Können sich Tiere langweilen?
Für die Erforschung dieser Emotion bei Tieren, aktuell bei Schweinen, nehmen Wissenschaftler Anleihen bei der Humanpsychologie.
Für uns Menschen gibt es mindestens zwei Arten der Langeweile: den angenehmen Müßiggang oder die öde Fadesse, die uns auch in der Pandemie heimsucht. Blicken wir zu den Tieren, ob in der Nutztierhaltung, im Zoo oder der Stadtwohnung, lässt sich kaum sagen: Langweilen sie sich – im negativen Sinn – auch, vielleicht sogar chronisch? Das sei noch wenig erforscht, sagt Sara Hintze vom Institut für Nutztierwissenschaften der Boku Wien; sie erkundet in einem aktuellen Projekt aber die Langeweile von Schweinen. Oder erst einmal die Frage: Was bedeutet Langeweile für ein Schwein?
„Wie bei vielen komplexeren Emotionen gibt es nicht die eine Definition“, sagt sie. Mithilfe dreier Charakteristika aus der Humanpsychologie lässt sich abgrenzen: Langeweile fühlt sich negativ an für das Tier; sie geht mit einer „suboptimalen Intensität der Erregung“einher, lethargische Phasen und Unruheverhalten wechseln sich ab. Und drittens stellt sich ein „time dragging“ein: Die Zeit vergeht wie in Zeitlupe.
Wenn das Glas halb voll ist
Bei Menschen ist das einfach zu ergründen, sie kann man befragen (wobei womöglich z. B. „soziale Erwünschtheit“Antworten verfälscht). Andere mentale Zustände, etwa Stress, lassen sich hormonell im Speichel „messen“. Aber Langeweile? Hintze stützt sich für die Schweine auf Veränderungen in deren Verhalten, im Körper sowie in ihren Wahrnehmungsund Denkprozessen. Zum Abtesten behilft sie sich der „Methode des zur Hälfte gefüllten Glases“: Optimisten bezeichnen es eher als halb voll, Pessimisten als halb leer. „Wir verwenden viele Methoden aus der Humanpsychologie – aber immer abgewandelt, nie denkend, das Schwein ist ein Mensch auf vier Beinen und rosa.“
Den Schweinen verklickern die Forscher ihre Aufgabe so: Erst wird jedes darauf trainiert, dass es bei einem hohen Ton immer ein Leckerli bekommt, bei einem tiefen nicht. Dann spielen die Wissenschaftler in der eigentlichen Testphase „mittlere“Töne ab und erkennen an der Bereitschaft des Tieres, zum Leckerlibehälter zu gehen, ob es eben positiv (geht hin) oder negativ (geht nicht hin) gestimmt ist. „So können wir gezielt Hypothesen stellen und testen, ohne die Schweine unbeabsichtigt zu vermenschlichen“, sagt Hintze. In der aktuellen Studie vergleicht sie Gruppen von Schweinen, etwa solche, die in der konventionellen Haltung in Monotonie und ohne Beschäftigungsmaterial leben, mit einer Gruppe, die abwechselnd mit Stroh, Kisten voll mit Erde, Ästen –
Wühlzeug – versorgt wird. Die zu prüfende Hypothese: In der monotonen Haltung sind die Schweine pessimistischer eingestellt. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren.
Warum hat die Frage nach der Langeweile bei Tieren bisher kaum eine Rolle gespielt? Das Augenmerk der Tierwohlforschung lag lange v. a. auf Schmerzen, starken Stressoren, etwa bei Transport oder Schlachtung, und Verhaltensauffälligkeiten, so Hintze. Diese Probleme seien auffälliger, als wenn ein Tier einfach nichts tut. Zudem gäbe es den Konsens in der Bevölkerung bzw. die Vorannahme in Studien, dass auch Zoo-, Heimund Nutztieren langweilig sei. Sonst gäbe es auch kein „Enrichment“: Das ist im Bärengehege verstecktes Futter genauso wie Katzenspielzeug oder eben Stroh für die Schweine.
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„Wir denken nie, das Schwein ist ein Mensch auf vier Beinen und rosa.“
Sara Hintze, Boku Wien