Mario Draghi, der „Retter“Italiens
Mario Draghi, Ex-Chef der EZB, eint – vorerst – Italien. Er kann als designierter Premier auf breite, parteiübergreifende Unterstützung zählen. Doch wie lang währen die Flitterwochen?
Rom. Normalerweise zeichnet sich das italienische Politikgeschehen durch jede Menge Streit und Machtkämpfe aus. So wirkt es fast schon unheimlich, was sich in den vergangenen Tagen im Land zugetragen hat: Seitdem Staatspräsident Sergio Mattarella den ehemaligen Präsidenten der europäischen Zentralbank, Mario Draghi, mit der Regierungsbildung beauftragt hat, sind sich plötzlich alle überraschend einig.
Das gesamte politische Spektrum steht hinter Draghi vereint. Am Donnerstagabend reihte sich mit den populistischen Fünf Sternen nun auch die im Parlament zahlenmäßig größte Partei in die Riege der Unterstützer ein. Obwohl die Partei auf einem AntiEstablishment-Versprechen basiert, befürworteten in einem Online-Votum zuletzt 60 Prozent der Mitglieder eine Kooperation mit der Draghi Regierung. Seinem Amtsantritt in den kommenden Tagen steht damit nichts mehr entgegen. Selbst die rechten Oppositionsparteien Forza Italia unter Silvio Berlusconi und die derzeit bei Wählern beliebteste Partei, Matteo Salvinis Lega, sicherten Draghi ihre Unterstützung zu. Die einzige Ausnahme bildete die Außen-rechtsPartei Fratelli d’Italia unter der Chefin Giorgia Meloni. Sonst sind alle überzeugt: Draghi soll Italien retten, das Land aus der politischen Sackgasse herausführen, in die es die Parteien zuletzt bugsiert hatten.
Der ehemalige italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, der mit seiner KleinstPartei Italia Viva den Anstoß zu der Regierungskrise gegeben hatte, die schließlich zu Draghis Ernennung führte, fasste in einem Interview mit der französischen Zeitung „Le Monde“die Begeisterung zusammen: „Mario Draghi ist ein äußerst kompetenter und sehr hart arbeitender Mann und vor allem ist er zuverlässig. Als Italiener hat er den Euro gerettet. Als Europäer wird er Italien retten.“
Renzis Kommentar zeigt auch, dass hinter der Euphorie für Draghi große Hoffnungen ruhen. Auch wenn bisher nur sehr wenige Details darüber durchgesickert sind, wie genau der ehemalige Manager die vielen Baustellen in Italien angehen will, wird ihm ein großer Vertrauensvorschuss entgegengebracht. Dahinter steht die Erwartung, dass Draghi, der auch von Europas Spitzenpolitikern hoch geschätzt wird, es einerseits schaffen wird, die dringend nötigen Reformen anzustoßen und gleichzeitig erfolgreich Italiens Interessen in Brüssel zu verteidigen.
Wirtschaft auf Kurs bringen
Diese beiden Aspekte gehen derzeit mehr denn je Hand in Hand. Denn die erste große Aufgabe, die Draghi bewältigen muss, ist die Neuformulierung des Verwendungsplans für die EU-Milliarden, die Italien aus dem Corona-Wiederaufbaufonds Next Generation EU erhalten wird.
Italien hat Anspruch auf 209 Milliarden Euro aus Zuschüssen und Krediten und ist damit der größte Profiteur des Plans. Doch bevor die EU-Milliarden nach Rom fließen, muss Brüssel Italiens Verwendungsplan abnehmen. Dieser war zuletzt der größte Streitpunkt in der Regierungskoalition gewesen, weil Uneinigkeit über die Verwaltung der Gelder herrschte. Ein Versickern der Hilfen könnte sich Italien nicht leisten. Zu dringend werden die EU-Milliarden benötigt, um die Infrastruktur zu erneuern, Reformen der Bürokratie und des Justizwesens anzustoßen und um die Wende hin zu einer digitaleren und grüneren Wirtschaft zu schaffen. Ziel ist es, erfolgreich die Weichen für die Zukunft zu stellen. Nur den Status von vor der Pandemie wiederherzustellen, wäre fatal, denn Italien hat sich nie vollends von der Eurokrise 2008 erholt.
Neben der Formulierung des Verwendungsplans muss Draghi es auch schaffen, das Land weiterhin durch die Pandemie zu navigieren und die langsame Impfkampagne zu beschleunigen. Ob er diesen Aufgaben gewachsen ist, wird sich zeigen. Klar ist, dass sich die breite Unterstützung der Parteien schnell ausdünnen wird, sobald sein Regierungsprogramm Form annimmt und er die ersten Reformen angeht. Denn dabei weiterhin das gesamte politische Spektrum zufriedenzustellen, erscheint unmöglich.
Als Italiener hat er den Euro gerettet. Als Europäer wird er Italien retten.“Der italienische ExPremier Matteo Renzi über Mario Draghi