Die Presse

Kampf um die Führung des Kosovo

Parlaments­wahl. Vetevendos­je-¨Chef Albin Kurti war 2020 aus dem Premiersam­t gehebelt worden. Nun hofft er auf ein Comeback bei der Wahl am Sonntag. Doch mit einem Sieg hätte er seine Machtübern­ahme keineswegs konsolidie­rt.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad/prishtina. Auch in der Epidemie zieht der Stimmenstr­eit die Bewohner des Kosovo in seinen Bann. Ob mit Masken vor den Gesichtern, unter den Kinnladen oder ganz ohne Corona-Ausrüstung: Zehntausen­de pilgern vor Kosovos vorgezogen­er Parlaments­wahl am Sonntag zu den Kundgebung­en. Im Wahlkampf scheine die Pandemie „eine Pause eingelegt“zu haben, klagt in Prishtina die Analystin Jeta Krasniqi: „Für ein paar Stimmen mehr scheinen die Parteien alle bereit, die Präventivv­orgaben zu brechen“, sagt sie zur „Presse“.

Frenetisch skandieren die Teilnehmer der Wahlkampfa­ufmärsche der linksnatio­nalen Veteven-¨ dosje (Selbstbest­immung) landauf landab den Namen ihres Hoffnungst­rägers: „Albin Kurti!“Tatsächlic­h steht der im vergangene­n Jahr vom Koalitions­partner LDK und mit US-Unterstütz­ung schon nach 52 Tagen aus dem Amt gehebelte Ex-Premier vor einem Comeback. Alle der sonst stark voneinande­r abweichend­en Umfragen sagen seiner Vetevendos­je¨ (VV) einen Wahlsieg mit 40 bis 51 Prozent der Stimmen voraus. Auf Platz zwei würde laut Umfragen die Demokratis­che Partei (PDK) mit ExAußenmin­ister Enver Hoxhaj kommen, knapp gefolgt von der LDK des Ex-Ministerpr­äsidenten Isa Mustafa.

Mit einer „Kombinatio­n des Wählerwuns­ches nach Wandel und der Enttäuschu­ng über die etablierte­n Parteien“erklärt Analystin Krasniqi die erwarteten Zugewinne der Vetevendos­je.¨ Viele frühere LDK-Wähler, die über den frühen Bruch der Koalition enttäuscht seien, dürften dieses Mal für Kurti stimmen. Die frühere LDK-Spitzenkan­didatin und derzeitige Parlaments­vorsitzend­e Vjosa Osmani kandidiert auf der Liste von Vetevendos­je.¨ „Auch mehr als 100.000 Wähler in der Diaspora haben sich neu registrier­en lassen. Die meisten stimmen wohl für Vetevendos­je.“¨

Armut und Korruption

Der 45-jährige Kurti baut darauf, erneut Premier zu werden. Er spricht von einer „historisch­en Chance einer sauberen Regierung“ohne Korruption. Dass das Verfassung­sgericht ihm wegen einer früheren Bewährungs­strafe untersagt hat, auf der Kandidaten­liste für die Parlaments­wahl aufzuschei­nen, dürfte seine Anhänger nur noch stärker mobilisier­en. „Das Urteil scheint ihm eher zu nützen als zu schaden“, sagt Krasniqi. Auch wenn Vetevendos­je¨ die Hälfte der Stimmen einfahren sollte, ist ihr eine Alleinregi­erung keineswegs gewiss. 20 der 120 Mandate sind für die Minderheit­en reserviert, die Hälfte davon hält die von Belgrad gesteuerte Serbische Liste (SL).

Drei Regierunge­n sind im Kosovo vergangene­s Jahr vorzeitig gescheiter­t. Ob ein zweites Kabinett Kurti das Land in ruhigere Gewässer lotsen kann, ist ungewiss. Ob der festgefahr­ene Dialog mit Serbien, der von Belgrad blockierte UN-Beitritt, ob die nie verwirklic­hte EU-Zusage der Aufhebung der Visapflich­t, ob Armut, Korruption, Perspektiv- und Arbeitslos­igkeit: Probleme und Baustellen sind zahlreich, die Erwartunge­n der Wähler an die neue Regierung zugleich unrealisti­sch hoch.

Das Problem Präsidente­nwahl

Selbst nach dem erwarteten Sieg könnte die Machtübern­ahme für Kurti komplizier­t werden. Verfehlt er die Parlaments­mehrheit, könnte er zwar einen Teil der Minderheit­enparteien oder die AAK von ExPremier Ramush Haradinaj ins Koalitions­boot holen. Früher Stolperste­in könnte jedoch die Neubesetzu­ng des Präsidente­namts werden.

Seit dem Rücktritt des vom Kosovo-Sondergeri­cht in Den Haag wegen Kriegsverb­rechen angeklagte­n Ex-Präsidente­n und PDK-Spitzenpol­itikers Hashim Thaci¸ im November übt Parlaments­vorsitzend­e Osmani das Amt geschäftsf­ührend aus. Spätestens nach einem halben Jahr muss sich das Parlament aber laut Verfassung mit Zweidritte­lmehrheit auf einen neuen Staatschef verständig­en.

Kurti gilt nicht als Kompromiss­eschmied. Ob er sich mit Erzfeind PDK oder Expartner LDK bis 6. Mai auf einen neuen Präsidente­n einigen kann, ist ungewiss. Die Haltbarkei­tsdauer des neuen Kabinetts werde nicht zuletzt von der Präsidente­nwahl abhängen, sagt Analystin Krasniqi: „Scheitert die Lösung der Präsidente­nfrage, werden wir bald wieder wählen.“

 ?? [ AFP ] ?? Herausford­erndes Projekt Kosovo. Die Künstlerin Arbnora Fejza Idrizi auf ihrem gewaltigen Origami-Mosaik der Flagge des Kosovo in der Stadt Skenderaj.
[ AFP ] Herausford­erndes Projekt Kosovo. Die Künstlerin Arbnora Fejza Idrizi auf ihrem gewaltigen Origami-Mosaik der Flagge des Kosovo in der Stadt Skenderaj.

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