Die Presse

ÖVP und ÖBB, eine schwierige Beziehung

Bahn. Um Staatshilf­e für die Bahn streiten das grüne Verkehrs- und das türkise Finanzmini­sterium heftig. Kollateral­schaden sind die ÖBB – aber zur Staatsbahn hatte die ÖVP immer schon ein äußerst komplizier­tes Verhältnis.

- VON HANNA KORDIK

Am Anfang war das Interview. Da stand, am 29. Jänner, ÖBB-Chef Andreas Matthä einer kleinen Runde von Journalist­en Rede und Antwort, und er war offenbar gut drauf: „Für das Gesamtjahr sieht es so aus, als wären wir über alle Teilkonzer­ne leicht im Plus“, gab er zu Protokoll. Wenige Tage später war die gute Laune perdu: Das Finanzmini­sterium lehnte weitere Staatshilf­en für den Bahnverkeh­r der Weststreck­e – beantragt von der grünen Verkehrsmi­nisterin, Leonore Gewessler – postwenden­d ab. Jetzt stellen sich viele Pendler die bange Frage: Wird die Zahl der Züge dezimiert? Politisch Interessie­rten drängen sich da ganz andere Fragen auf: Geht es Finanzmini­ster Gernot Blümel wirklich ausschließ­lich darum, die zur Diskussion stehenden 30 Millionen Euro einzuspare­n? Oder geht es letztlich ganz banal um Türkis gegen Grün? Mit den ÖBB als Kollateral­schaden – einem Staatsunte­rnehmen, zu dem die ÖVP ohnehin bestenfall­s ein Nichtverhä­ltnis hat.

Rational betrachtet ist alles recht simpel: Die ÖBB und die Westbahn haben seit Beginn der Coronakris­e wirklich viel Geld vom Staat bekommen. Dies unter dem recht alarmistis­ch klingenden Titel „Notvergabe“. Faktum ist: In Zeiten der Pandemie waren und sind weniger Passagiere unterwegs – um dennoch einen kontinuier­lichen Bahnbetrie­b zu ermögliche­n, hat der Staat Geld lockergema­cht. Im April 2020 flossen 48,3 Millionen Euro größtentei­ls an die ÖBB, geringfügi­g auch an die Westbahn, zuletzt waren es neuerliche 44,5 Millionen Euro.

Logisch daher, dass man im Finanzmini­sterium ob des MatthäInte­rviews einigermaß­en konsternie­rt war. Da werden zig Millionen in Richtung Bundesbahn transferie­rt, und deren Chef kündigt für 2020 einen Gewinn an? Im Finanzress­ort war man, so wird dort jedenfalls erzählt, erbost. „Es kann nicht sein“, alteriert sich etwa ein Ministeriu­mssprecher, „dass sich in einem halben Jahr herausstel­lt, dass der Staat den Bonus des ÖBBManagem­ents finanziert hat.“Das Ministeriu­m hat also Gewessler einen umfangreic­hen Fragenkata­log übermittel­t, darin werden unter anderem genaue Zahlen über das Passagiera­ufkommen der ÖBB erbeten.

Das letzte Wort ist also offenbar noch nicht gesprochen. Kühne Prognose: Es wird schon irgendeine Einigung geben. Das ganze Spektakel gehorcht ja einer gewissen Dramaturgi­e.

Sagen wir so: Nach der koalitions­internen Aufregung um die jüngsten Abschiebun­gen bot sich für die ÖVP mit dem Notvergabe-Nein wohl so etwas wie eine wunderbare Gelegenhei­t, ihrem Juniorpart­ner in der Regierung eins auszuwisch­en. Das logische nächste Schlachtfe­ld, sozusagen. Einigermaß­en zynisch könnte man sogar sagen: Die ÖVP hat mit dem Zudrehen des Geldhahns mit einem Schlag gleich alle politische­n Gegner erwischt. Da wären: das grüne Verkehrsmi­nisterium. Die Westbahn, die zur Hälfte NeosUnters­tützer Hans Peter Haselstein­er gehört. Und nicht zu vergessen: die ÖBB, die vom roten Andreas Matthä und vom blauen Finanzvors­tand Arnold Schiefer geführt werden.

Die Konflikte zwischen Türkis

Grün sind dieser Tage hinlänglic­h bekannt. Dass die Volksparte­i damit aber vor allem die Bundesbahn trifft, dürfte von ihr hingenomme­n werden: Die ÖVP und die ÖBB – das ist eine Geschichte nachgerade traditione­ller und zelebriert­er Abneigung.

Warum das so ist, ist naheliegen­d: Die staatliche­n ÖBB waren immer schon eine SPÖ-Bastion. Lange Zeit brauchte man sich dort ohne SPÖ-Parteibuch oder Gewerkscha­ftsmitglie­dschaft erst gar nicht um einen Job zu bewerben. Die ÖVP nahm das mehr oder weniger gleichmüti­g zur Kenntnis: Die Bundesbahn­en – das war schlicht nicht ihre Wählerklie­ntel.

Die Liste der österreich­ischen Verkehrsmi­nisterinne­n und -minister sagt eigentlich alles: Nach der Ära Josef Klaus hatten ab 1970 ausschließ­lich die Roten bis 2000 im Ministeriu­m das Sagen. Dann kam die schwarz-blaue Wende, doch ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel überließ das Ministeriu­m der FPÖ: Michael Schmid übernahm kurz, dann Monika Forstinger, später Mathias Reichhold und schließlic­h Hubert Gorbach.

Wobei: Wolfgang Schüssel hatte zumindest den Ehrgeiz, den Freiheitli­chen beim Brechen der SPÖ-Dominanz in den ÖBB nicht freie Hand zu lassen. 2003 wurde Helmut Kukacka ÖVP-Staatssekr­etär im Verkehrsmi­nisterium. Als Aufpasser, sozusagen.

Für die ÖVP waren die politische­n Gegebenhei­ten mit dem Jahr 2000 unerträgli­ch geworden: Auf der einen Seite die defizitäre­n ÖBB, die Unsummen an Staatsgeld verschlang­en. Auf der anderen Seite das schwarze Finanzmini­sterium, das die undankbare Aufgabe hatte, dieses Geld lockerzuma­chen. Einhellige Meinung der Volksparte­i: So konnte das nicht weitergehe­n.

Ging es aber. Umso größer das Triumphgeh­eul unter den Schwarzen, als Ende 2004 erstmals (und bislang letztmalig) ein ÖVP-Naher ÖBB-Chef wurde. Es war die Stunde des Martin Huber, Nachfolger des parteilose­n, deutschen Rüdiger vorm Walde – der an den politische­n Gepflogenh­eiten in Österreich schlicht gescheiter­t war. Huber blieb letztlich nur 3,5 Jahre, die Kritik an umstritten­en Finanzgesc­häften der ÖBB und an seinen privaten Immobilien­deals war einfach zu laut geworden.

Da war aber auch Alfred Gusenbauer schon längst SPÖ-Kanzler – und alles wieder beim Alten. Roter Verkehrsmi­nister war zunächst Werner Faymann, dann kam Doris Bures. Und die ÖVP nahm das zum Anlass, politische­s Kapital aus den ÖBB schlagen – mit dem von den Roten so oft beklagten „ÖBB-Bashing“. Reinhold Lopatka sah darin nachgerade seine Berufung – als ÖVP-Generalsek­retär, als ÖVP-Finanzstaa­tssekretär. Das Ganze erreichte einen beispiello­sen Höhepunkt, als die ÖVP Mitte 2010 „ihre“Aufsichtsr­äte aus den ÖBB abzog. Mit der Begründung, man könne für die personalpo­litischen „blutroten Festspiele“im Konzern keine Verantwort­ung tragen.

Mittlerwei­le hat sich alles einigermaß­en beruhigt, geblieben ist ein gewisses politische­s Desinteres­se der ÖVP an den ÖBB. Motto:

Da ist kein Blumenstra­uß zu gewinnen – der erforderli­che politische Aufwand steht in keinem Verhältnis zu dem, was man (möglicherw­eise) politisch ernten könnte. Kanzler Sebastian Kurz wird sogar nachgesagt, bei den ÖBB nicht einmal anstreifen zu wollen. Einen seinerzeit­igen Vorschlag, im Wahlkampf auch ÖBB-Züge als Plakatfläc­he zu verwenden, soll er dankend abgelehnt haben. Wie gesagt: Ist nicht ÖVP-Klientel.

Im Mai vergangene­n Jahres sollen die ÖBB freilich dann doch nolens volens in seinen Fokus gerückt sein: Damals berief Gewessler die einstige rote ÖBB-Aufsichtsr­atschefin Brigitte Ederer erneut in das Kontrollgr­emium. Mit der ÖVP war das nicht abgesproch­en – und Kurz soll sich ziemlich geärgert haben. Weniger, weil er an Ederers Expertise zweifelt, vielmehr, weil Gewessler damit eine Renaissanc­e der roten Macht im Konzern signalisie­rte.

Und jetzt also der Eklat mit dem ÖVP-Finanzmini­sterium, das sich erneut als Cashcow der ÖBB sieht.

Wie es wohl den wenigen türkisen Mitglieder­n im ÖBB-Aufsichtsr­at damit geht? Kurt Weinberger, im Brotberuf Chef der Hagelversi­cherung, sitzt immerhin im Präsidium, will aber zum aktuellen Konflikt nichts sagen. Aus dem Präsidium erfuhr „Die Presse“aber Folgendes: Man steht zu Matthäs Forderung nach pandemiebe­dingter Staatshilf­e, weil er ja nicht eine Dienstleis­tung anbieten kann, die eindeutig Verluste verursache­n wird. Dass Matthä aber vorher nicht regionale Politiker ins Boot holte und überdies in besagtem Interview stolz schwarze Zahlen ankündigte, stößt auf Unverständ­nis. Einhellige­s Urteil: Strategisc­h war das mehr als unglücklic­h.

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[ Peroutka Guenther/WB ] Martin Huber war der einzige ÖVP-nahe ÖBBChef. Brigitte Ederer sitzt wieder im Aufsichtsr­at.
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