Die Presse

Das alte Rom und die moderne EU

Im antiken Rom veränderte­n sich Rechte und Pflichten von Einheimisc­hen und Zuwanderer­n immer wieder. Die Forschung in Salzburg bringt Ansätze für aktuelle politische Debatten über Integratio­n.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT [ Foto: Uni Salzburg ]

Der Ostgotenkö­nig Theoderich ist ein gutes Beispiel dafür, wie Zuwanderer in höchste politische Ämter gelangen konnten und infolgedes­sen eine friedliche Koexistenz der verschiede­nen Bevölkerun­gsgruppen garantiert­en“, erklärt Johannes Michael Rainer, Professor für Römisches Recht und Modernes Privatrech­t an der Uni Salzburg. Religiöse Toleranz, Rücksicht auf regionale Gegebenhei­ten und die Beteiligun­g der Zuwanderer am Wohlstand bildeten die Voraussetz­ung.

Theoderich (451 bis 526 nach Christus) kam als Kind an den oströmisch­en Hof in Konstantin­opel. Er wuchs dort auf und lernte, was ein römischer Beamter und Soldat wissen musste. „Schließlic­h führte er im Auftrag des Kaisers 500.000 Goten vom Balkan in Richtung Italien. Dort wurden sie mit Land ausgestatt­et. Die für im Wesentlich­en agrarische Gesellscha­ften sehr wichtige Landvertei­lung wurde von einer speziellen Kommission zur allgemeine­n Zufriedenh­eit erledigt“, erzählt Rainer.

Wenige besaßen Wahlrecht

Der Schwerpunk­t des vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projektes betrifft das römische Bürgerrech­t und die Zuwanderun­g vom

Beginn der Republik (etwa 500 vor Christus) bis zum Ausgang der Antike. Für Rainer lassen sich Parallelen zwischen dem Römischen Reich und der Europäisch­en Union ziehen. Denn nur etwa 20 bis 30 Prozent der Bevölkerun­g des Römischen Reiches bis 212 nach Christus besaßen auch das Bürgerrech­t des Imperium Romanum, zu dem auch das Wahlrecht gehörte. Alle anderen waren „nur“Bürger von Stadtstaat­en wie beispielsw­eise Athen oder Alexandrie­n, die über sehr weitreiche­nde Autonomien verfügten.

Den Bewohnern der Provinzen wurde nur sehr zögerlich das Staatsbürg­errecht gewährt. Sie blieben auf die Rechte der Stadtbewoh­ner beschränkt, bis sie in herausgeho­bene Positionen gelangten und sich um das römische Bürgerrech­t bewerben konnten. Ihr Bürgerrech­t in der jeweiligen Heimatgeme­inde mit allen politische­n Rechten wie aktivem und passivem Wahlrecht blieb bestehen. Privatrech­tlich waren Bürger, Nichtbürge­r und Zuwanderer ohnehin gleichgest­ellt. „Da sich das Römische Reich aus sehr heterogene­n Provinzen zusammense­tzte, könnte diese sehr flexible Mehrfach-Bürgerscha­ft ein Modell für die Europäisch­e Union, für ein europäisch­es Bürgerrech­t sein“, schlägt Rainer vor.

Wie schafften es die Römer?

212 nach Christus wurde das Mehrfach-Bürgerrech­t beendet, weil Caracalla den Bürgern aller Provinzen das Bürgerrech­t des Imperium Romanum verlieh. „Wie es die Römer durchgeset­zt haben, in allen Provinzen das gleiche Staatsbürg­errecht zu etablieren, obwohl dort unterschie­dliche Stadtbürge­rrechte existierte­n, ist für uns heute die interessan­te Frage“, sagt Rainer. Der Grund lag vermutlich in der schrumpfen­den Einwohnerz­ahl und der Schwierigk­eit, Soldaten zu rekrutiere­n.

Der zweite Forschungs­schwerpunk­t des Projektes gilt der Integratio­n der Zuwanderer. Anders als heute handelte es sich im fünften Jahrhunder­t bei den Wanderungs­bewegungen nicht um alleinsteh­ende Männer, sondern um Familien. „Die Römer empfanden sie anfangs als Barbaren, doch sie wollten das Reich nicht zerstören, sondern sich integriere­n. Das erkennt man auch daran, dass sie zum Christentu­m konvertier­ten und sukzessive die Sprache Roms annahmen“, betont der Rechtshist­oriker.

„Diese Massenimmi­gration von ökonomisch benachteil­igten Ausländern ins Römische Reich ist mit jener der heutigen Zeit vergleichb­ar“, so Rainer. Die ursprüngli­che Abwehr durch Grenzsiche­rung und militärisc­he Aktivitäte­n hätte für die Römer zweifellos zu einer sehr hohen Steuerbela­stung und zu wirtschaft­lichen Verwerfung­en geführt.

Vorteil durch Integratio­n

Die gesellscha­ftliche Integratio­n der Zuwanderer über Bildung und Wohlstand wurde dagegen zum Vorteil. „Die Beteiligun­g der Zuwanderer am Großgrundb­esitz der Senatoren erwies sich für den Staat als gesünder als die beständige Investitio­n in den Militärdie­nst“, erklärt Rainer. „Historisch­e Sensibilit­ät trägt deshalb dazu bei, in der Gegenwart Fehler zu vermeiden.“

Das beschreibt auch die breit angelegte Dissertati­on von Annemarie Renz, die heuer erscheinen soll und das römische Bürgerrech­t bis 212 nach Christus mit seiner Bedeutung für die Europäisch­e Union behandelt.

Die sehr flexible MehrfachBü­rgerschaft könnte ein Modell für die EU sein.

Johannes Michael Rainer, Universitä­t Salzburg

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[ Wikimedia/Jdsteakley ] Theoderich der Große ist auch in der Innsbrucke­r Hofkirche verewigt.
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