„Sag nie Käfig zu diesen Häusern“
Die Holzschreine des 1998 verstorbenen Zbynˇek Sekal zeigen den schmalen Grat zwischen Behausung und Beklemmung. Ein Gespräch mit der Witwe des Künstlers.
Das Schicksal der ersten großen Ausstellung von Zbynekˇ Sekal in Wien seit Jahrzehnten scheint wie die logische Fortsetzung der traurigen Geschichte des Prager Exilanten in dieser Stadt. Nie sei er hier wirklich heimisch geworden, erzählt seine Witwe, Christine. Wir treffen uns in der gläsernen Halle des Belvedere 21 – nur wenige Tage, nachdem die Museen wieder aufgesperrt haben, nur wenige Tage, bevor die Ausstellung am Sonntag (bei freiem Eintritt) wieder schließen wird.
Schon Ende August war sie eröffnet worden, aber immer wieder wurde sie durch Schließungen unterbrochen. Insgesamt war sie nur wenige Wochen zu sehen. Dabei war sie eine ganz besonders wundervolle, spontane Idee des Kurators Harald Krejci, der unter dem Eindruck des ersten Lockdowns erkannte, wie zeitgemäß die letzte Werkgruppe des 1998 in Wien verstorbenen Prager Avantgardisten doch ist. Wie intensiv unter den neuen Voraussetzungen diese so schön schäbigen, immer zarten hölzernen Käfige mit ihren unterschiedlichen, abstrakten Figuren in ihrer Mitte auf uns eingesperrte Wesen plötzlich wirken.
In Japan wusste er: Es sind Schreine
„Nicht Käfige, das wollte er auf keinen Fall so gesehen haben“, bessert einen Christine Sekal aus. Sie sollten offen sein, eher Behausungen, eigentlich Schreine. Ungefähr zeitgleich mit seiner Ankunft in Wien 1970 hat Sekal mit dieser Skulpturengruppe begonnen. Aber erst nach einer Japan-Reise wusste er auch, was sie bedeuteten, sagt Christine Sekal. Ihr Mann sei fasziniert gewesen von der japanischen Kultur, von den Tempeln. Dabei ging es ihm nicht um eine religiöse, mehr um eine existenzielle Bedeutung. Teils mit ironischen, humorvollen Facetten – wenn man etwa einen hölzern steifen „Schrein mit Glied“entdeckt. Oder einen „Schrein mit Hündchen“, in dem die Reste eines Plastikspielzeugs zu strampeln scheinen. In einem anderen erkennt man den Rest eines banalen Schneidbretts. Während in morschem, brüchigem Holz ein Kreuz erscheint – für den politisch links stehenden Sekal ein universelles Symbol.
Die Anbetung wird einem einmal leichter, einmal schwerer gemacht. Ästhetisch ist sie durchgehend möglich: Sekal verwendete sein ausschließlich gebrauchtes Material sehr sensibel, poetisch. In Tschechien war er geschätzt dafür, ist es bis heute. Sein eindrucksvolles Atelier steht voll aufgebaut als kleine Sensation in der Dauerausstellung der Nationalgalerie. Warum aber hat er Prag damals verlassen? Die Antwort liegt in der Tragödie seiner Jugend, erzählt seine Frau.
Sekal war mit einer Schülergruppe im Widerstand gegen die Nazis aktiv. Einer von ihnen muss wohl, wahrscheinlich unter „sehr schlimmen Umständen“, die anderen verraten haben. Aus der Schulstunde sei Sekal von der Gestapo abgeführt worden. Er landete nach einigen Stationen im KZ Mauthausen. Als Schreiber konnte er überleben.
Obwohl er kurz vor der Befreiung Panik hatte, dass gerade er und seine Kollegen noch erschossen würden, erzählt seine Frau. Schließlich hätten sie ja alles gewusst, die Lügen, die erfundenen Todesursachen. Als die Amerikaner aber schließlich anrückten, nahmen sich die Nazischergen keine Zeit mehr dafür und flohen. Sekal überlebte.
Von da an wusste er: Nie wieder würde er Gefangenschaft ertragen. Einige seiner Skulpturen, etwa der ausgemergelte Kopf eines Toten, erinnern daran.
Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings aber war ihm klar: Würde er bleiben, müsste er in den Widerstand gehen und könnte ins Gefängnis kommen. Also blieb ihm nur die Flucht, über Berlin nach Wien, wo er noch die meisten Künstlerfreunde hatte, wie Karl Prantl und Johann Fruhmann. Mehr als in Paris, wo er künstlerisch mit seinem Hintergrund aus tschechischem Surrealismus und Giacomettis Existenzialismus wohl besser aufgehoben gewesen wäre.
Anfangs scheint es ihm hier gut gegangen zu sein. Er bekam ein Atelier, stellte im Griechenbeisl aus, auch im damaligen 20er Haus – Direktor Alfred Schmeller schätzte ihn sehr (wie auch der langjährige „Presse“Kunstkritiker Christian Sotriffer). Wie interessant wären Kontakte zur jüngeren Generation gewesen! – Etwa zu Walter Pichler, dessen Konzept von Figur und Behausung dem seinen verwandt ist. Dazu aber kam es nicht. Am Montag wird begonnen, die Schreine in ihren ganz eigenen Lockdown zurückzubringen. Nur einige von ihnen reisen im Sommer wieder, zu einer Ausstellung nach Japan. Wir werden sie nicht mehr vergessen.
Bis 14. 2., 11–18 Uhr, freier Eintritt am Valentinstag.