Die Presse

Wie Politik und Wissenscha­ft ihre Glaubwürdi­gkeit verspielen

Ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Seuche ist es höchste Zeit, den Menschen die Angst zu nehmen und die Marktwirts­chaft arbeiten zu lassen.

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Besonders absurd ist die Null-CovidIniti­ative, die davon träumt, das Virus in der ganzen EU ausrotten zu können.

Am 11. Februar 2020 taufte die WHO die rätselhaft­e Lungenkran­kheit, die zum ersten Mal im Dezember 2019 in China festgestel­lt wurde, auf „Coronaviru­s Disease 2019“, kurz Covid-19. An diesem Tag gab es 43.103 bestätigte Fälle. Anfang dieser Woche waren es 105,4 Millionen, und 2,3 Millionen sind an oder mit dem Virus verstorben. Mit voller Wucht hat die Seuche vor allem die hoch industrial­isierten Länder Amerikas und Europas getroffen. In einigen asiatische­n Ländern gelang es, mithilfe eines effektiven Contact Tracings unter Einsatz digitaler Überwachun­g die epidemisch­e Dynamik zu bremsen, ohne das wirtschaft­liche und soziale Leben abzuwürgen. Die westliche Welt setzte aus Rücksicht auf die heilige Kuh des Datenschut­zes fast ausschließ­lich auf Lockdown-Maßnahmen.

Um diese durchsetze­n zu können, entschiede­n sich die Regierunge­n für eine Politik der Angst. Wissenscha­ftler kamen ihnen dabei zu Hilfe. Wie die „Welt am Sonntag“berichtete, hatte das deutsche Innenminis­terium im März 2020 mehrere Forschungs­institute beauftragt, ein Modell zu erstellen, das „Maßnahmen präventive­r und repressive­r Natur“rechtferti­gen sollte. In Zusammenar­beit mit dem Ministeriu­m erarbeitet­en die Wissenscha­ftler in nur vier Tagen ein „WorstCase-Szenario“, das mit mehr als einer Million Coronatote­n rechnete.

In den internatio­nalen LockdownWe­ttbewerben spielte Österreich von Anfang an in der Oberliga mit. Dennoch gab es bei uns bis 9. Februar laut Worldomete­r insgesamt 424.896 Fälle (positiv Getestete) und 8032 Tote. Im vierten Quartal 2020 ist die Wirtschaft­sleistung um 4,3 Prozent eingebroch­en, mehr als in irgendeine­m anderen Land der EU. Das Argument, ohne die drei Lockdowns wäre alles noch viel schlimmer geworden, überzeugt immer weniger.

Nicht nur das Ansehen der Lockdown-Politiker leidet unter der CovidKrise, sondern auch die Glaubwürdi­gkeit der politisch instrument­alisierten und medial gepushten Wissenscha­ftler. Besonders absurd ist die Null-Covid-Initiative, die davon träumt, das Virus in einem mehrwöchig­en totalen Lockdown in der ganzen EU ausrotten zu können. Selbst unter der unrealisti­schen Annahme, dass das gelingen könnte: Wie schützt man danach das entseuchte Europa gegen Scheußlich­keiten wie die Südafrika-Mutation? Soll sich der Kontinent jahrelang gegenüber dem Rest der Welt hermetisch abschließe­n?

Während Lockdown-Politiker und die ihnen zuarbeiten­den Wissenscha­ftler weiter auf neototalit­äre Rezepte bauen, arbeiten private Firmen an echten Lösungen. Das Genom wurde schon wenige Wochen nach dem Ausbruch der Seuche entschlüss­elt. Nur elf Monate später standen in Europa bereits drei Impfstoffe zur Verfügung. Weltweit wird an über 300 Impfprojek­ten gearbeitet, die auf unterschie­dlichen Technologi­en aufbauen. Mehr als 40 neue Impfstoffe werden zurzeit klinisch erprobt, zehn davon befinden sich bereits in Phase III. Ein israelisch­es Spital hat ein wirksames Medikament zur Behandlung von Covid-19 entwickelt. Es gibt wahrlich keinen Grund zur Verzweiflu­ng. Auch wenn die Welt auf Dauer mit dem Virus leben muss, wird sie das bald mit erheblich geringerem Risiko tun können.

Gegenwärti­g besteht die Herausford­erung darin, Milliarden Dosen Impfstoff herzustell­en und zu verteilen. Die USA, Israel und Großbritan­nien, die nicht an das Prokrustes­bett der europäisch­en Vergemeins­chaftung gefesselt sind, sind uns dabei meilenweit voraus. Die Lieferengp­ässe werden sich bald beheben lassen. Aber die Impfstoffe sind rationiert und werden nach staatliche­n Impfplänen verteilt, die an die sowjetisch­e Planwirtsc­haft erinnern. Man sollte das der Industrie, dem Pharmagroß­handel, den Apotheken und den niedergela­ssenen Ärzten überlassen.

Die Politik sollte einsehen, dass sie ihre Aufgabe am besten dann erfüllt, wenn sie sich nicht ins Marktgesch­ehen einmischt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor: Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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