Mehr Klagen und Attacken gegen Journalisten
Presse. Unabhängige Medien und Journalisten geraten auch in Europa immer mehr unter Druck. Vor allem die Morde auf Malta und in der Slowakei haben AEJ-Präsident Otmar Lahodynsky schockiert. Aber auch in Österreich sieht er Probleme.
Sechs Jahre war Otmar Lahodynsky Präsident der „Association of European Journalists“. Demnächst gibt der Journalist und Autor (der u. a. Brüssel-Korrespondent und stv. Chefredakteur der „Presse“war) den Staffelstab an einen Nachfolger weiter. Wenn man ihn fragt, was sich während seiner Amtszeit bei der AEJ verändert hat, dann hört man vor allem eines: Medien und Journalisten stehen heute, auch in der EU, stärker unter Druck. Und nicht nur das: Oft sind sie in ihrer Existenz, sogar an Leib und Leben bedroht. Das Schlimmste seien die Morde an den Investigativ-Journalisten Daphne Caruana Galizia (Malta) und Jan´ Kuciak (Slowakei) gewesen. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in der EU passieren kann“, sagt Lahodynsky. Das Aggressionspotenzial steige. Das hat auch die von der AEJ mitbegründete Plattform des Europarats festgestellt: 2019 wurden 142 ernste Bedrohungen der Medienfreiheit registriert, darunter 33 physische Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten, 17 Inhaftierungen von Medienvertretern, 43 Fälle von Bedrohung und Einschüchterung.
Mit Security zur Demonstration
Die Pandemie mache es noch schlimmer, sagt Lahodynsky: „Die Bedeutung von vertrauenswürdigen Informationen ist gestiegen, aber gleichzeitig hat sich die Situation für den Mediensektor deutlich verschlechtert: Sinkende Anzeigenerlöse, scharfe Sparmaßnahmen, höhere Arbeitslosigkeit unter Journalisten.“Coronaleugner attackieren Journalisten – nicht nur mit Hasspostings. Bei den Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen in Wien gab es Anfeindungen und körperliche Attacken gegen Medienvertreter. Journalisten berichteten der
APA, sie seien beschimpft, verfolgt oder mit Pfefferspray angegriffen worden. Man sah Plakate mit Parolen wie „Die Medien sind das Virus“. In Deutschland rücken Kamerateams mittlerweile immer öfter mit Security zu heiklen Demo-Einsätzen aus.
Auch in der EU ist man mittlerweile alarmiert – und verfolgt die Entwicklungen in den Mitgliedstaaten genau. So äußerte etwa die EU-Kommission in ihrem Ende September veröffentlichten Rechtsstaatlichkeitsbericht über Österreich Bedenken wegen der Regierungsinserate. „Regierungen haben mit der Vergabe von Inseraten Medien, die über ihre Maßnahmen wohlwollend berichten, einseitig unterstützt“, so Lahodynsky, der auch die versuchte Beschlagnahmung von Journalisten-Handys sowie die Anzeige der Korruptionsstaatsanwälte gegen eine „Presse“-Redakteurin kritisiert. Damit werde die Medienfreiheit in Österreich angegriffen.
Zuckerbrot und Peitsche – das ist international gängige Praxis. Medien und Journalisten werden von Politikern oder Unternehmen mit Verleumdungsklagen, sogenannten Slapp-Verfahren (Strategic Lawsuits against Public Participation), traktiert. Schlimmstes Beispiel ist das der maltesischen Journalistin Galizia. Sie hatte vor ihrer Ermordung 46 solcher Verfahren am Hals, erzählte einer ihrer Söhne beim AEJ-Kongress Ende 2019 in Paris. Der Journalisten-Vereinigung stehen freilich nur bescheidene Mittel zur Verfügung, sagt Lahodynsky. Meist geht es darum, Missstände oder einzelne Fälle öffentlich zu machen. Das geschieht z. B. auf der Plattform des Europarats. Oder indem man einen Preis verleiht: Den ersten European Media Freedom Price, den die AEJ vergeben will, soll der russische Oppositionspolitiker, Journalist und Blogger Alexander Nawalny bekommen. Es wäre ein Zeichen, meint Lahodynsky, „weil in Russland wieder so viele Journalisten eingesperrt worden sind“.
Aktionsplan der EU-Kommission
Am Freitag war zum Thema die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Veraˇ Jourova,´ bei einer Online-Diskussion vom Presseclub Concordia zu Gast. Sie räumte Fehler der EU im Umgang mit Demokratie und Medienfreiheit ein. Die EU-Gesetze böten nicht genügend Schutz für unabhängige Medien. „Wir waren naiv. Die Demokratie ist kein Perpetuum mobile und wird sich nicht selbst verteidigen.“Jourova´ ortet einen „gefährlichen Trend“in Europa, vor allem in Mittel- und Osteuropa. Als Beispiele nannte sie neben Morden an Journalisten die geplante Werbeabgabe für Medien in Polen, die Schließung des regierungskritischen Klubradios in Ungarn und Einschüchterung kritischer Journalisten in Slowenien.
Die EU-Kommission hat einen Aktionsplan zum Schutz von Journalisten und zur Stärkung unabhängiger Medien angekündigt. Dazu sollen 75 Mio. Euro aus dem EUBudget bereitgestellt werden. Zivilrechtliche Bestimmungen zum Schutz von Medien und Journalisten lehnen viele EU-Staaten ab. Jourova´ appelliert an die Bürger: „Wir brauchen gesellschaftliche Regeln, die uns vor Gewalt schützen. Das liegt in den Händen der Wähler – sie sitzen am Steuer und entscheiden, in welche Richtung es geht.“