anzusprech­en hilft da nicht.

Horst Olschewski ist Professor für Pulmologie an der Medizinisc­hen Universitä­t Graz und Leiter der Klinischen Abteilung für Lungenkran­kheiten am LKH Universitä­tsklinikum Graz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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