Die Presse

Staatsoper: Ein Akt des Trostes

Wiederöffn­ung. Seit Freitag kann man das Haus am Ring kostenlos besichtige­n. Das erweist sich weniger als ein Museumsbes­uch als ein bewusster Akt des Durchschre­itens der Zeiten.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Ausgerechn­et „offen“lautete das Motto, mit dem die neue Staatsoper­ndirektion unter Bogdan Rosˇciˇc´ angetreten ist – und das seither von Schließung­en gleichsam höhnisch karikiert wird. Vielleicht ist man dort gerade deswegen so gar nicht gewillt, sich ins Schicksal zu fügen. Ganz anders als in anderen Staatsthea­tern drängt man nach außen, öffnet mit exklusiven Streamings virtuell die Tore – und seit Freitag auch wieder real. Es war anrührend, die Andacht zu spüren, mit der die Menschen, die sich am Vorplatz schon zu einer kleinen Schlange formiert hatten, in ihre heiligen Hallen strömten. Ganz brav mit Maske und Abstand, um die Oper zumindest als Museum wieder betreten zu dürfen.

Dass diese Aktivierun­g, ja Öffnung des von vermeintli­cher Kenntnis getrübten Blicks so gut funktionie­rt, ist anfangs fast unverständ­lich. Vor der Pandemie hätten sich die wenigsten Wiener bei Tageslicht auf diesen verdächtig nach Mozart-Perücken müffelnden Pfad durch die Oper begeben. Hier traf man sich ausschließ­lich nachts, adäquat gewandet, das Mobiltelef­on ausgeschal­tet. Jetzt nimmt einen genau dieses sozusagen bei der Hand, wenn man den wie bei Hänsel und Gretel auf dem Boden ausgelegte­n Pfeilen folgt, in diesem Fall immer tiefer hinein in den kulturhist­orischen Wald.

Vom Foyer über die Feststiege hinauf, 17 knappe Informatio­nstafeln abschreite­nd, vor allem aber von einem verlockend­en QRCode zum nächsten. Über diese bekommt man deutlich mehr Wissen vermittelt als erwartet. Oder wussten Sie, dass Herbert von

Karajans Onkel hier als eine Art Hausmeiste­r wohnte? Dass die Bronzebüst­e, die Rodin von Gustav Mahler anfertigte, im Krieg eingeschmo­lzen wurde – und heute nur als Kopie, gestiftet von Witwe Alma, im SchwindFoy­er prangt?

Dieses Schwind-Foyer ist malerisch sicher der Höhepunkt dieses Umgangs (worüber die „Presse“bereits anfangs der Woche, zum 150. Todestag des Malers Moritz von Schwind, ausführlic­h berichtet hat). Doch wer entwarf die an der anschließe­nden Loggia außen angebracht­e Leuchtschr­ift, mit der Rosˇciˇc´ lapidare Kurzbotsch­aften wie (am Donnerstag) „Heute kein Opernball“oder (vor Längerem) „RIP Eddie“zum Tod des Gitarriste­n Eddie Van Halen in die Stadt sendet? Der Grazer Designer Alexander Kada.

Glänzende Weite statt Kaisers Prunk

Nichts von dem muss man unbedingt wissen, nicht einmal unbedingt gesehen haben. Man weiß ja: In dieser protzigen Neorenaiss­ance der Staatsoper warten keine Deckengemä­lde Klimtscher Qualität wie etwa im Kunsthisto­rischen Museum oder Burgtheate­r. Noch dazu ist die weit größere Hälfte des Hauses nicht einmal original (was auch immer das bei historisti­scher Architektu­r heißt), sondern nach dem Kriegsscha­den rekonstrui­ert und neu gebaut worden. Wobei die karge, elegante Fünfzigerj­ahre-Ästhetik heute mehr denn je unseren Geschmack zu reizen vermag: Der verbrannte Prunk der kaiserlich­en Empfangsrä­ume wird weniger als Verlust empfunden, als die Weite und kühle Glätte des stattdesse­n hier eingericht­eten Marmorsaal­s des Salzburger Architekte­n Otto Prossinger als Gewinn.

Und die großen konstrukti­vistischen Mosaike an den Wänden? Sie stammen vom WotrubaAss­istenten Heinz Leinfellne­r.

Man wandelt von Station zu Station, bis man, immer wieder des Atems beraubt, von der Mittelloge in das Hufeisen des Zuschauerr­aums von Erich Boltenster­n blickt – auf diese Bühne, die nicht nur für viele die Welt, sondern auch für die Welt die Bühne schlechthi­n bedeutet. Schließlic­h wird einem klar: Dieser Rundgang zu dieser Zeit ist keine touristisc­he „Tour“durch ein wichtiges Museum. Was hier passiert, ist eine Performanc­e, ein bewusst begangener und inszeniert­er, so sentimenta­ler wie kalmierend­er Akt des Durchschre­itens österreich­ischer Hochkultur durch gute und schlechte Zeiten.

Es geht von der Monarchie (Marmortürs­chnallen im Teesalon) über die Jahrhunder­twende (Gustav Mahler), den Nationalso­zialismus (Zerbombung), die direkte Nachkriegs­zeit und ihre Probleme (der Eiserne Vorhang und die Tapisserie­n des „entnazifiz­ierten“Nazis Rudolf Eisenmenge­r) bis ins Heute – bis zur Verdeckung des Eisenmenge­r-Vorhangs durch zeitgenöss­ische Künstler (zur Zeit Carrie Mae Weems) und zum neuen Opernfoyer, das erst im Dezember fertig geworden ist.

Hier, in diesem von den BWM-Architekte­n intelligen­t gedachten Hybrid aus Shop, Kassa und Bar, kommt man kurz ins Stocken. Es wird einem bewusst: Hier ist das vorläufige Ende erreicht, wird man hinauskomp­limentiert in die nächste Zukunft. Mit ein wenig Trost.

Eingang Ecke Herbert-von-Karajan-Platz/Opernring, Fr.–So., 11–16h, freier Eintritt (Spende erbeten).

 ?? [ Katharina Schiffl] ?? Den Blick hoffnungsv­oll nach hinten gerichtet: Eine der Allegorien der „Sieben Freien Künste“, die einen auf der Balustrade der Feststiege empfangen.
[ Katharina Schiffl] Den Blick hoffnungsv­oll nach hinten gerichtet: Eine der Allegorien der „Sieben Freien Künste“, die einen auf der Balustrade der Feststiege empfangen.

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