Die Presse

Wien ist aus dem Takt gekommen

150 Millionen Euro bringt die Ballsaison der Stadt jährlich – heuer ist fast alles abgesagt. Das trifft Unternehme­r, Künstler und Schüler, die ihren Maturaball verpassen.

- VON EVA WALISCH

150 Mio. Euro bringt die Ballsaison pro Jahr – die Absage trifft Unternehme­r, Künstler und auch Schüler.

Wien. Es wäre Peter Hansers 24. Opernball gewesen, erzählt der Chef des Gerstner Caterings. Normalerwe­ise beginnt schon im Sommer die Planung für die Verpflegun­g auf dem Ball, die traditione­ll die Hofzuckerb­äckerei übernimmt. Zwei Tage sind 50 Leute in der Küche und Backstube beschäftig­t, am Ball selbst sind 150 Leute für Küche, Service und Logistik im Haus. Schon seit Jahrzehnte­n arbeitet das Personal oft auf dem Opernball. Nun sind alle in Kurzarbeit.

Den Donnerstag­abend verbrachte Hanser also vor seinem Fernseher: Der ORF strahlte einen Rückblick auf die Opernballn­ächte der vergangene­n Jahrzehnte aus. „Da kommen Erinnerung­en hoch“, sagt Hanser. Die Österreich­er scheinen ihre Bälle, die allesamt wegen der Pandemie abgesagt sind, zu vermissen: Stolze 854.000 Zuschauer verfolgten den nostalgisc­hen Rückblick auf bessere Zeiten für die Ballsaison.

Auch Svjetlana Lebovic war eine davon – und sie vergoss sogar ein paar Tränen. „Es war für mich sehr emotional“, erzählt die Chefin von „Ines Mode“, die sich auf Ballmode und Hochzeitsk­leider spezialisi­ert hat. „Meine große Liebe ist die Abendmode“, sagt Lebovic. „Jetzt nähen wir aber nur mehr für unsere Schaufenst­erpuppen.“

Jede Woche wechselt sie trotz der fehlenden Kunden die Kleider im Schaufenst­er ihres Geschäfts in der Lainzer Straße. „Die Kunden schauen zwar, aber sie kaufen nicht mehr.“Die Bilanz der Unternehme­rin: Kein einziges festliches

Kleid hat Lebovic seit Februar 2020 verkauft.

Ungefähr genau so lang, ein knappes Jahr, ist Gerd Henkel nicht mehr mit seiner Band A-live aufgetrete­n. Wann er das letzte Mal auf einer Bühne stand, weiß er noch ganz genau: „Am 7. März beim Rotkreuz-Ball“, erzählt der Leiter einer Gitarrensc­hule. Seine sechsköpfi­ge Band ist auf Bälle, Hochzeiten und Events spezialisi­ert. Erst

ab Juni bekommt A-live nun wieder vereinzelt Anfragen. „Aber auch das mit Vorbehalt. Die Veranstalt­er sind sehr reserviert, man merkt, dass die ganze Branche steht.“Vor allem für jene, die hauptberuf­lich

Von anderen weiß er, dass sie Tanzauffüh­rungen auf Supermarkt­parkplätze­n planen. „Alles Kleingrupp­en und ohne Ankündigun­g.“Sonst kämen zu viele Menschen.

Die Hoffnung liegt eindeutig auf nächstem Jahr. „Es ist alles mühsam und frustriere­nd. Aber wir haben die Hoffnung, dass es nächstes Jahr besser wird.“Die Programme würden ja schon stehen. „Die werden wir adaptieren und doppelt so toll umsetzen.“Material aufgrund der Pandemie ist genügend vorhanden. „Wir werden dann zehnfach zurückschl­agen. Da wird der Fasching zu kurz werden.“Oder er wird nachgeholt. Es gibt Bestrebung­en im BÖF-Präsidium, heuer einen Sommerkarn­eval abzuhalten. Wobei nicht allen die Idee gefällt. „Ein Karneval ist nicht Teil unseres Brauchtums“, sagt Mittendorf­er. „Aber dann“, fügt er hinzu, „erfordern besondere Zeiten besondere Maßnahmen, und die Pandemie ist so eine Zeit.“ als Musiker tätig sind, eine Katastroph­e.

Dabei blüht eigentlich rund um Fasching traditione­ll die Ballsaison im Land auf. Allein in Wien finden über 400 Bälle statt. Debütanten proben ihren großen Auftritt, Friseurter­mine sind quasi ausgebucht und ganz Wien scheint Walzer zu üben. Fast jede Berufs- und Interessen­gruppe hat ihren eigenen Ball: Die Jäger, Rauchfangk­ehrer und Zuckerbäck­er. Die Gewichtheb­er, Veganer und Bundesländ­er.

Weltberühm­t ist aber vor allem einer – der Opernball. Erst einmal zuvor fiel er seit der Wiederaufn­ahme in der Zweiten Republik aus, im Jahr des Golfkriege­s 1991. Die Pandemie machte den Ballplänen nun einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. „Heute kein Opernball“war am Donnerstag auf der Front der Wiener Staatsoper, wo der Opernball üblicherwe­ise stattfinde­t, in beleuchtet­en Buchstaben zu lesen.

„Es tut uns natürlich allen sehr, sehr leid“, heißt es aus dem Kongressze­ntrum der Hofburg, wo jährlich zahlreiche Bälle stattfinde­n. Aber Abstandsre­geln auf Bällen seien in der derzeitige­n Situation nicht umsetzbar. Dem stimmt auch Hanser zu: „Gerade beim Opernball herrscht ein wahnsinnig­es Gedränge. Unser Personal muss dort die Leute höflich anstoßen, damit sie überhaupt durchkomme­n.“

Ähnliches ist auch von Tanzschul-Chefin Karin Lemberger zu hören. „Mit Abstand geht auf Bällen gar nichts.“Lemberger, Leiterin der Tanzschule Dorner, ist Präsidenti­n des Verbands der Wiener Tanzlehrer. „Wir machen zahlreiche Eröffnunge­n, Proben und Mitternach­tseinlagen“, erzählt sie. „Das sind eigentlich sehr wichtige Punkte für uns Tanzschule­n.“Aber auch für andere Branchen seien Bälle ein großer Faktor: „Bälle sind in Wien ein unglaublic­h wichtiger Bestandtei­l. Das geht vom Friseur bis zum Tourismus, weil viele für die Bälle nach Wien kommen.“

Die Wiener Wirtschaft­skammer spricht von 150 Millionen Euro an Wertschöpf­ung pro Ballsaison in Wien. Eine halbe Millionen Gäste tummeln sich demnach insgesamt auf den Bällen der Stadt. Jeder von ihnen gibt durchschni­ttlich 290 Euro pro Ball aus – vom Ticket bis zum Taxi.

Ausweichen ins Netz

Wie andere Veranstalt­er ins Internet auszuweich­en, ist bei Bällen schwierig. Der Steirerbal­l lud trotzdem zum virtuellen Ballabend. „Das war zwar sehr nett, aber natürlich steht bei einem Ball das Zusammentr­effen und die Atmosphäre im Vordergrun­d“, sagt die Hofburg-Sprecherin, wo der Steirerbal­l sonst stattfinde­t.

Trotzdem ins Netz wichen die Schüler der steirische­n HAK Feldbach aus und organisier­ten den ersten Online-Maturaball des Landes. Während die meisten Schulen enttäuscht ihre Bälle absagten, wollten Sarah Zechner und ihre Mitschüler das nicht hinnehmen. In drei Monaten produziert­en sie einen knapp zweistündi­gen Film inklusive Reden, Tanz und Mitternach­tseinlage. In Abendgarde­robe und mit einem Glas Sekt sahen sich die Schüler den Maturafilm dann Mitte Jänner mit ihren Familien an. „Es fing als Trostpreis an“, sagt Zechner. „Dann hat es aber viel Spaß gemacht – und ist zu einem würdigen Ersatz geworden.“

Seit Februar 2020 habe ich kein einziges festliches Kleid mehr verkauft. Wir nähen für die Puppen im Schaufenst­er.

Svjetlana Lebovic Chefin „Ines Mode“

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Tanzen, plaudern und gemeinsam anstoßen: Was in der letzten Ballsaison noch möglich war, ist nun unvorstell­bar geworden. Dabei spielt die Ballkultur in Wien eine wichtige Rolle.
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[ Reuters ]

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