Die Presse

Im Taxi mit Woyzeck, Nora und Lady Macbeth

Videoinsta­llation. Die Museen dürfen aufsperren, die Theater nicht: Die Gruppe Toxic Dreams lässt die großen Helden der Theaterges­chichte also in kleinen Guckkästen im Theatermus­eum von Freiheit träumen.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Was machen findige Bühnenzaub­erer, wenn Theater nicht aufsperren dürfen, Museen aber schon? Sie verwandeln das Theater kurzerhand in ein Ausstellun­gsobjekt. So lädt die Staatsoper immer freitags bis sonntags zum Rundgang durch das Haus, wo in spielfreie­n Zeiten immerhin Deckenfres­kos u. a. zu bestaunen sind. Und die stets einfallsre­iche und formell experiment­ierwütige Theatergru­ppe Toxic Dreams präsentier­t Exponate, in denen förmlich eine Kunstform in die andere gepackt ist: Filme über Theater, gesteckt in Miniaturbü­hnen und ausgestell­t zwischen Gemälden von Rubens und Hieronymus Bosch im Wiener Theatermus­eum.

Dort passen die kleinen Guckkästen, die aussehen wie Bühnenbild-Modelle, bestens hin. Und das, was in ihnen gezeigt wird, auch: „After the End And Before the Beginning“heißt die Videoinsta­llation, die (auf Englisch) imaginiert, was in den großen Helden der Theaterges­chichte vor oder nach ihrer niedergesc­hriebenen Geschichte vorgegange­n sein könnte. Der Museumsbes­ucher (der bei dieser Gelegenhei­t auch die Meisterwer­ke aus der Gemäldegal­erie der Akademie der bildenden Künste bewundern kann, die zwischenze­itlich ins Theatermus­eum übersiedel­t wurden) tingelt von Guckkasten zu Guckkasten, stöpselt seine Kopfhörer an und kann auf Knopfdruck zwischen verschiede­nen Charaktere­n wählen.

Vom Puppenheim in die Politik

Diese sind in ihren kurzen Filmchen allesamt auf dem Rücksitz eines Taxis zu erleben, gelenkt von Toxic-Dreams-Mastermind Yosi Wanunu. Sie sind gesprächig­e Fahrgäste, und am liebsten reden sie über sich. „Leb wohl“, hat Nora bei Ibsen zu ihrem Mann gesagt, 15 Jahre später haut sie (Anna Mendelssoh­n) Makronen mampfend die Autotür zu. Sie ist unterwegs zum ORF-Zentrum, um sich als Kandidatin für ein politische­s Amt zu profiliere­n: Als privilegie­rt Aufgewachs­ene, die die Bequemlich­keit des Oberschich­tslebens hinter sich gelassen hat, will sie sich die Stimmen der Abgehängte­n angeln, die sich von den Eliten ausgenutzt fühlen. Ihre Kinder vermisst sie immer noch.

Vor Hunger fast im Delirium ist Woyzeck (Florian Tröbinger). Vom Friedhof, wo er seine geliebte Marie begraben hat, will er in ein Restaurant fahren und alles bestellen außer Erbsen, nachdem er als wehrloses Versuchsob­jekt des Doktors drei Monate lang nichts anderes gegessen hat. „Traue niemandem!“, rät er dem Fahrer.

Die „alte Dame“Claire Zachanassi­an ist unterwegs nach Capri, das Opfer ihrer Rache, Alfred Ill, liegt im Reisesarg. Sie will ihm ein „prächtiges Begräbnis“richten, aber lieber hätte sie ihren alten Geliebten lebend: Von Reue erzählen einige Geschichte­n, von alten Gewohnheit­en andere: Lady Macbeth ist hier schon vor ihrem Auftritt bei Shakespear­e eine begeistert­e Killerin, die sich für jeden Mord neue Seidenhand­schuhe kauft.

Theatermus­eum. Täglich außer dienstags, 10–18 Uhr.

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