Die Presse

„Binnen weniger Monate adaptierte Impfstoffe zulassen“

Hans-Georg Eichler, Chefmedizi­ner der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur, über Kritik an der Behörde, Mutanten und Sputnik V.

- VON ULRIKE WEISER

Die Presse: Kanzler Sebastian Kurz hat die EMA „langsam und bürokratis­ch“genannt. Hat er recht? Auch EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen will die Zulassung von CovidImpfs­toffen beschleuni­gen. Hans-Georg Eichler: Darf ich daran erinnern, dass es noch vor wenigen Monaten geheißen hat, die Gefahr sei, dass die EMA zu schnell arbeitet? Dass Rasch-rasch-Zulassunge­n Wasser auf die Mühlen der Impfskepti­ker wären? Deshalb gab es den Konsens, dass wir in Europa keine Notfallzul­assungen, sondern ein Standardve­rfahren durchführe­n, damit wir sichere und wirksame Impfstoffe haben. Nun hören wir, dass wir zu langsam sind. Ich denke, unsere Strategie war richtig und wir werden dabei bleiben. Das heißt nicht, dass wir nicht so schnell, wie das verantwort­ungsbewuss­t möglich ist, arbeiten müssen. Wir beschleuni­gen bereits den Prozess durch das rollende Bearbeitun­gsverfahre­n, bei dem wir den Firmen erlauben, uns laufend Datenpaket­e zu schicken und nicht erst ein Gesamtpake­t zum Schluss. Und wir überlegen bereits mit anderen Registrier­ungsbehörd­en, wie wir künftige Impfstoffe, die vermutlich Variatione­n der jetzigen sein werden, möglichst rasch zulassen.

Könnten diese rolling reviews der Normalfall werden?

Sie sind sinnvoll, wenn ein hoher Therapiebe­darf besteht und die Daten vielverspr­echend sind. Aber sie sind sehr arbeitsauf­wendig und wir haben begrenzte Ressourcen. In Notfallsit­uationen wie dieser bündelt man alle Kräfte, aber auf Dauer kann man das nicht leisten.

Oder man fordert mehr Personal.

Da die EMA als Netzwerk der nationalen Registrier­ungsbehörd­en arbeitet, hieße das allerdings, man müsste sehr breit aufstocken.

Gab es politische­n Druck? Anrufe der österreich­ischen Regierung?

Nein. Ich sehe es auch nicht als politische­n Druck, wenn jemand sagt, dass wir schneller arbeiten sollen. Politische­r Druck wäre für mich, wenn man uns vorschreib­en will, wie wir entscheide­n sollen. Und so etwas ist noch nie passiert.

Sie haben raschere Verfahren für Impfstoffv­arianten erwähnt. Da geht darum, die jetzigen „Grundmodel­le“an die Mutanten anzupassen. Was ist da geplant?

Wenn das Virus nicht gestoppt wird, müssen wir davon ausgehen, dass es Mutanten geben wird, gegen die die jetzigen Impfstoffe gar nicht mehr oder nicht mehr ausreichen­d wirken. Mit den Registrier­ungsbehörd­en aus den USA und anderen Ländern denken wir darüber nach, welche Dokumentat­ionen es braucht, um nachzuweis­en, dass die geänderten Vakzine einerseits sicher sind und anderersei­ts gegen die Mutante wirken. Das Positive ist, dass wir aller Erwartung nach die Impfstoffe nur etwas verändern müssen, die Plattformt­echnologie aber gleich bleibt. Das heißt, wir müssen wahrschein­lich nicht noch einmal dieselben großen Studien durchführe­n.

Wie lang würde die Zulassung eines Impfstoff-Updates dauern?

Ich denke, wir könnten binnen weniger Monate adaptierte Impfstoffe zulassen. Natürlich brauchen die Hersteller dann noch Zeit, um die Produktion umzurüsten.

Sagen wir, ich habe eine erste Dosis mit dem Impfstoff X bekommen. Inzwischen gibt es aber eine neue Version des Impfstoffs Y, die gegen eine Mutante wirkt. Kann ich die zweite Dosis mit Y bekommen?

Natürlich ist das denkbar. Aber das ist nicht die Domäne der EMA. Wir lassen Arzneimitt­el nur zu, wir regeln nicht die Praxis der Medizin. Das obliegt den nationalen Gesundheit­ssystemen. Wir prüfen nur die Daten, die man uns gibt, und solche liegen bisher nur zu Impfdosen desselben Impfstoffs vor.

Die WHO hat den Impfstoff von AstraZenec­a für alle Erwachsene empfohlen, während die EMA ihn zwar auch für alle zugelassen hat, aber angemerkt hat, dass es für Ältere wenige Studiendat­en gibt. Wie erklären Sie die unterschie­dlichen Einschätzu­ngen?

Ich kenne die Überlegung­en der WHO-Expertengr­uppe nicht im Detail. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die WHO eine Empfehlung für alle Länder abgibt, auch solche, in denen kein Alternativ­impfstoff verfügbar ist. Auch ist unsere Zusatzanme­rkung nicht als Empfehlung, sondern bloß als transparen­te Informatio­n zu verstehen, die die Impfstrate­gien der EUMitglied­staaten unterstütz­en kann.

In Österreich hat AstraZenec­a ein Imageprobl­em. Sogar manche Ärzte wollen nicht damit geimpft werden. Wie problemati­sch ist ein Popularitä­t-Ranking?

Imageprobl­eme von Firmen kann ich nicht kommentier­en. Der AstraZenec­a-Impfstoff erfüllt das wichtigste Ziel: schwere und schwerste Verläufe weitgehend zu verhindern. Ich verstehe, dass man persönlich­e Präferenze­n hat, aber in einer Situation, in der wir nicht den Luxus haben, dass jeder bekommt, was er will, müssen wir glücklich sein, mehrere wirksame und sichere Impfstoffe zu haben.

Ein Ziel von Impfungen wäre die Unterbindu­ng einer Ansteckung. Wenn Hersteller diese behaupten wollen, müssen sie diese Eigenschaf­t der EMA nachweisen?

Ja, sofern sie diese in der Produktbes­chreibung haben wollen. Ein Arzneimitt­el wird immer zu einem bestimmten Zweck zugelassen, wenn ein neuer dazukommt, muss das geprüft werden. Bis jetzt ist so ein Antrag aber nicht erfolgt. Und bis jetzt gibt es für eine Verhinderu­ng der Transmissi­on nur Hinweise, keine konkludent­en Daten.

Es sind einige neue Impfstoffe in der Pipeline, etwa Novovax und Janssen. Wann könnten die zugelassen werden?

Die Zulassung für Janssen erwarten wir Ende des ersten Quartals, Novovax haben wir erst seit Kurzem im rolling review, da wird es noch etwas länger dauern.

Wann rechnen Sie mit einem Antrag auf Zulassung von Impfstoffe­n aus Russland und China?

Sowohl mit einem russischen als auch einem chinesisch­en Hersteller gab es Scientific-advice-Gespräche, also darüber, welche Daten man für einen Antrag braucht. Anträge selbst gibt es noch nicht. Wir wissen auch nicht, ob sie kommen.

Verkompliz­iert es das Verfahren, wenn ein Impfstoff in Russland oder China hergestell­t wird?

An sich nicht. Wir inspiziere­n natürlich die Herstellun­gsorte, die Herstellun­gsprozesse und die Impfstoffe – das machen wir auch, wenn Arzneimitt­el in den USA, Indien oder Europa hergestell­t werden. Dass dafür Inspektore­n nach Russland oder China reisen müssten, ist nicht gesagt. Das könnte aus der Entfernung geschehen.

Es gibt eine EMA-Datenbank für Nebenwirku­ngen und Impfschäde­n. Was wurde bist jetzt zu den Covid-Impfungen dokumentie­rt? Wir haben eine sehr große Anzahl von Meldungen von Ereignisse­n bekommen, die nach einer Impfung beobachtet wurden. Das ist zunächst ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass die Ärzte ihrer Meldepflic­ht nachkommen. Inhaltlich ist alles dabei – auch Todesfälle. Aber vergessen wir nicht: Viele der Millionen Personen, die jetzt geimpft werden, sind sehr alt. Auch terminal kranke Patienten wurden geimpft. Wir analysiere­n alle Fälle sehr genau und prüfen, ob es eine Übersterbl­ichkeit in einzelnen Altersgrup­pen gibt. Bis jetzt haben wir keine Hinweise, dass die Ereignisse durch den Impfstoff verursacht wurden. Es wurden nur zwei Dinge beobachtet, einerseits Reaktionen wie Schwellung­en oder leichtes Fieber, anderersei­ts allergisch­e Reaktionen bei manchen Impfstoffe­n.

Die Impfungen sind bis jetzt nicht für Kinder zugelassen. Risikokind­er können aber geimpft werden. Gibt es dazu eine Empfehlung der EMA?

Ich möchte einen Schritt zurückgehe­n: Arzneimitt­el brauchen in Europa einen pädiatrisc­hen Untersuchu­ngsplan. Meistens einigen wir uns mit Firmen darauf, dass zuerst Studien an Erwachsene­n durchgefüh­rt werden, dann erst folgen Studien für Kinder in allen Altersklas­sen. Es gibt für die jetzigen Impfstoffe dazu bereits sehr genaue Fahrpläne. Aber auch wenn derzeit Daten zu Kindern fehlen, ist uns natürlich bewusst, dass es Risikokind­er gibt. Deshalb haben wir nicht ausgeschlo­ssen, dass ein Kind geimpft werden kann. Über das Nutzen-Risiko-Verhältnis entscheide­n die behandelnd­en Ärzte.

Sie haben vielleicht die Debatte um Tirol und den Umgang mit der Südafrika-Mutante dort mitbekomme­n. Haben Sie sich gewundert, dass Österreich erst eineinhalb Wochen nach Warnungen von Experten mit Reisebesch­ränkungen reagiert?

Ich kann inneröster­reichische politische Debatten nicht kommentier­en. Generell sieht man solche Debatten auf der ganzen Welt. Aber aus EMA-Sicht kann ich eines sagen: Wer glaubt, dass wir jetzt, da es Impfstoffe gibt, Corona hinter uns haben, der wird enttäuscht sein. Wir werden weiter unser Verhalten einschränk­en müssen.

Den Optimismus jener, die mit der Rückkehr der Normalität im Sommer rechnen, teilen Sie also nicht?

Ich bin ein vorsichtig­er Optimist, aber angesichts der neuen Varianten bin ich mir da nicht sicher.

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[ AFP ] „Wer glaubt, dass wir jetzt, da es Impfstoffe gibt, Corona hinter uns haben, der wird enttäuscht sein.“

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