Stellt die Saliera auf den Tisch!
Vor 450 Jahren starb Benvenuto Cellini. Sein goldenes Salzgefäß diente dem höfischen Bankett als kostbares Artefakt, es war Teil eines Gesamtkunstwerks, von Musik umschmeichelt, von edlen Speisen begleitet – und es lud zum Spielen ein.
Natürlich braucht man keinen besonderen Anlass, um von der Saliera zu erzählen, aber nachdem alle Vorhänge geschlossen bleiben und die Tore so lange gesperrt waren, kommt mir der 450. Todestag ihres Schöpfers gerade recht. Unser Radius hat sich schon so verkleinert, dass nichts anderes zu tun bleibt, als es den alten Forschern gleichzutun, die mithilfe geschliffener Gläser, ganz ohne sich selbst zu bewegen, zu den scheinbar verborgenen Schätzen ihrer Umgebung vorgedrungen sind. Deshalb: Benvenuto Cellini, der vor 450 Jahren, am 13. Februar 1571, in seiner Heimatstadt Florenz starb, und das Prunkstück der Kunstkammer, das alle Unbilden seiner abenteuerlichen Existenz bisher mit ungetrübter Heiterkeit überstanden hat. Wenngleich . . .
Im Gegensatz zum Eindruck, den sein chef d’oeuvre erweckt, war Cellini bekanntermaßen gefährlich explosiv. Ja, sogar mit dem Soldatenberuf kokettierte er, wie wir aus seiner abenteuerlichen Autobiografie erfahren, und er selbst hatte die Plünderung Roms durch Karl V. und seine Soldateska im Jahr 1527 mit einigem Erfolg als Bombardier an den Kanonen der Engelsburg aufseiten des Papstes überstanden. Für stille Einkehr war in diesem Leben also nicht viel freie Zeit, es sei denn in den Monaten der Kerkerhaft. Wofür – so fragt man sich unweigerlich bei diesen Räubergeschichten – brauchte irgendjemand just in dieser Zeit ein solches Salzfass? Noch dazu, wo ringsum die Welt in Krieg und Elend versank, regelmäßige Pestwellen die Städte entvölkerten und unzählige Menschen in Armut und Hunger starben.
Gerade damals jedoch, so Georges Duby, als ein Sommer ohne marodierende Kriegsbanden als ein Geschenk des Himmels galt, kultivierten die Fürsten Europas ihren höfischen Traum von einer zauberhaften Kunstwelt, die für die Zeit des Innehaltens alles vergessen und ungeschehen machte. Und vielleicht ist ja die kleine goldene Skulptur, die Cellini zwischen 1540 und 1543 für den französischen König Francois¸ I. schuf, eine der letzten Ausformungen dieses Traums inmitten des andauernden Schlachtengetümmels, bei dem man sich angesichts eines makellosen Werkes doch noch der von Gott gesetzten Ordnung versichern konnte. Sie ist auch nicht das einzige Objekt dieser Art, ein wahrer Wettkampf um die erlesensten Kompositionen hatte eben erst begonnen. Und fast alle dieser Artefakte dienten zugleich einer Funktion: Sei’s bei der Andacht, wie die mit Edelstein gefassten Reliquiare oder die kleine flämische Betnuss, an deren Altarbildern ihr unbekannter Meister 18 Jahre lang geschnitzt hatte, oder aber – und das ist die weltzugewandte Seite dieser Kunst – sie begleiteten die Tafel ihrer Auftraggeber, als Schaustücke, Werkzeuge oder Klangkunst.
Ganz ohne Auftrag, wie symbolisch auch immer, war keines unter ihnen – in Holz und Emaille, Gold und Silber, gewebt mit glänzenden Fäden, an der Wand und auf dem Boden, der den Tisch umgab. Ganze Heerscharen von Bediensteten waren tagaus, tagein beschäftigt, das Umfeld der gemeinsamen Speisefolgen anzurichten, das dem Auge des Betrachters zu dienen hatte, der natürlich immer auch das Ohr für den ganzheitlichen Genuss bereithielt.
Dafür wurden die ausgefallensten Kompositionen gesucht, dargeboten in der Gesellschaft von Kunstliebhabern und Mäzenen, die ihren teuer erworbenen Schmaus mit Andacht verzehrten, auf Podesten präsentierten und auf ihren Reisen mit sich führten. Der Zug von 18.000 Menschen, der den rastlosen französischen König begleitete, war nicht zum geringsten Teil mit Prunkgeschirren und Kochwerkzeugen bestückt, ebenso wie mit dem großen Instrumentarium der Hofkapelle(n), das für den Alltag der Fürsten von der Frühmesse bis zum nächtlichen Konzert unverzichtbar war. Dem kostbaren Salzfass vergleichbar waren die Prunkcodices der Bußpsalmen von Orlando di Lasso, die Hans Mielich für den Münchner Herzog Albrecht V. anfertigte, der sich zum Konfekt als Krönung der festlichen Speisefolge eine neue Motette seines Komponisten aufführen ließ. Dabei war der finanzielle Aufwand für die Musiker nicht geringer als der für die bildenden Künstler, und manch einer der Auftraggeber ruinierte seine Staatsfinanzen damit für alle Zeiten.
Den Preis für das waghalsigste musikalische Experiment gewann um 1570 aber schließlich der englische Komponist Thomas Tallis mit seiner 40-stimmigen Motette „Spem in alium“, die der Earl of Norfolk in seinem Schloss Arundel in einem eigenen Turm vorführen ließ, um das betörende Zirkulieren des Klangs noch intensiver erleben zu können. Um diese Zeit scheint auch die Saliera wieder auf, die gerade dem Einschmelzen für die Kriegskasse Charles IX. entgangen war. Purer Zufall mag es gewesen sein, dass dieser sich entschloss, sie neben anderen Preziosen seinem Prokurator in Heiratsangelegenheiten, Ferdinand II. von Tirol, zu übergeben, dessen bürgerliche Gemahlin, Philippine Welser, Familie und Bekannte mit kulinarischer Meisterschaft eroberte.
Das goldene Salzfass nun ist zwar aus fester Materie, doch keineswegs so kontemplativ, wie ihre Verwahrung hinter Glas vermuten ließe. Sie ist sogar sehr präsent im Hier und Jetzt, ihr Meer ist aufgewühlt, die abgebildeten Personen wirken lebendig, sind voller Symbole und Zuschreibungen, auch wenn die beiden Protagonisten, Neptun (als Symbol für das salzhaltige Meer) und Kybele (als Verkörperung der Erde), mit sinnlich aufgeladener Nonchalance über allem ruhen. Nobile sprezzatura, würde Castiglione dazu angemerkt haben, denn ihre Haltung ist ungezwungen, ruhig, doch nicht fern, aufmerksam, aber nicht bemüht. Und der Rhythmus, der in diesem Oval zirkuliert, ist von auffallender Regelmäßigkeit. Dabei dürfen die beiden Protagonisten ruhen, ihre Umgebung allerdings nicht, sie ist als Zentrum der fürstlichen Tafel gedacht, an der sich die beteiligten Personen in eben dem Rhythmus von Zuwendung und Zurückhaltung choreografisch einzufügen hatten. Dass in ihrem Fuß zudem acht Kugeln eingelassen sind, die zum Vergnügen ihres Schöpfers das Salzfass von einem Ende des Tisches zum anderen rollen konnten, war nur der
Beginn einer solchen Mode von Tischautomaten, die sich rasch über den Kontinent verbreitete.
Und Benvenuto Cellini, der zunächst als Musiker ausgebildet worden war, hatte nicht nur Erfahrung als Zuschauer bei diesen hochherrschaftlichen Banketten, sondern wirkte selbst als Cornettist (Zink spielend) bei einer Tafelmusik für den neu ernannten Medici-Papst, Clemens VII., am 15. August 1523 im Ensemble mit. Die Musiker unter Giangiacomo da Cesena probten eine Woche lang täglich zwei Stunden, um „mehrere sehr schöne Motetten“vorzutragen und konnten damit den Gastgeber offenbar überzeugen, denn Clemens nahm den jungen Mann in seine Dienste.
Wir wissen nicht, welche Motetten gespielt wurden, doch die Form war prädestiniert, um Aufbauten aus Gold und Silber oder Skulpturen aus Zucker, für die Bernini später Entwürfe anfertigte, zu begleiten. Sie bot die notwendige Freiheit in der Gestaltung nicht nur für den Komponisten, sondern auch für die Musiker, und wenn Sänger zur Verfügung standen, konnten die Tafelgäste sich dadurch gleich der schönen Literatur zuwenden. Oftmals stammten die Verse von den Speisenden selbst, darunter auch von Franz I., dessen Gedichte nun – 15 Jahre später – allerdings nicht mehr als „italienische“Motetten, sondern als französische Chansons vertont wurden, am liebsten durch den Hofkomponisten Claudin de Sermisy, wie die berühmte vierstimmige „Bien heureuse“nach Petrarca. Im Prolog zum IV.
Buch des „Gargantua“schildert uns Rabelais, unter demselben königlichen Schutz, wie die Reihe der prominenten „Musici“, die er namentlich aufzählt, „in einem geheimen Lustgärtlein unter grünen Lauben, vor einem Wall von Flaschen, Schunken, Pasteten und diversen schmucken Schopflerchlein anmuthiglich im Chorus singen“.
Dabei handelte es sich allerdings eher um die intimen Dˆıners unter Mitgliedern des Hofes, die zu jedem Gang an musikalischen oder szenischen Darbietungen, an Poesie und Spiel sowie an Danseries teilnahmen, gespielt aus den ersten Musikdrucken von Pierre Attaignant. Und gern verfolgte man die solistischen Vorführungen auf der Laute zwischen einzelnen Speisetrachten mit und ohne Sängern, zuweilen durch größere Ensembles von Flöten oder Gamben, vor den von Franz I. so sehr geschätzten Bals masques,´ die Primaticcio, der Nachfolger da Vincis als Generalintendant, penibel plante. Das Protokoll bei Festbanketten zu Ehren familiärer Ereignisse wie Geburt, Taufe und Hochzeiten – oder dasjenige bei politischen Zusammenkünften, bei denen die Geschehnisse rund um die festliche Tafel rasch durch besondere Druckwerke weitergetragen wurden, war ungleich strenger. Clarini (Fanfaren) verkündeten die festlichen Einzüge von Personen ebenso wie aufgetragene Speisen oder symbolische Schaubilder, jede Bewegung während eines solchen oft mehrtägigen Festes wurde daher in altehrwürdigen Regularien festgehalten (darunter auch die Goldene Bulle Karls IV.).
Völlig verständlich also, dass der Wettkampf um den schönsten Tafelschmuck Kulinarisches auch betraf, und damit den Superstars unter den Köchen galt. Unter ihnen war der vatikanische Bibliothekar, Bartolomeo Scappi (Sacchi), genannt Platina Cremonensis, dessen Kochbuch, „De honesta voluptate et valetudine“, 1474 erstmals gedruckt, der berühmteste. Das Werk wurde bereits zu seinen Lebzeiten in zahlreichen Auflagen und Übersetzungen verbreitet. Die Leser erfreuten sich nicht nur an dessen fabelhaften Berichten über die Herkunft von Früchten und Tieren (nach Herodot), sondern besonders an der entsprechenden Zurichtung von Kranichen und Pfauen („die man auf den Tisch bringen möge, als lebten sie“) und von Pasteten und in Zucker gesponnenen Früchten, die man zu solchen Anlässen servierte.
Inzwischen sind die Kompositionen ebenso verklungen wie die kostbaren Düfte von Zimt und Pfeffer in der Farce des ausgestopften Pfaus, nur die Saliera überstand alles Ungemach ihrer erwünschten und unerwünschten Ausflüge der vergangenen 478 Jahre bisher, wenn auch von allem Zeremoniell entbunden. Francois¸ wird sie selbst nicht sehr oft zum Rollen gebracht haben, nachdem er statt ihrer sein verschließbares Tafelschiff, le nef du roi, mit Besteck und Salz verwenden musste, das zuvor allen Prüfungen gegen Vergiftungen und anderes Ungemach standgehalten hatte, trotzdem begleitete das Salzfass Cellinis zumeist nur Friedensschlüsse, die Kriege dieser Zeit wurden außerhalb der Tafel geführt.
Eike Rathgeber, Musikwissenschaftlerin in Wien, zuletzt tätig bei der Schriftenausgabe im Arnold Schönberg Center. Befasst mit einem kleinen Projekt zur Tafelmusik und einer großen Leidenschaft fürs Kochen.
Im Gegensatz zum Eindruck, den sein chef
d’oeuvre erweckt, war Cellini gefährlich explosiv. Er kokettierte sogar mit dem Soldatenberuf.