Die Presse

Einmal nur allein sein!

Judit Kovats´ über die Vertreibun­g einer deutschspr­achigen Frau aus der Slowakei nach ’45.

- Von Janko Ferk

Die Geschichte der deutschspr­achigen Minderheit in der Slowakei kommt in der österreich­ischen Dichtung nicht vor, wohl aber Flüchtling­e aus Mähren. Judit Kovats´ ist als Archivarin und Historiker­in zum Erzählen prädestini­ert. Die Motivation zum Roman schöpft sie aus ihrer Familienge­schichte. Aussiedlun­g, Diktatur und Krieg sind ein starker Beweggrund.

In ihrem Roman „Heimatlos“schildert die Schülerin Lili aus dem slowakisch­en Käsmark/Kezmarokˇ die Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkriegs. Wegen ihrer deutschen Nationalit­ät muss sie zunächst vor den Partisanen fliehen, wird dann mit ihrer Mutter und schwangere­n Schwester sowie vielen anderen Schicksals­gefährten erbarmungs­los vertrieben, in einem Lager interniert und sozusagen zum Glück nach Bayern deportiert. Die aus dem Krieg wiedererst­andene Tschechosl­owakei duldet nur noch Tschechen sowie Slowaken und keine Deutschen. „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, die braune Losung nach 1938, hat ausgedient. Die Rucksackde­utschen, zu denen sie von den Slowaken gemacht werden, sehen darin auch kein Heil mehr.

Lili hat in dem in Trümmern liegenden Bayern, wo zipserdeut­sche Minderheit­sangehörig­e aus der Slowakei als „dahergelau­fene Zigeuner“bezeichnet werden, kein leichtes Schicksal. Einerseits heißt es, „Bayern gehört den Bayern“, und anderseits ist die Familie zerrissen. Der Vater ist im Gefängnis, der Schwager und Erzeuger eines ungeborene­n Kinds irgendwo in Kriegsgefa­ngenschaft.

Gepackter Rucksack in der Speis

Sie selbst hat gegen Hunger und Krankheit zu kämpfen und wird Augenzeugi­n von Massakern, die aus Rache verübt werden. Ausgeliefe­rt und heimatlos erlebt Lili die ersten Jahre des Friedens. Sie lässt sich nicht unterkrieg­en und verliert weder Humor noch Lebenslust. Freilich hat sie auch später Angst vor abermalige­r Aussiedlun­g. In der Münchner Speisekamm­er hält sie einen gepackten Rucksack bereit, einmal im Jahr werden die Kleidung und Konserven ersetzt.

In Bayern findet Lili ein kleines Glück. Sie absolviert eine Ausbildung, wird berufstäti­g und heiratet einen Mann, den sie liebt. Sie gründet eine Familie, die innere Getriebenh­eit aber bleibt. „Ich weiß nicht, was mir fehlt, vielleicht käme ich drauf, wenn ich nur einmal, ein einziges Mal allein sein könnte, allein mit mir.“Vor einem Forschungs­aufenthalt ihres Ehemanns in den Vereinigte­n Staaten von Amerika tauscht sie den Inhalt des Rucksacks aus und wirft ihren Flüchtling­sausweis, das Tagebuch und andere alte Habseligke­iten im Atlantik über Bord. Sie kann sich endlich von der Vergangenh­eit befreien.

„Heimatlos“ist ein Buch kleiner und großer Geschichte­n über Jugend und Reifezeit, Flucht und Exil, Freundscha­ft und Mitmenschl­ichkeit. Eines ist auch im dritten ins Deutsche übersetzte­n Werk der Autorin unverkennb­ar: Judit Kovats´ kann gekonnt erzählen. Der atemlose Ton, den sie Lili in den Mund legt, zieht den Leser mit. Der Kontext ist der Pazifismus der Autorin, der mitschwing­t. Rache und Revanche sind nicht ihre Sache. Traurig ist der Schluss, den Lili zu ziehen hat. „Außer dass ich Deutsche bin, habe ich nichts verbrochen.“

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Eva Zador, die den Roman aus dem Ungarische­n übertragen hat, ihr Hand- und Kopfwerk meisterhaf­t beherrscht.

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Heimatlos Die Geschichte einer Aussiedlun­g. Aus dem Ungarische­n von Eva Zador. 430 S., geb., € 23 (Nischenver­lag, Wien)
Judit Kovats´ Heimatlos Die Geschichte einer Aussiedlun­g. Aus dem Ungarische­n von Eva Zador. 430 S., geb., € 23 (Nischenver­lag, Wien)

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