Österreich ohne Optimismus
Die Haltung zu Europa (und zur Lage daheim) ist 2020 gekippt – und das gegen einen allgemein positiven EU-Trend.
Wien. Dass sich eine Krise wie die Coronapandemie auf die Stimmungslage der EU-Bürger auswirken würde, war zu erwarten – nicht so eindeutig vorherzusehen war es hingegen, dass die Seuche das Image der EU und die Zustimmungsraten zur EU-Mitgliedschaft heben würde. Genau das ist allerdings im Lauf des Vorjahrs eingetreten, wie eine am gestrigen Frei
tag veröffentlichte EurobarometerUmfrage belegt. In diesem insgesamt positiven Gesamtbild gibt es nur einen einzigen negativen Ausreißer: Österreich.
Beim Eurobarometer handelt es sich um das Flaggschiff der europäischen Meinungsforschung. Seit den 1970er-Jahren werden in allen Mitgliedstaaten regelmäßig repräsentative Umfragen durchgeführt. Bei der gestrigen Sonderstudie wurden im Auftrag des Europaparlaments im November/Dezember 2020 EU-weit 27.000 Personen befragt – 1024 davon hierzulande. Der Befund scheint eindeutig: Mit der Ankunft der Seuche ist die Stimmung in Österreich regelrecht gekippt. Von „tu felix Austria“fehlt mittlerweile jegliche Spur.
Der Kontrast zwischen Österreich, dem benachbarten Deutschland und dem Rest der EU ist stark. Während 60 Prozent der Deutschen (ein Plus von zwölf Prozent gegenüber der Vergleichsumfrage von November 2019) und 50 Pro
zent der EU-Bürger (+10 %) die EU in einem positiven Licht sehen, sind es hierzulande lediglichg 36 Prozent (–5 %). Damit ist Österreich das Schlusslicht im Ranking – und neben Dänemark (–4 %) das einzige Unionsmitglied, in dem die EU im Vorjahr an Ansehen verloren hat. Diese Kluft ist tief, denn der EU-Durchschnitt von 50 Prozent ist zugleich der beste Imagewert für die Union seit dem Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise 2007/2008.
Auch was die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft anbelangt, steht Österreich schlecht da: 41 Prozent der Befragten hielten hierzulande die Mitgliedschaft für eine gute Sache, während es in Deutschland 81 Prozent und EU-weit 63 Prozent waren. Nur in Italien ist die Zustimmung zur Unionsmitgliedschaft mit 39 Prozent niedriger. Allerdings legte sie dort leicht zu, während sie hierzulande um acht Prozent abnahm – ebenfalls ein Negativrekord. Italiener und Österreicher waren mit 52 bzw. 55 Prozent auch Schlusslichter bei der Frage, ob ihr Land von der EUMitgliedschaft profitierte, während etwa in Deutschland 78 Prozent, in den Niederlanden 79 Prozent und in Dänemark 82 Prozent der Befragten eine positive Antwort gaben.
Frugales Misserfolgserlebnis
Apropos Niederlande und Dänemark: Die beiden Nordländer hatten im Vorjahr ggemeinsam mit Schweden und Ös terreich die Gruppe der „Frugalen Vier“gebildet, um sich – schlussendlich vergeblich – gegen Finanzhilfe für die von der Pandemie am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten zu stemmen. Diese Erfahrung dürfte zum subjektiven EU-Imageverlust zumindest beigetragen haben. Ein Indiz für diese These: Der Anteil jener, die Ende 2020 davon überzeugt waren, dass die Stimme ihres Landes in der EU kein Gehör finde, ist in allen vier Ländern gestiegen – und EU-weit stabil geblieben. Die Niederlage der Frugalen bei der Abwehr des 750 Mrd. Euro schweren Corona-Hilfsfonds kann allerdings nicht die einzige Antwort sein – denn anders als in Österreich und Dänemark hat sich das Image der EU in den Niederlanden und Schweden gebessert.
Es gibt allerdings einen Faktor, der Österreich von den drei anderen Sparsamen unterscheidet: nämlich die Schneise der Verwüstung, die Covid-19 in der vom Tou
rismus überdurchschnittlich stark abhängigen österreichischen Wirtschaft hinterlassen hat. Dieses negative Phänomen wurde erstmals bei der im Sommer 2020 durchgeführten, umfangreicheren Eurobarometer-Umfrageg sichtbar: Damals verzeichnete Österreich mit einem Plus von elf Prozent (auf 27 %) den EU-weit höchsten Anstieg der Befragten, die die finanzielle Lage ihres Haushalts als schlecht beschrieben. Und der Anteil der Österreicher, die sich um die heimische Wirtschaft Sorgen machten, verdreifachte sich nahezu von 22 auf 63 Prozent.