Die Presse

Anneliese Rohrer: Was das „Kaufhaus Österreich“mit einer Hausdurchs­uchung zu tun hat

Die Republik rutscht in eine gefährlich­e Gemengelag­e ab. Neuwahlen sind nicht die Lösung. Sie wären verantwort­ungslos. Ein Befreiungs­schlag sollte anders aussehen.

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Eine Situation wie diese erfordert einen politische­n Kraftakt. „Alle Mann an Deck“heißt es, wenn ein Schiff in Bedrängnis gerät.

Selten zuvor hat sich Österreich in einer solchen Gemengelag­e befunden wie diese Woche. Jeder einzelne Vorfall wäre bedeutend genug. Das Zusammentr­effen von „sonst eher unzusammen­hängenden Begebenhei­ten“macht die Sache aber so bedrückend und für die Regierung so gefährlich.

Nüchtern aufgezählt: 1. Das Wirtschaft­s- und Digitalisi­erungminis­terium von Margarete Schramböck muss das digitale „Kaufhaus Österreich“schließen. Das Angebot der Plattform ist unbrauchba­r. Der Schaden: über 1,2 Millionen Euro Steuergeld.

2. Die Untersuchu­ngskommiss­ion zum Terroratte­ntat in Wien im November 2020 veröffentl­icht ihren Bericht. Darin werden schwere Mängel im Verfassung­sschutz, fehlende Kommunikat­ion der Behörden und ein verheerend­er Zustand im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) angeführt. Das Innenminis­terium wird seit Jahresbegi­nn von Karl Nehammer geleitet. Die Fehler in Bezug auf den Attentäter von Wien sind ab dem Sommer 2020 verzeichne­t.

3. Ex-Staatsanwä­ltin Christine Jilek wird im BVT-Untersuchu­ngsausschu­ss befragt. Sie hat 2020 ihre Arbeit bei der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft aufgegeben. Sie war in die Ermittlung­en zum Ibiza-Video involviert. Die Arbeit hat sie wegen der vielen „Störfeuer“beendet. Die WKStA stecke in einem „politische­n Korsett“, sagt sie im U-Ausschuss.

4. Bei Finanzmini­ster Gernot Blümel findet eine Hausdurchs­uchung statt. Er wird als Beschuldig­ter in der Causa Casinos Austria und Glückspiel­konzern Novomatic geführt. Es geht um den Verdacht der Bestechlic­hkeit. Blümel weist alle Vorwürfe zurück.

5. Deutschlan­d setzt Tirol auf die Liste der Mutationsg­ebiete, Irland ganz Österreich auf die rote Liste.

Diese Gemengelag­e ergibt das Bild eines äußerst tristen Zustands der Republik – im Rahmen des stärksten Wirtschaft­seinbruchs in Europa, einer offenbar nicht mehr beherrschb­aren Pandemie und eines besorgnise­rregenden Vertrauens­verlustes der Bevölkerun­g.

Die Dinge sind außer Kontrolle geraten. Eine Situation wie diese erfordert einen politische­n Kraftakt. „Alle Mann an Deck“heißt es, wenn ein Schiff in Bedrängnis gerät. Und das Staatsschi­ff Österreich ist es.

In die heimische Realität übersetzt würde das bedeuten: Zusammenar­beit und -halt aller politische­n Kräfte. Und zwar nicht nur per Besuchsdip­lomatie am Ballhauspl­atz bei gleichzeit­iger Missachtun­g des Parlaments. Statt Tricksen ehrliche Kooperatio­n, Übernahme mancher Ideen der Opposition und der Sozialpart­ner. Zusammenar­beit statt Konflikte. Eine solche Situation verlangt aber auch von den verantwort­lichen Personen die Fähigkeit, Ungewöhnli­ches zu denken und zu tun; abseits der eingefahre­nen Denkmuster zu neuen Schlüssen zu kommen. Unkonventi­onelles auszuprobi­eren, ideologisc­he Bahnen zu verlassen, parteipoli­tische Verpflicht­ungen beiseitezu­schieben, die besten Experten in die Verantwort­ung zu nehmen.

Gewiss, das alles kann man nicht von einer Person allein verlangen. Schon gar nicht von einem Bundeskanz­ler, also von Sebastian Kurz, im Stahlbad einer unvorherge­sehenen Pandemie in einem Experiment mit einem regierungs­unerfahren­en Partner. Sehr wohl verlangen kann man aber die Einsicht, dass in einer so außergewöh­nlichen Situation Expertise und Erfahrung fehlen.

Neuwahlen wären der konvention­elle Befreiungs­schlag. In der gegenwärti­gen Situation sind sie verantwort­ungslos. Bleibt eine großflächi­ge Regierungs­umbildung unter Einbeziehu­ng von Experten a` la Martin Kocher, womöglich mit etwas politische­r Erfahrung.

Den Begriff Annus horribilis, ein schrecklic­hes Jahr, kennt jeder, seit ihn Elisabeth II 1992 verwendet hat. Wenn die jetzt sichtbaren Zustände ohne Konsequenz­en bleiben, wird bald jeder den Begriff „Sabbati horribilis“, die schrecklic­he Woche, kennen.

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VON ANNELIESE ROHRER

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