Christiane F. kommt aus Wien
Interview. Jana McKinnon spielt in der Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“: Wie sie vom „Kind der Wiener Filmakademie“zur neuen Christiane wurde.
Jana McKinnon spielt in der neuen Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.
Die Presse: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“– war Ihnen das ein Begriff?
Jana McKinnon: Mir war es ein Begriff, aber ich habe es nicht in der Schule lesen müssen. Ich habe mich irgendwann selber dazu entschlossen, es zu lesen, weil es ein Buch ist, das man mal gelesen haben sollte. Das war kurz nachdem ich nach Berlin gezogen bin, Mitte 2019. Ich war extrem mitgerissen, das Buch hat mich total in seinen Bann gezogen. Zwei Wochen später bin ich zum Casting eingeladen worden. Ich habe gar nicht gewusst, dass eine Serie darüber gemacht wird.
Produzent Oliver Berben hatte sich vier Wochen vor Drehbeginn noch für keine Christiane F. entschieden – und Sie in einem Video entdeckt.
Ich bin durch meine Agentur zum Casting eingeladen worden. Es war ziemlich knapp vor Drehbeginn, und ich habe mir gedacht, ich werde für eine Nebenrolle eingeladen, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass sie die Christiane noch nicht gefunden haben. Ich war komplett aus dem Häuschen, als ich gehört habe, dass ich für die Christiane vorsprechen darf. Es ist wahnsinnig schnell gegangen. Ich habe am Freitag davon erfahren, Samstag habe ich den Text in der Hand gehabt, Montag war ich dort, Dienstag haben sie mir Bescheid gesagt. Es hat mich hingesetzt, wirklich buchstäblich hingesetzt.
Wie nähert man sich der Figur?
Erst einmal habe ich natürlich die Drehbücher gelesen, dann den Film angeschaut – was für mich wahnsinnig interessant war, weil Natja Brunckhorst, die Christiane F. gespielt hat, beim Dreh 13 war. Ich war doch schon 20. Dieser kindliche Blick war für mich wichtig zu sehen. Und sonst? Ich hab mich wirklich reingenerdet und alles angeschaut und gelesen, was ich in die Finger gekriegt hab, Dokus, Spiel
filme, Erfahrungsberichte, Blogs, Videotagebücher von Leuten, die Entzug machen. Was für mich auch sehr wichtig war: Wir haben mit einer Choreografin gearbeitet und mit ihr ausprobiert, wie die Figuren tanzen. Das hat mir eine Tür aufgemacht.
Inwiefern?
Weil ich bei diesem Tanztraining die Rolle verstanden habe. Nämlich, dass das Tanzen für Christiane eine unglaubliche Freiheit bedeutet, die sie sonst nicht wirklich wo findet, außer später im Heroin. Und dass das Sound der Ort ist, an dem sie sich am meisten zu Hause fühlt, bei ihren Eltern ist es ja leider nicht so. Das Sound war der Lebensmittelpunkt der Kids, die da hingegangen sind, um sich zu treffen, zu tanzen, sich frei zu fühlen und auch, um zu vergessen, was sonst so passiert im Leben. Ich hab auch während des Drehs jeden Tag in der Früh getanzt, anders, als ich privat tanze. Um in die Rolle reinzuschlüpfen.
Im Hotelzimmer?
Genau. Oder in der Garderobe oder irgendwo am Klo, wenn es schnell gehen musste (lacht).
Warum ergibt es Sinn, diese Geschichte heute neu zu erzählen?
Weil die Themen universell gültig sind in unserer Gesellschaft, was das Erwachsenwerden betrifft. Das erste Mal sich verlieben, das erste Mal Sex haben, das erste Mal einen Rausch erleben. Freundschaften zu schließen, die einem wirklich etwas bedeuten, und Menschen zu finden, bei denen man sich zu Hause fühlt. Auch, sich von seinen Eltern zu emanzipieren.
Nur Heroin ist heute nicht mehr das große Thema. Drogen schon?
Die Generation von Christiane F. ist nicht mit der Aufklärungsarbeit aufgewachsen, die danach geleistet wurde. Wir sind aufgewachsen mit dem Gedanken, dass Heroin die schlimmste aller Drogen ist und Leben zerstört. Das war damals nicht so – das Buch hat unter anderem dazu geführt, dass überhaupt darüber gesprochen worden ist, dass es ein Problem gibt, dass Minderjährige in Berlin dem Heroin verfallen. Damals war es auf eine sehr verstörende Art und Weise hip, Heroin zu nehmen. Das ist heute nicht mehr so. Aber Drogen werden nach wie vor konsumiert. Ich habe eine Statistik gelesen: Die Hälfte aller Befragten in Deutschland zwischen 18 und 24 gibt an, mindestens einmal illegale Drogen konsumiert zu haben. Vor allem, wenn man in die USA schaut, ist die Opiatkrise ein Riesenthema. Es ist im Prinzip dasselbe wie Heroin, nur halt auf Rezept, wo eine Riesenindustrie dahintersteht und davon profitiert.
Sie haben mit vier zum ersten Mal einen Film gemacht, wie das?
Eine Freundin meiner Mutter hat an der Filmakademie studiert und mich für eine Regieübung „ausgeborgt“und dann auch einen Kurzfilm mit mir gemacht. Dann war es eine Zeit lang so, dass alle, die an der Filmakademie in Wien ein Kind gebraucht haben, mit mir gedreht haben. Irgendwann habe ich Peter Brunner kennengelernt, der mich für seinen Abschlussfilm besetzt hat, da war ich elf. Das war, glaube ich, der Film, der ausgelöst hat, dass ich auch auf dem Radar von Castern aufgetaucht bin, weil der Film auf Festivals gelaufen ist. Mit 15 habe ich eine Hauptrolle in einem Kinofilm bekommen – und mit dem Regisseur geredet, wann wir im Sommer denn drehen, weil ich noch einen Sommerjob machen wollte. Er hat mir dann erklärt, dass man fürs Schauspielen bezahlt wird. Bis dahin habe ich nicht gewusst, dass das etwas ist, was man beruflich machen kann.
Nach der Matura haben Sie entschieden, Schauspielerin zu bleiben?
Genau. Ich habe mich aber auch auf der Uni eingeschrieben und auch als Castingassistenz gearbeitet und gekellnert. Ich könnte nicht die ganze Zeit Vollzeit schauspielen. Weil ich die Kraft, die ich dafür brauche, sehr aus dem ziehe, was mich im Alltag inspiriert. Wenn ich keinen Alltag habe, fehlt mir die Basis, um das den Figuren geben zu können. Deshalb mache ich sehr bewusst Pausen zwischen den Projekten und bin sehr wählerisch in den Sachen, die ich annehme. Ich mache wirklich nur Sachen, wo ich mich komplett reinwerfen kann und will.
Sind Sie dann für die Schauspielerei nach Berlin gezogen?
Nicht wirklich, sondern weil ich ohnehin eine Zeit lang gefühlt jede Woche in Berlin war. Es war auch, um rauszukommen aus der Heimatstadt und mal etwas anderes zu erleben.
Was hat Sie an Berlin angezogen?
Dass Berlin anders pulsiert als Wien. Wien ist eine Stadt, die jeden Sonntag völlig ausgestorben ist, wirklich melancholisch verstimmt. In Berlin passiert immer etwas. Und was ich an Berlin mag, ist, dass es ein ganz anderes Verständnis gibt von gemeinschaftlichem Zusammenleben auf engem Raum. Dass die Leute selbstbewusst und aktiv ihre Umwelt gestalten, auch ohne zu fragen. Bei uns muss man zu jeder Behörde gehen, wenn man einen Blumentopf draußen auf den Gehsteig stellen möchte.