Kampf um die Führung des Kosovo
Parlamentswahl. Vetevendosje-¨Chef Albin Kurti war 2020 aus dem Premiersamt gehebelt worden. Nun hofft er auf ein Comeback bei der Wahl am Sonntag. Doch mit einem Sieg hätte er seine Machtübernahme keineswegs konsolidiert.
Belgrad/prishtina. Auch in der Epidemie zieht der Stimmenstreit die Bewohner des Kosovo in seinen Bann. Ob mit Masken vor den Gesichtern, unter den Kinnladen oder ganz ohne Corona-Ausrüstung: Zehntausende pilgern vor Kosovos vorgezogener Parlamentswahl am Sonntag zu den Kundgebungen. Im Wahlkampf scheine die Pandemie „eine Pause eingelegt“zu haben, klagt in Prishtina die Analystin Jeta Krasniqi: „Für ein paar Stimmen mehr scheinen die Parteien alle bereit, die Präventivvorgaben zu brechen“, sagt sie zur „Presse“.
Frenetisch skandieren die Teilnehmer der Wahlkampfaufmärsche der linksnationalen Veteven-¨ dosje (Selbstbestimmung) landauf landab den Namen ihres Hoffnungsträgers: „Albin Kurti!“Tatsächlich steht der im vergangenen Jahr vom Koalitionspartner LDK und mit US-Unterstützung schon nach 52 Tagen aus dem Amt gehebelte Ex-Premier vor einem Comeback. Alle der sonst stark voneinander abweichenden Umfragen sagen seiner Vetevendosje¨ (VV) einen Wahlsieg mit 40 bis 51 Prozent der Stimmen voraus. Auf Platz zwei würde laut Umfragen die Demokratische Partei (PDK) mit ExAußenminister Enver Hoxhaj kommen, knapp gefolgt von der LDK des Ex-Ministerpräsidenten Isa Mustafa.
Mit einer „Kombination des Wählerwunsches nach Wandel und der Enttäuschung über die etablierten Parteien“erklärt Analystin Krasniqi die erwarteten Zugewinne der Vetevendosje.¨ Viele frühere LDK-Wähler, die über den frühen Bruch der Koalition enttäuscht seien, dürften dieses Mal für Kurti stimmen. Die frühere LDK-Spitzenkandidatin und derzeitige Parlamentsvorsitzende Vjosa Osmani kandidiert auf der Liste von Vetevendosje.¨ „Auch mehr als 100.000 Wähler in der Diaspora haben sich neu registrieren lassen. Die meisten stimmen wohl für Vetevendosje.“¨
Armut und Korruption
Der 45-jährige Kurti baut darauf, erneut Premier zu werden. Er spricht von einer „historischen Chance einer sauberen Regierung“ohne Korruption. Dass das Verfassungsgericht ihm wegen einer früheren Bewährungsstrafe untersagt hat, auf der Kandidatenliste für die Parlamentswahl aufzuscheinen, dürfte seine Anhänger nur noch stärker mobilisieren. „Das Urteil scheint ihm eher zu nützen als zu schaden“, sagt Krasniqi. Auch wenn Vetevendosje¨ die Hälfte der Stimmen einfahren sollte, ist ihr eine Alleinregierung keineswegs gewiss. 20 der 120 Mandate sind für die Minderheiten reserviert, die Hälfte davon hält die von Belgrad gesteuerte Serbische Liste (SL).
Drei Regierungen sind im Kosovo vergangenes Jahr vorzeitig gescheitert. Ob ein zweites Kabinett Kurti das Land in ruhigere Gewässer lotsen kann, ist ungewiss. Ob der festgefahrene Dialog mit Serbien, der von Belgrad blockierte UN-Beitritt, ob die nie verwirklichte EU-Zusage der Aufhebung der Visapflicht, ob Armut, Korruption, Perspektiv- und Arbeitslosigkeit: Probleme und Baustellen sind zahlreich, die Erwartungen der Wähler an die neue Regierung zugleich unrealistisch hoch.
Das Problem Präsidentenwahl
Selbst nach dem erwarteten Sieg könnte die Machtübernahme für Kurti kompliziert werden. Verfehlt er die Parlamentsmehrheit, könnte er zwar einen Teil der Minderheitenparteien oder die AAK von ExPremier Ramush Haradinaj ins Koalitionsboot holen. Früher Stolperstein könnte jedoch die Neubesetzung des Präsidentenamts werden.
Seit dem Rücktritt des vom Kosovo-Sondergericht in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagten Ex-Präsidenten und PDK-Spitzenpolitikers Hashim Thaci¸ im November übt Parlamentsvorsitzende Osmani das Amt geschäftsführend aus. Spätestens nach einem halben Jahr muss sich das Parlament aber laut Verfassung mit Zweidrittelmehrheit auf einen neuen Staatschef verständigen.
Kurti gilt nicht als Kompromisseschmied. Ob er sich mit Erzfeind PDK oder Expartner LDK bis 6. Mai auf einen neuen Präsidenten einigen kann, ist ungewiss. Die Haltbarkeitsdauer des neuen Kabinetts werde nicht zuletzt von der Präsidentenwahl abhängen, sagt Analystin Krasniqi: „Scheitert die Lösung der Präsidentenfrage, werden wir bald wieder wählen.“