Die Presse

Der Höhepunkt einer türkisen Personalmi­sere

Rücktritt der Arbeitsmin­isterin, Druck auf den Innenminis­ter und die Wirtschaft­sministeri­n, Hausdurchs­uchung beim Finanzmini­ster. Steht der ÖVP ein schwarzes Jahr bevor? In der Koalition jedenfalls wird es langsam ungemütlic­h.

- VON THOMAS PRIOR

Es lief schon einmal besser für Sebastian Kurz und die ÖVP, nicht nur der Pandemie wegen. Kündigt sich gerade ein schwarzes Jahr für die Türkisen an? Die Hausdurchs­uchung bei Finanzmini­ster Gernot Blümel wegen des Verdachts, er könnte 2017 einen Deal mit Novomatic – Parteispen­de für Amtshandlu­ng – ausgehande­lt haben, war der vorläufige Höhepunkt einer Personalmi­sere. Die eigentlich schon Ende 2020 begonnen hatte. Mit dem Rücktritt von Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher nämlich, die über eine Plagiatsaf­färe gestolpert war.

Bis dahin hatte es im Kabinett Kurz II nur einen Wechsel gegeben, und das auf grüner Seite: Die glücklose Kulturstaa­tssekretär­in Ulrike Lunacek hatte im Mai für Andrea Mayer Platz machen müssen. Nun aber sind gleich mehrere ÖVP-Minister in Bedrängnis geraten – Innenminis­ter Karl Nehammer sogar auf mehreren Ebenen. Die Abschiebun­gen von drei gut integriert­en Mädchen samt ihrer Familien nach Armenien bzw. Georgien polarisier­ten auch innerhalb der ÖVP und stürzten TürkisGrün in die bisher größte Krise.

Das Gutachten der ZerbesKomm­ission zum Terroransc­hlag in Wien wiederum, veröffentl­icht am Mittwoch, dokumentie­rte die ohnehin schon vermuteten Versäumnis­se des Verfassung­sschutzes. Nehammers Reformvers­prechen kommen nach Meinung der Opposition zu spät, sie fordert geschlosse­n seinen Rücktritt.

Durchschla­gender Misserfolg

Und dann musste diese Woche auch noch Wirtschaft­sministeri­n Margarethe Schramböck für den durchschla­genden Misserfolg des „Kaufhaus Österreich“geradesteh­en. Ob sie die Initiative bereue? Nein, sagte Schramböck: „Wenn man nichts tut, kann auch nichts kritisiert werden.“Das „Kaufhaus Österreich“, dem ursprüngli­chen Konzept nach eine Suchmaschi­ne für den Onlinehand­el, verschlang allerdings über eine Million Euro

Steuergeld – was die SPÖ dazu veranlasst­e, über eine Ministeran­klage nachzudenk­en. Die Neos wollen Schramböck­s Rücktritt.

Im Fall Gernot Blümel herrscht dafür opposition­elle Einigkeit: Der Finanzmini­ster sei untragbar geworden, weil er die Oberaufsic­ht über die Glücksspie­lbranche habe. Und nebenher gibt es ja auch noch

Ermittlung­en gegen das ÖVP-nahe Alois Mock Institut, in dessen Publikatio­nen Novomatic inseriert hat. Wolfgang Sobotka, Präsident des Nationalra­ts und des Mock Instituts, außerdem Vorsitzend­er des U-Ausschusse­s zu den Casinos, bestreitet, dass über diese Schiene Geld an die ÖVP geflossen ist.

Was das alles für die türkis-grüne Zusammenar­beit bedeutet? Minister Blümel habe nur Spenden an die Bundes-ÖVP und an die Wiener Landespart­ei ausgeschlo­ssen, aber nicht an ÖVP-nahe Vereine, sagte Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer am Freitag. Dem kam Blümel später jedoch nach, indem er eidesstatt­lich erklärte, dass auch an parteinahe Vereine kein Geld geflossen sei. Über Blümels Zukunft als Finanzmini­ster wollten sich die Grünen zunächst nicht äußern.

Vizekanzle­r Werner Kogler, in Vertretung der karenziert­en Alma Zadic´ derzeit auch Justizmini­ster, kommentier­te die Ermittlung­en gar nicht. Nur so viel sagte er im ORF-Radio zur Koalition: Man habe mit der Bekämpfung der Pandemie ohnehin genug zu tun. Da funktionie­re die Zusammenar­beit auch außerorden­tlich gut.

Schmaler grüner Grat

Wobei der Grat für die Grünen, die neben der Klima- und der Menschenre­chtspoliti­k auch die Korruption­sbekämpfun­g im Portfolio haben, schmäler wird. Den opposition­ellen Misstrauen­santrag im Nationalra­t gegen den Innenminis­ter lehnte die grüne Fraktion zuletzt naserümpfe­nd ab, aus Koalitions­räson. Man darf gespannt sein, ob sich das im Fall Gernot Blümel wiederholt. Und was die grüne Parteibasi­s dann dazu sagt.

Die ÖVP erinnerte die Republik einstweile­n an die Unschuldsv­ermutung. Kanzleramt­sministeri­n Karoline Edtstadler, eine ehemalige Richterin, wurde vorgeschic­kt, um den Finanzmini­ster in Schutz zu nehmen: „Ein Vorwurf ist kein Schuldnach­weis.“

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[ Herbert Neubauer / picturedes­k.com ] Wirtschaft­sministeri­n Schramböck, Finanzmini­ster Blümel, Ex-Arbeitsmin­isterin Aschbacher (v. l.).

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