„Wie der Wind“: Ein Leben in der Falllinie
Zwischen „Corbet’s Couloir“und Tofana-Schuss: Breezy Johnson wandelt auf den Spuren von Lindsey Vonn und Picabo Street.
Barry Corbet war ein legendärer Bergführer aus Jackson Hole, Wyoming. Es heißt, er habe 1960 diese markante Steilrinne in der Teton Range entdeckt und prophezeit, dass sie irgendwann einmal jemand mit Skiern befahren werde. Heute ist „Corbet’s Couloir“mit einer Gondelbahn zu erreichen und gilt als heiliger Gral der Freeride-Szene. Einstieg ist ein freier Fall von mehreren Metern Höhe, je nach Schneelage.
Breezy Johnson wuchs nicht weit von hier auf, im Städtchen Victor, Idaho. Die Wochenenden verbrachte sie in Jackson. „Einfach herumdüsen, von Felsen springen, Tiefschneefahren“, erinnert sich die 25-Jährige. Corbet’s Couloir war für den unerschrockenen Teenager quasi die Aufwärmrunde, das bisher letzte Mal fuhr sie die für viele härteste Geländeabfahrt Nordamerikas, als sie gerade einmal 13 Jahre alt war.
Inzwischen gehört Johnson zu den besten Weltcup-Abfahrerinnen. Das Freeride-Mekka Jackson sei dank der steilsten Pisten in den USA ein ebenso guter Ort für Rennfahrer, sagt sie. „Ein ikonischer Platz, um aufzuwachsen. Ein Platz, mit vielen verschiedenen Ski-Elementen, das habe ich in mein Rennfahren mitgenommen.“
Heute erinnert ihr Stil, die stabile Technik, ihr Streben nach der Falllinie an ihr Credo: „Like the wind“hat sie als Hommage an ihren Vornamen („breezy“bedeutet unter anderem „windig“) auf ihrem Helm verewigt. Viele fühlen sich bei Johnson auch an ihre berühmte Landsfrau Picabo Street, Abfahrtsweltmeisterin von 1996, erinnert. Der Vergleich sei „sehr freundlich“, meint sie, aber es sei ein harter Weg gewesen bis zur Abfahrerin, die sie heute ist.
In diesem Winter gelang Johnson das Kunststück, in vier Abfahrten in Folge auf Platz drei zu fahren, darunter in St. Anton, dem bisher härtesten Rennen der Saison. Doch vor nicht allzu langer Zeit hatte sie ob zahlreicher Bänderverletzungen noch monatelang mit Nackenrollen unter den Knien geschlafen. Immer wieder ereilte sie das vorzeitige Saison-Aus. „Viele verletzte Athleten kämpfen mit Depressionen. Bei mir war das auf jeden Fall so. Ich wünsch
te, ich könnte zurückgehen und der Breezy von damals sagen, dass es all das wert sein wird, dass all die Dinge, die du fürchtest, nie mehr machen zu können, möglich sind und dass sie sogar besser sein werden, als du glaubst“, erzählt sie mit brüchiger Stimme.
Heute (11 Uhr, ORF1) geht Johnson als Favoritin in die WMAbfahrt von Cortina, „das Goldene Kind unter allen Damenstrecken“, wie sie sagt, und jener Ort, an dem ihre Vorgängerinnen so tiefe Spuren hinterlassen haben. Picabo Street gewann hier 1995 und 1996 die Abfahrt, Lindsey Vonn hält den Rekord von zwölf Tofana-Siegen.
Vonn meldet sich nach wie vor bei ihrer ehemaligen Teamkollegin. „Sie hatte so ein Selbstvertrauen in ihren Schwüngen. Sie ist auf jede Strecke gekommen, als würde sie sagen: ’Wenn du mir das Bein brichst, gewinne ich trotzdem.‘“Diese Einstellung habe sie versucht zu verinnerlichen. „Dieses Speedteam und ich sind Teil von Lindseys Vermächtnis und auch Teil von Picabos Vermächtnis, weil sie Lindsey mitgeformt hat.“
Johnson weiß auch, was das für sie selbst bedeutet – es ist Teil ihres Erfolgsrezepts. „Im Abfahrtsteam ist jeder Erfolg, der nach dir kommt, zum Teil auch dein eigener. Das inspiriert. Ich hatte große Vorbilder, die mir viel beigebracht haben, und ich möchte genauso für sie gut fahren wie für mich.“
Nach Cortina hat die US-Amerikanerin beste Chancen, die Abfahrtskugel nach Hause zu fahren. Wie Vonn zuletzt vor fünf Jahren. Sie liegt auf Platz zwei hinter Sofia Goggia, doch für die verletzte Italienerin ist die Saison zu Ende. „Ich weiß, was sie durchmacht. Ich wünsche Sofia das Beste. But the show must go on.“