Tätowierer kämpfen um ihre Farben
Gesundheit. Zwei beliebte Farbpigmente werden EU-weit wegen möglicher Gefahr verboten. Die Branche will sich das nicht gefallen lassen.
Wien. Im Tattoostudio von Michael Potzinger in Fürstenfeld werden besonders oft große, bunte Tätowierungen an Armen und Beinen, Brust oder Rücken gestochen. Noch ist das kein Problem, der Künstler kann aus einer breiten Farbpalette wählen. Doch Europas Tätowierer schlagen Alarm: Seit Anfang des Jahres sind die beiden besonders beliebten Farbpigmente Blau 15 und Grün 7 verboten – so steht es in der Tätowiermittelverordnung der EU. Zwei Jahre bleiben der Branche nun, um nach Alternativen zu suchen. „Das Verbot wäre existenzbedrohend“, fürchtet Potzinger. Denn: „Weit über 200 Farbtöne sind davon betroffen.“
Tatsächlich sind die genannten Farbpigmente in etwa 60 Prozent aller Tätowierfarben enthalten. Umso schwerer wiegt es, dass die Europäische Chemikalienagentur Echa die Pigmente als potenziell gesundheitsschädlich einstuft. Sie stehen im Verdacht, Blasenkrebs zu verursachen, da sie über die Haut in den Blutkreislauf gelangen und dann ausgeschieden werden müssen. „Wir wollen Tätowierungen nicht verbieten, sondern sicherer machen“, heißt es auf der Homepage der Echa. Eine „Presse“-Anfrage blieb unbeantwortet.
Eine einheitliche EU-Regelung befürwortet auch Erich Mähnert, selbst Tätowierer in Wien: „Die Gesundheit geht vor.“Das Verbot der beiden Farbpigmente kann er aber nicht nachvollziehen. „Es gibt keinen Beweis für eine Schädlichkeit, nur einen Verdacht“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. „Diese
Pigmente sind seit mehreren Jahrzehnten in Verarbeitung, und es gab noch nie ein Problem damit.“Mähnert, der auch Co-Initiator einer Petition für eine entsprechende Änderung der EU-Verordnung ist, mahnt gar vor einem Kontrollverlust durch das Verbot: „Die Kunden werden ins EU-Ausland oder – schlimmer – zu einem Pfuscher gedrängt, der dann auf eBay die gewünschten Farben aus China bestellt.“
Färbiger Realismus unmöglich
Die beliebten Farbpigmente müssten deshalb erhalten bleiben, fordert Mähnert. In der Praxis wäre es sonst unmöglich, den „färbigen Realismus“– etwa in den Tönen grasgrün oder himmelblau – auf die Haut zu bringen. Beim Permanent Make-up seien die nun verbotenen Pigmente in extrem vielen Korrekturfarben enthalten.
Überhaupt sei das Verbot der beiden Pigmente ohne jegliche Grundlage einfach aus der Kosmetikverordnung übernommen worden, beklagt auch Mähnerts Mitstreiter, der Chemieingenieur Michael Dirks: Weil für Haarfärbemittel keine Pigmente, sondern Farbstoffe (diese sind im Gegensatz zu Pigmenten löslich) verwendet werden, wurde von den Kosmetikherstellern für die nun verbotenen Pigmente kein Sicherheitsdossier bei der Echa eingereicht.
Doch wie groß ist die Gefahr wirklich? Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung verweist auf eine „vergleichsweise geringe Toxizität“– wenngleich die Datenlage noch „unvollständig“sei. Auch Dermatologen kommen zu keinem eindeutigen Schluss. Die Wiener Hautärztin Julia Garcia Reitböck sagt im „Presse“-Gespräch, es gebe einfach zu wenige Studien für eine abschließende Beurteilung.
Keine grundsätzliche Warnung
Einzelfälle, bei denen etwa Hautkrebs mit einer Tätowierung in Verbindung gebracht wurde, gibt es aber sehr wohl. „Farbe ist nun einmal etwas Chemisches, das bei einer Tätowierung injiziert wird – und das ist nicht unbedingt gesund“, so die Dermatologin. Dennoch würde Garcia Reitböck ihre Patienten nicht grundsätzlich vor einer Tätowierung warnen.
In der Tattoobranche herrscht ob der fehlenden Alternativen für die verbotenen Pigmente Ratlosigkeit. Die zweijährige Übergangsfrist sei sinnlos, betont Dirks. Denn: „Offenbar wurde nicht verstanden, dass Tätowiermittelhersteller nicht selbst Pigmente herstellen.“Stattdessen kaufen sie die Rohstoffe für Farben bei großen Produzenten wie dem Chemiekonzern BASF ein, die aber großteils andere Branchen wie die Autoindustrie beliefern. Die Abnahmen für Tätowierfarben seien zu gering, deshalb habe die Industrie kein Interesse an der Lieferung neuer Pigmente. „Wir haben Jahrzehnte darauf hingearbeitet, dass Tätowieren seriös wird“, klagt Dirks, „und dann kommt eine Verordnung, die das zunichtemacht.“