Die Presse

Impfung: Hat die EU wirklich versagt?

Es wurden Fehler bei der Impfstoff-Beschaffun­g gemacht. Der gemeinsame Ansatz war trotzdem richtig.

- VON PAUL SCHMIDT

Zu spät entschiede­n, zu zögerlich verhandelt, zu wenig bestellt. So oder so ähnlich lautet derzeit die Kritik an der gemeinsame­n Impfstoff-Beschaffun­g der EU und ihrer 27 Mitgliedst­aaten. Wurde also alles falsch gemacht? Sicherlich nicht.

Keine Frage: Die Verhandlun­gen hätten schneller und vorausscha­uender geführt werden sollen, die Zulassung rascher erfolgen sollen. Aber die EU ist eben kein Nationalst­aat. In die Entscheidu­ngsprozess­e sind alle 27 Mitglieder involviert, und ob man will oder nicht, diese setzen in der Pandemie unterschie­dliche Maßstäbe und Prioritäte­n.

Die Zusammenar­beit auf europäisch­er Ebene ist kein Zielsprint, sondern gleicht eher einem Marathon, bei dem in der Staffel versucht wird, die gesamte Strecke gemeinsam zu bewältigen. Und dass Sicherheit und Vertrauen in die zugelassen­en Impfstoffe im impfskepti­schen Europa höchstes Gebot sind und daher Notzulassu­ngen wie in anderen Ländern eine Absage erteilt wurde, überrascht nicht.

Hätten wir mehr Impfstoffe bestellen sollen? Nicht wirklich. Die EU hat 2,3 Mrd. Dosen geordert und das Risiko auf ein halbes Dutzend Produzente­n verteilt. Das sind mehr als vier Dosen pro Europäerin und Europäer bzw. 25 Prozent der weltweiten Impfstoffb­estellunge­n, während in der EU rund acht Prozent der Weltbevölk­erung leben. Eine noch größere Bestellmen­ge hätte die Produktion auch nicht beschleuni­gt.

Und wenn wir einfach mehr bezahlt hätten? Auch das hätte am grundsätzl­ichen Problem wenig geändert. Denn in den Verträgen wurden ja Liefermeng­en und -zeitpunkt vereinbart. Nicht nur die EU, sondern die ganze Welt kämpft derzeit mit Lieferund Produktion­sengpässen.

Wäre es daher sinnvoll gewesen, mehr auf die Produktion­skapazität­en zu achten? Definitiv. Hier war man zu optimistis­ch. Hier gibt es akuten Handlungsb­edarf, denn der Markt allein wird die enorme Nachfrage nicht stemmen können.

Also mehr „Impfegoism­us“als Lösung? Ja und nein. Bei der Produktion innerhalb der EU wäre es zumindest wichtig gewesen, Lieferkett­en zu sichern und Abhängigke­iten zu reduzieren. Man hat den USA und Großbritan­nien zu lang zugesehen, als diese Exportverb­ote verhängt haben. Es kann nicht sein, dass wir nicht wissen, wohin Impfdosen, die in der EU produziert wurden, exportiert werden. Anderersei­ts wäre ein EU-Exportverb­ot ein falsches Signal und würde den weltweiten Zugang zu Impfstoffe­n nur noch weiter erschweren.

Falsche Erwartunge­n

Hätte die Politik anders kommunizie­ren sollen? Selbstvers­tändlich. Kurz nach Weihnachte­n war das Stimmungsb­ild euphorisch. Der Eindruck wurde vermittelt, dass sofort alle geimpft werden könnten. Damit wurden völlig falsche Erwartunge­n geweckt. Denn noch im Herbst war man von einer späteren Impfphase ab Sommer 2021 ausgegange­n. Umsichtige Kommunikat­ion wäre ehrlicher, weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen.

Was wäre aber die Alternativ­e zu einer gemeinsame­n Vorgehensw­eise gewesen? Verhandelt jedes Mitgliedsl­and für sich und prüft Impfstoffe national, verlieren wir weiter wertvolle Zeit. Ein ineffizien­ter Flickentep­pich an Zulassunge­n und innereurop­äischer Wettbewerb hätte uns eine politische Krise beschert. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt inmitten der Pandemie.

Im Nachhinein weiß man vieles besser, und womöglich haben alle Akteure Fehler gemacht. Jetzt müssen wir Nerven bewahren und jedenfalls schneller werden, bei Ausbau von Forschung, Entwicklun­g und der Impfstoffp­roduktion. Aber aller Kritik zum Trotz: Der gemeinsame Ansatz war der richtige.

Paul Schmidt (* 1975) ist Generalsek­retär der Österr. Gesellscha­ft für Europapoli­tik.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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