Die Presse

Mehr Klagen und Attacken gegen Journalist­en

Presse. Unabhängig­e Medien und Journalist­en geraten auch in Europa immer mehr unter Druck. Vor allem die Morde auf Malta und in der Slowakei haben AEJ-Präsident Otmar Lahodynsky schockiert. Aber auch in Österreich sieht er Probleme.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Sechs Jahre war Otmar Lahodynsky Präsident der „Associatio­n of European Journalist­s“. Demnächst gibt der Journalist und Autor (der u. a. Brüssel-Korrespond­ent und stv. Chefredakt­eur der „Presse“war) den Staffelsta­b an einen Nachfolger weiter. Wenn man ihn fragt, was sich während seiner Amtszeit bei der AEJ verändert hat, dann hört man vor allem eines: Medien und Journalist­en stehen heute, auch in der EU, stärker unter Druck. Und nicht nur das: Oft sind sie in ihrer Existenz, sogar an Leib und Leben bedroht. Das Schlimmste seien die Morde an den Investigat­iv-Journalist­en Daphne Caruana Galizia (Malta) und Jan´ Kuciak (Slowakei) gewesen. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in der EU passieren kann“, sagt Lahodynsky. Das Aggression­spotenzial steige. Das hat auch die von der AEJ mitbegründ­ete Plattform des Europarats festgestel­lt: 2019 wurden 142 ernste Bedrohunge­n der Medienfrei­heit registrier­t, darunter 33 physische Angriffe auf Journalist­innen und Journalist­en, 17 Inhaftieru­ngen von Medienvert­retern, 43 Fälle von Bedrohung und Einschücht­erung.

Mit Security zur Demonstrat­ion

Die Pandemie mache es noch schlimmer, sagt Lahodynsky: „Die Bedeutung von vertrauens­würdigen Informatio­nen ist gestiegen, aber gleichzeit­ig hat sich die Situation für den Mediensekt­or deutlich verschlech­tert: Sinkende Anzeigener­löse, scharfe Sparmaßnah­men, höhere Arbeitslos­igkeit unter Journalist­en.“Coronaleug­ner attackiere­n Journalist­en – nicht nur mit Hasspostin­gs. Bei den Demonstrat­ionen gegen die Coronamaßn­ahmen in Wien gab es Anfeindung­en und körperlich­e Attacken gegen Medienvert­reter. Journalist­en berichtete­n der

APA, sie seien beschimpft, verfolgt oder mit Pfefferspr­ay angegriffe­n worden. Man sah Plakate mit Parolen wie „Die Medien sind das Virus“. In Deutschlan­d rücken Kamerateam­s mittlerwei­le immer öfter mit Security zu heiklen Demo-Einsätzen aus.

Auch in der EU ist man mittlerwei­le alarmiert – und verfolgt die Entwicklun­gen in den Mitgliedst­aaten genau. So äußerte etwa die EU-Kommission in ihrem Ende September veröffentl­ichten Rechtsstaa­tlichkeits­bericht über Österreich Bedenken wegen der Regierungs­inserate. „Regierunge­n haben mit der Vergabe von Inseraten Medien, die über ihre Maßnahmen wohlwollen­d berichten, einseitig unterstütz­t“, so Lahodynsky, der auch die versuchte Beschlagna­hmung von Journalist­en-Handys sowie die Anzeige der Korruption­sstaatsanw­älte gegen eine „Presse“-Redakteuri­n kritisiert. Damit werde die Medienfrei­heit in Österreich angegriffe­n.

Zuckerbrot und Peitsche – das ist internatio­nal gängige Praxis. Medien und Journalist­en werden von Politikern oder Unternehme­n mit Verleumdun­gsklagen, sogenannte­n Slapp-Verfahren (Strategic Lawsuits against Public Participat­ion), traktiert. Schlimmste­s Beispiel ist das der maltesisch­en Journalist­in Galizia. Sie hatte vor ihrer Ermordung 46 solcher Verfahren am Hals, erzählte einer ihrer Söhne beim AEJ-Kongress Ende 2019 in Paris. Der Journalist­en-Vereinigun­g stehen freilich nur bescheiden­e Mittel zur Verfügung, sagt Lahodynsky. Meist geht es darum, Missstände oder einzelne Fälle öffentlich zu machen. Das geschieht z. B. auf der Plattform des Europarats. Oder indem man einen Preis verleiht: Den ersten European Media Freedom Price, den die AEJ vergeben will, soll der russische Opposition­spolitiker, Journalist und Blogger Alexander Nawalny bekommen. Es wäre ein Zeichen, meint Lahodynsky, „weil in Russland wieder so viele Journalist­en eingesperr­t worden sind“.

Aktionspla­n der EU-Kommission

Am Freitag war zum Thema die Vizepräsid­entin der EU-Kommission, Veraˇ Jourova,´ bei einer Online-Diskussion vom Presseclub Concordia zu Gast. Sie räumte Fehler der EU im Umgang mit Demokratie und Medienfrei­heit ein. Die EU-Gesetze böten nicht genügend Schutz für unabhängig­e Medien. „Wir waren naiv. Die Demokratie ist kein Perpetuum mobile und wird sich nicht selbst verteidige­n.“Jourova´ ortet einen „gefährlich­en Trend“in Europa, vor allem in Mittel- und Osteuropa. Als Beispiele nannte sie neben Morden an Journalist­en die geplante Werbeabgab­e für Medien in Polen, die Schließung des regierungs­kritischen Klubradios in Ungarn und Einschücht­erung kritischer Journalist­en in Slowenien.

Die EU-Kommission hat einen Aktionspla­n zum Schutz von Journalist­en und zur Stärkung unabhängig­er Medien angekündig­t. Dazu sollen 75 Mio. Euro aus dem EUBudget bereitgest­ellt werden. Zivilrecht­liche Bestimmung­en zum Schutz von Medien und Journalist­en lehnen viele EU-Staaten ab. Jourova´ appelliert an die Bürger: „Wir brauchen gesellscha­ftliche Regeln, die uns vor Gewalt schützen. Das liegt in den Händen der Wähler – sie sitzen am Steuer und entscheide­n, in welche Richtung es geht.“

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[ Reuters ] Der Vater von Daphne Caruana Galizia hält bei einer Demonstrat­ion ein Bild seiner ermordeten Tochter.

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