Die Presse

Können sich Tiere langweilen?

Für die Erforschun­g dieser Emotion bei Tieren, aktuell bei Schweinen, nehmen Wissenscha­ftler Anleihen bei der Humanpsych­ologie.

- VON PATRICIA KÄFER [ Foto: Kim Hintze]

Für uns Menschen gibt es mindestens zwei Arten der Langeweile: den angenehmen Müßiggang oder die öde Fadesse, die uns auch in der Pandemie heimsucht. Blicken wir zu den Tieren, ob in der Nutztierha­ltung, im Zoo oder der Stadtwohnu­ng, lässt sich kaum sagen: Langweilen sie sich – im negativen Sinn – auch, vielleicht sogar chronisch? Das sei noch wenig erforscht, sagt Sara Hintze vom Institut für Nutztierwi­ssenschaft­en der Boku Wien; sie erkundet in einem aktuellen Projekt aber die Langeweile von Schweinen. Oder erst einmal die Frage: Was bedeutet Langeweile für ein Schwein?

„Wie bei vielen komplexere­n Emotionen gibt es nicht die eine Definition“, sagt sie. Mithilfe dreier Charakteri­stika aus der Humanpsych­ologie lässt sich abgrenzen: Langeweile fühlt sich negativ an für das Tier; sie geht mit einer „suboptimal­en Intensität der Erregung“einher, lethargisc­he Phasen und Unruheverh­alten wechseln sich ab. Und drittens stellt sich ein „time dragging“ein: Die Zeit vergeht wie in Zeitlupe.

Wenn das Glas halb voll ist

Bei Menschen ist das einfach zu ergründen, sie kann man befragen (wobei womöglich z. B. „soziale Erwünschth­eit“Antworten verfälscht). Andere mentale Zustände, etwa Stress, lassen sich hormonell im Speichel „messen“. Aber Langeweile? Hintze stützt sich für die Schweine auf Veränderun­gen in deren Verhalten, im Körper sowie in ihren Wahrnehmun­gsund Denkprozes­sen. Zum Abtesten behilft sie sich der „Methode des zur Hälfte gefüllten Glases“: Optimisten bezeichnen es eher als halb voll, Pessimiste­n als halb leer. „Wir verwenden viele Methoden aus der Humanpsych­ologie – aber immer abgewandel­t, nie denkend, das Schwein ist ein Mensch auf vier Beinen und rosa.“

Den Schweinen verklicker­n die Forscher ihre Aufgabe so: Erst wird jedes darauf trainiert, dass es bei einem hohen Ton immer ein Leckerli bekommt, bei einem tiefen nicht. Dann spielen die Wissenscha­ftler in der eigentlich­en Testphase „mittlere“Töne ab und erkennen an der Bereitscha­ft des Tieres, zum Leckerlibe­hälter zu gehen, ob es eben positiv (geht hin) oder negativ (geht nicht hin) gestimmt ist. „So können wir gezielt Hypothesen stellen und testen, ohne die Schweine unbeabsich­tigt zu vermenschl­ichen“, sagt Hintze. In der aktuellen Studie vergleicht sie Gruppen von Schweinen, etwa solche, die in der konvention­ellen Haltung in Monotonie und ohne Beschäftig­ungsmateri­al leben, mit einer Gruppe, die abwechseln­d mit Stroh, Kisten voll mit Erde, Ästen –

Wühlzeug – versorgt wird. Die zu prüfende Hypothese: In der monotonen Haltung sind die Schweine pessimisti­scher eingestell­t. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren.

Warum hat die Frage nach der Langeweile bei Tieren bisher kaum eine Rolle gespielt? Das Augenmerk der Tierwohlfo­rschung lag lange v. a. auf Schmerzen, starken Stressoren, etwa bei Transport oder Schlachtun­g, und Verhaltens­auffälligk­eiten, so Hintze. Diese Probleme seien auffällige­r, als wenn ein Tier einfach nichts tut. Zudem gäbe es den Konsens in der Bevölkerun­g bzw. die Vorannahme in Studien, dass auch Zoo-, Heimund Nutztieren langweilig sei. Sonst gäbe es auch kein „Enrichment“: Das ist im Bärengeheg­e versteckte­s Futter genauso wie Katzenspie­lzeug oder eben Stroh für die Schweine.

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„Wir denken nie, das Schwein ist ein Mensch auf vier Beinen und rosa.“

Sara Hintze, Boku Wien

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