Die Presse

Gesundes Geflügel durch neue Impfungen

Veterinärm­edizin. Ein Forscherte­am der Vet-Med-Uni Wien entwickelt den weltweit ersten Lebend-Impfstoff gegen einen Parasiten, der Hühner und Puten befällt. Gegen Erkrankung­en durch Coronavire­n wird Geflügel bei uns längst geimpft.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Während die meisten Menschen die Begriffe Vakzin und Coronaviru­s erst im vergangene­n Jahr kennenlern­ten, arbeitet Michael Hess seit über 20 Jahren damit. Der Leiter der Klinischen Abteilung für Geflügelme­dizin der Vet-Med-Uni Wien war früher in der Industrie tätig, in einem weltführen­den Unternehme­n für Impfstoffe beim Geflügel. Erkrankung­en durch Coronavire­n sind im Gegensatz zu uns Menschen bei Hühnern, Puten und Gänsen alltäglich. „Bei Geflügel gibt es die Impfung seit über 60 Jahren“, sagt Hess, in dessen Labor täglich PCR-Tests und Sequenzier­ungen der Spike-Gene aller möglichen Mutanten der GeflügelCo­ronaviren durchgefüh­rt werden.

In Österreich wird jedes Huhn gegen Corona geimpft, aber nur selten mit der Nadel, sondern fast immer über einen Spray zum Inhalieren. Impfstoffe für Hühner und Truthähne können auch wie eine Schluckimp­fung über das Trinkwasse­r verabreich­t werden. Ein Vorteil dieser Methoden ist, dass die Tierärzte oder Mitarbeite­r in der Brüterei nicht jedes Tier einzeln in die Hand nehmen müssen.

Die unterschie­dlichen Verabreich­ungsformen sind auch Forschungs­themen im nun auslaufend­en Christian-Doppler-Labor für Innovative Geflügelim­pfstoffe, das 2014 an der Vet-Met-Uni Wien gegründet wurde und von Michael Hess geleitet wird.

Gefahr für den ganzen Bestand

Mit finanziell­er Unterstütz­ung aus dem Wissenscha­ftsministe­rium und von Industriep­artnern konnte Bahnbreche­ndes erreicht werden. „Wir entwickeln einen ParasitenI­mpfstoff, wie es ihn weltweit noch nicht gibt“, berichtet Hess. Es geht um die Erkrankung Histomonos­e, besser bekannt als Schwarzkop­fkrankheit. „Wobei der Name irreführen­d ist, da die Tiere schwere

Leber- und Darmschäde­n haben“, sagt Hess. Eine ähnliche Erkrankung beim Menschen ist die Amöbenruhr, gegen die es Medikament­e gibt, die aber beim Nutztier verboten sind. Besonders gefährlich ist die Schwarzkop­fkrankheit für Puten, sodass oft der ganze Bestand verenden kann (oder aus Tierschutz­gründen getötet werden muss). Hühner, besonders in Freilandha­ltung, trifft diese Krankheit zwar auch, aber weniger schwer.

„Bisher gibt es fast keine Impfstoffe gegen Parasiten“, sagt Hess. „Wir haben geschafft, die Flagellate­n, das sind einzellige Parasiten, so abzuschwäc­hen, dass der Lebendimpf­stoff klappt: Das ist ein Novum.“Außerdem isolierte das Team ein Bakterium als „Amme“für den Parasiten: Er kann ohne das Bakterium nicht wachsen.

Beides packen die Forscher nun in den neuen Impfstoff, der den Puten über die Kloake, so heißt der Popo bei Vögeln, verabreich­t wird.

Sicherer Weg zum Blinddarm

Die Versuche laufen jetzt weiter, um auch eine orale Verabreich­ung zu ermögliche­n: also Parasit und Bakterium so sicher zu verpacken, dass sie lebend durch den Schnabel, die beiden Mägen und den Dünndarm bis zum Blinddarm gelangen, wo der Einzeller seine Tätigkeit startet. Dieser weltweit erste lebende Flagellate­n-Impfstoff muss jedenfalls auf flüssigem Stickstoff bei -196 °C gelagert werden. „Wir Geflügelme­diziner kennen die Herausford­erung schon lang: Auch ein Herpesviru­s-Impfstoff gegen die Mareksche Erkrankung muss bei -196 °C aufbewahrt werden“, sagt Hess. Da erscheinen Diskussion­en um die Lagerung von Covid-19-Vakzinen bei -70 °C in neuem Licht.

Virus wandert in das Ei

Im Vergleich zur Humanmediz­in nennt Hess einen Vorteil der Veterinärm­edizin: „In der Forschung müssen wir nicht auf andere Tierarten als Modellorga­nismus ausweichen.“Während Impfungen für Menschen an Frettchen oder Mäusen getestet werden, erforscht man Hühner-Impfstoffe von Anfang an im Huhn.

Die zweite große Entwicklun­g des CD-Labors zielt auf eine Hepatitis-Erkrankung von Hühnern ab, die durch Adenoviren übertragen wird. „Wenn die Elterntier­e das Virus bekommen, geht es über das Ei direkt in die Küken“, sagt Hess.

Sein Team hat nun über die äußeren Zellprotei­ne, die wie beim Coronaviru­s in Spikes angeordnet sind, einen neuen Impfstoff entwickelt: Dieser wird an die Elterntier­e verabreich­t, die daraufhin das Virus nicht mehr übertragen und zusätzlich ihre Antikörper über die Eier an die Küken weitergebe­n.

„Das ist sehr wichtig in der Geflügelpr­oduktion, weil die Elterntier-Herden ja sehr viele Nachkommen produziere­n“, sagt Hess. Durch den Impfstoff werden sowohl die Eltern als auch die Küken geschützt – gegen eine Krankheit, die weltweit im Zunehmen ist.

„Wir sind sehr froh, dass wir diese Forschunge­n in Österreich machen können, obwohl hier keine Firmen für Veterinäri­mpfstoffe angesiedel­t sind und unsere Industriep­artner daher aus dem Ausland kommen“, sagt Hess.

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[ Getty Images ] Damit Küken mit wichtigen Antikörper­n in ihrem Immunsyste­m auf die Welt kommen, kann man auch ihre Eltern impfen.

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