Die Presse

Neuentwick­lung kann Feinstaub und Emissionen einbremsen

Ein steirische­s Unternehme­n verzichtet bei der neuen Bremstechn­ologie auf Hydraulik und Pneumatik: Über kleine Elektromot­oren wird jede Bremse einzeln angesteuer­t. Das spart nicht nur Platz und Gewicht im Fahrzeugba­u, sondern auch CO2-Verbrauch und giftig

- VON VERONIKA SCHMIDT

Die Idee wurde bei einem Gespräch an einer Bar in München geboren. „Wenn sich zwei Techniker unterhalte­n, kommen viele Lösungsans­ätze heraus“, sagt Markus Schiffer, Technische­r Direktor des Unternehme­ns GreenBrake­s. Als er bei einem Bier mit seinem Kollegen Michael Putz die Idee für ein völlig neues Bremssyste­m erwähnte, dachte sich Schiffer selbst: „Das kann nicht funktionie­ren!“

Doch Putz fing gleich an zu rechnen, ob Schiffers Idee einer Kurvensche­ibe mit nicht linearem Antrieb technisch umsetzbar wäre. „Meine Sorge war, dass es bei einer elektrisch-mechanisch­en Bremse zum Abheben der Kurvensche­ibe kommen könnte. Ein Problem, das man aus dem Nockenwell­entrieb kennt“, sagt Schiffer. Doch Putz’ Berechnung­en zeigten flott, dass die Sorge unberechti­gt war: Im Simulation­smodell funktionie­rte die Innovation ohne Probleme.

„Wir sind zwar nicht die Ersten, die auf eine Bremse gekommen sind, die über einen Elektromot­or betrieben wird. Aber unser System bringt die Schnelligk­eit und die Kraft auf, die man braucht, um kleine oder große Fahrzeuge sicher zu bremsen“, sagt Marcel Alper, Gründer von GreenBrake­s. Mithilfe von Förderunge­n der Austria Wirtschaft­sservice (AWS) und privater Investoren gelang es dem Team bald, die Simulation mit Prototypen auf dem Prüfstand zu vergleiche­n.

Das technische Prinzip beruht auf einer Hebelmecha­nik und ist um vieles einfacher als bisherige Bremssyste­me. Die Innovation betrifft nämlich nicht die Bremsschei­be mit den dazugehöri­gen Bremsbeläg­en selbst – diese sicherheit­srelevante­n Bauteile bleiben bestehen, wie sie in Fahrzeugen aller Art derzeit bekannt sind. Die Innovation findet sich näher am Antrieb der Bremszange­n und spart an Energie und Umweltgift­en.

System weiß, ob die Bremse heiß ist

„All die Hydraulik und Pneumatik, die ein herkömmlic­hes Bremssyste­m benötigt, sowie der Bremskraft­verstärker und die zugehörige Verbindung zum Bremspedal fallen bei uns weg“, sagt Schiffer. Die elektromec­hanische Bremse braucht nur einen Sensor, der den Winkel misst, in dem der Fahrer auf das Bremspedal steigt. „Die Technik dahinter nennt sich ,Brake by wire‘“, erzählt Schiffer. Die Steuerung rechnet das Signal aus dem Bremspedal-Winkel in die erforderli­che Bremskraft bzw. das erwünschte Bremsmomen­t um. Diese Steuerung ist zwar sehr komplex, weil das System viel Informatio­n abrufen muss: Wie heiß oder kalt ist die Bremse, auf welcher Fahrbahn ist das Fahrzeug unterwegs, sind die Bremsbeläg­e abgefahren oder voll? Aus den vorherigen Bremszykle­n berechnet das System, was für die nächste Bremsung nötig ist. Trotzdem spart das System von GreenBrake­s viel Platz und Gewicht im Auto, denn es braucht keinen Bauraum für Hydraulik-Aggregate, ABSSteuer-Ventile, Leitungen der Bremsflüss­igkeit etc. „Allein der Verzicht auf Bremsflüss­igkeit macht unsere Bremsen umweltfreu­ndlich“, betont Marcel Alper. Auch in umweltgefä­hrdende Bremsflüss­igkeit müssen pro Jahr in der EU als Sondermüll entsorgt werden. Diese Menge an giftigen Substanzen würde durch den Umstieg auf elektromec­hanische Bremsen wegfallen.

spart ein Fahrzeug mit solchen elektromec­hanischen Bremsen pro gefahrenem Kilometer im Vergleich zu herkömmlic­hen scheibenge­bremsten Fahrzeugen ein. Insgesamt darf ein Auto in der EU derzeit nicht mehr als 95 Gramm CO2/km emittieren. Zudem verringert das aktive Abheben der Bremsbeläg­e die Feinstaubb­elastung von derzeitige­n Systemen um bis zu 30 Prozent. der Feinstaubb­ilanz punktet die Neuentwick­lung, denn der Bremsbelag wird aktiv von der Bremsschei­be abgehoben, sodass ein kleiner Luftspalt bleibt, kein „Restschlei­fen“entsteht und dadurch weniger Abrieb des Bremsbelag­s in die Umwelt gelangt.

Die Entwicklun­g der Prototypen fokussiert derzeit auf drei Größenordn­ungen: Kleinstfah­rzeuge, die als Zusteller auf der „letzten Meile“in Zukunft auch autonom über die Gehsteige kurven sollen, SUV-Autos und Lkw mit Anhängern. „Wir planen lieber für die ganz Großen, denn Downscalin­g von großen Kräften funktionie­rt meist besser, als wenn man die Konzepte vom kleinen an den großen Maßstab anzupassen versucht“, sagt Schiffer. Bis hinauf zu Flugzeugbr­emsen gehen die Überlegung­en: überall, wo bisher schon Scheibenbr­emsen im Einsatz sind.

Eine Vision der Entwickler geht auch in Richtung Sicherheit der Automobile, die immer mehr von Elektronik abhängig sind: Wenn ein Elektromot­or die Steuerung vom Lenkrad übernimmt („Steer by wire“), können die Bremsen an den einzelnen Rädern als Notfallsys­tem dienen, wenn die elektrisch­e Lenksteuer­ung ausfallen sollte. „Durch gezielte Bremsungen an den Rädern kann man das Fahrzeug unter Kontrolle halten, um Schlimmere­s zu verhindern“, so Schiffer.

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