Wirecard observierte Kritiker
Bilanzskandal. Manipulation von Börsenkursen, Observation und Bedrohung von Kritikern und der Konkurrenz – dafür wurde eine Wiener Detektei von Wirecard bezahlt. Der „Presse“liegen Unterlagen über die Geheimaktionen vor.
Manipulation und Bedrohung: Der „Presse“liegen Unterlagen über Geheimaktionen vor.
Wien. Wirecard ließ sich die Sanierung des angekratzten Rufs viele Millionen Euro kosten. Agenturen in ganz Europa zogen in PRSchlachten, die sie am Ende nicht gewinnen konnten. Der Verdacht eines gigantischen Bilanzbetrugs in Höhe von 1,9 Milliarden Euro hat sich erhärtet. Ein Ex-Vorstand ist auf der Flucht. Nicht alle dieser PR-Profis kämpften fair. Auch eine Wiener Privatdetektei hatte einen Auftrag – und agierte mit fragwürdigen Methoden.
Der Versuch, Börsenkurse zu manipulieren, das Ausforschen und Observieren von Gegnern, mehr oder weniger subtile Drohungen – das war offenbar das Geschäft, das die Wiener Detektei für Wirecard erledigte. Neben Zeugenaussagen liegen der „Presse“umfangreiche Dokumente vor, die das Treiben skizzieren. Die Detektei wurde zum Zeitpunkt des Auftrags von zwei ehemaligen Staatsbediensteten aus Exekutive und Militär betrieben.
„Die Kunst der Täuschung“von Kevin Mitnick ist ein Bestseller, der von Social Engineering und Betrugsmaschen handelt. Mitnick war einst der meistgesuchte Verbrecher der USA. Sein Buch musste jeder Mitarbeiter der Wiener Detektei studieren.
Feindbeobachtung im Netz
Die Mitarbeiter bauten etwa Avatare. Mit Fotos von „schönen Russinnen, weil man auf die aufmerksam wird, haben sie uns gesagt“, erzählen ehemalige Mitarbeiter. Tiefgang sollten die Fake-Profile haben, wurde eingebläut. Manche dieser Avatare finden sich noch im Netz und sind täuschend echt. Mit den FakeProfilen war man auf Social-MediaPlattformen wie Twitter und Facebook und in Börsenforen wie Wallstreet oder Ariva unterwegs. Jeden Tag wurden Wirecard-freundliche Posts abgesondert. Gegner und Kritiker wurden beschimpft und diskreditiert. Über die Tätigkeit wurden Berichte angefertigt. Die wahren Identitäten hinter kritischen Usern herauszufinden, war neben der Feindbeobachtung eine Hauptaufgabe. „Uns wurde gesagt, wir wehren uns nur gegen Menschen, die dem Unternehmen zu Unrecht schaden“, heißt es von jenen, die das betrieben haben. „Wir haben das geglaubt.“
Umsetzungspläne liegen der „Presse“vor. Ziel war, eine freundschaftliche Beziehung zu simulieren. Dafür sollte man zu Beginn etwas Persönliches herausfinden, den Musikgeschmack etwa. Hatte man das geschafft, wurde das Gespräch vertieft und eine Vertrauensbasis aufgebaut. Irgendwann kam ein Angebot, ein Geschenk zu schicken – etwa eine seltene Platte der Lieblingsband. So wurde die Wohnadresse erfragt, die für Observationen benötigt wurde. Wenn die Platte an eine Firmenadresse versandt werden sollte, wurde diese mit einem Tracker versehen.
Auch in der echten Welt wurden Kritiker verfolgt, erzählt ein „Presse“-Informant. Mitarbeiter der Detektei besuchten einschlägige Messen oder gewisse Aktionärsveranstaltungen, fotografierten die Konkurrenten und ihre Kunden, erstellten Profile.
Peilsender im Einsatz
In manchen Fällen wurden die Recherchen mit Beschattungen vertieft. Zu diesem Zweck wurden auch Tracker an Autos geheftet. Die Detektive arbeiteten mit Wegwerfhandys.
Die Tätigkeit der Detektei beschränkte sich nicht nur auf Wien. Auch in London habe man sich an die Fersen von einflussreichen Börsenmanagern geheftet, sagen ehemalige Mitarbeiter. In New York soll in der Nähe einer Hedgefonds-Managerin eine Wohnung gemietet worden sein. Außerdem habe man von Partneragenturen im Ausland umfassende private Kommunikation wie Mails und SMS von Wirecard-Kritikern bekommen. Sie liegen der „Presse“vor. Damals wurde nicht gefragt, woher diese Daten kommen, „heute glaube ich, sie waren gestohlen“, sagt ein „Presse“-Informant.
Es soll auch zu Drohungen gegen Wirecard-Kritiker gekommen sein, um sie mundtot zu machen.
Dafür habe man sich einer BikerGang bedient, deren Mitglieder in Wien als Türsteher oder Drogendealer tätig sind. Der Chef der Detektei sei mit dem Gang-Boss befreundet gewesen, heißt es. „Die Presse“konfrontierte die Detektei mehrfach mit den Vorwürfen, bat um ein Gespräch, es kam keine Rückmeldung. Einer der beiden Projektleiter ist heute nicht mehr an der Firma beteiligt. Er lebt im arabischen Raum und beschäftigt sich mit Kryptowährungen. Auch er antwortete nicht auf Anfragen der „Presse“.
Journalisten diskreditiert
Es handelt sich übrigens um dieselbe Firma, die Heinz-Christian Strache engagierte, um Ex-FPÖKlubobmann Johann Gudenus beschatten zu lassen. Strache glaubte, Gudenus habe die Ibiza-VideoFalle eingefädelt.
Die Vorgehensweise der Wiener Detektei passt ins Bild, wie Wirecard gegen unliebsame Kritiker vorgegangen ist. Auch Journalisten wurden systematisch diskreditiert und fertiggemacht – Journalisten der „Financial Times“kämpften viele Jahre erbittert gegen die Wirecard-Methoden. Wie wichtig dem flüchtigen Wirecard-Chef Jan Marsalek mediale Steuerung und das Bild in der Öffentlichkeit war, das zeigen auch der „Presse“vorliegende Telegram-Chats mit seiner für Finanzen zuständigen Mitarbeiterin. Er sprach ständig darüber, was Medien berichten, oder planen zu berichten. Aus den Chats nährt sich der Verdacht, dass Marsalek auch in den Redaktionen Informanten hatte, die ihn über geplante Medienberichterstattung in Kenntnis setzten.