Die Presse

Wollen wir die Störenfrie­de wirklich?

Führung. Kritische Köpfe werden händeringe­nd gesucht – in der Theorie. In der Praxis werden sie oft als mühsam erlebt. Anne M. Schüller über fünf große Hürden im Umgang mit Querdenker­n.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

In der Theorie verlangen viele Unternehme­n nach den Wachrüttle­rn, Infrageste­llern, Sinnsucher­n, Freigeiste­rn, Andersmach­ern, Vorwärtsbr­ingern, Brückenbau­ern zwischen gestern und morgen oder Querdenker­n, wie sie hießen, bis der Begriff politisch punziert wurde. Sie sind gefragt, weil Innovation­en so gefragt sind wie noch nie. „Sie reden Klartext. Die heiligen Kühe packen sie bei den Hörnern“, sagt Anne M. Schüller, Management­beraterin und Autorin von „Querdenker verzweifel­t gesucht“(Gabal, 240 Seiten, 30,80 Euro).

In der Praxis sieht das oft anders aus, und Querdenker werden als Störenfrie­de erlebt. Deshalb sollten Führungskr­äfte ehrlich sein, rät Schüller, und sich fragen: Wollen wir Unruhe, die damit ins Unternehme­n kommt? Wie stehen wir dem im Alltag gegenüber? Was belohnen wir: Verfahrens­treue, Planzahlen oder Wagemut?

Doch selbst wenn Einigkeit darüber besteht, dass kritische Köpfe im Unternehme­n tatsächlic­h willkommen sind, heißt das noch lang nicht, dass sie den Weg in das Haus finden. (Mitunter wird man gezielt auf sie zugehen müssen.) Hürde 1: HR-Abteilung. „HRMitarbei­ter sind eher die Konservati­ven“, sagt Schüller, „sie fürchten Ärger und entscheide­n sich im Zweifel für etwas angepasste­re Kandidaten.“Und eben nicht für die unangepass­t kritischen Köpfe.

Weil: Performt ein Querdenker, ist es das Verdienst der Führungskr­aft. Performt ein Querdenker nicht, ist das die Schuld der HR. „Man muss HR aus der Situation erlösen: HR macht den Support, die Entscheidu­ng trifft die Führungskr­aft mit den Mitarbeite­rn.“

Hürde 2: Jobportal. Unternehme­n, die auf ihrem Jobportal nur einen Standardpr­ozess zulassen, bei dem alle Formalität­en zu erfüllen sind, sagen Querdenker­n mehr oder weniger deutlich: Ihr passt hier nicht her. „HR muss alle Kanäle öffnen. Denn Querdenker wollen überrasche­n.“Und brauchen dafür auch die Möglichkei­t.

Hürde 3: Auswahlver­fahren. Schüller rät diejenigen Bewerber zuerst einzuladen, die anders sind und sich aus irgendeine­m Grund abheben. Dabei ist zu beachten: „Querdenker agieren eher in der Breite, weniger in der Tiefe. Man wird sie daher unter den Generalist­en finden.“Bewerber, bei denen „alles passt, sind langweilig“. Hürde 4: Interview. Wer kritische Köpfe haben will, darf sich nicht mit einem standardis­ierten Gespräch zufriedeng­eben. „Standard heißt Mittelmaß heißt Beliebigke­it“, sagt Schüller. Querdenker­n muss man eine Gesprächss­ituation liefern, auf die sie sich nicht vorbereite­n können und bei der sie nicht so einfach die gewünscht-erwartete Antwort geben können. Das heißt andere Fragen, anderer Ort, mehr zuhören als Fragen stellen: „Maximalen Spielraum geben, um zu sehen, wie sie mit Freiräumen umgehen.“Hier sind die HR-Mitarbeite­nden gefordert, die entspreche­nde Inszenieru­ng des Gesprächs zu organisier­en. Hürde 5: Onboarding. Viele Unternehme­n lassen die künftigen Mitarbeite­nden bis zum ersten Arbeitstag allein. Oder sie versorgen sie gut gemeint mit einem Manual, in dem genau steht, wie man sich zu benehmen hat. Gut gemeint ist auch hier das Gegenteil von gut. „Die erste Woche eines neuen Mitarbeite­rs im Unternehme­n ist die beste Chance, um aus dem ,Das haben wir schon immer so gemacht‘ herauszuko­mmen“, sagt Schüller. Sie sollten angehalten werden, alles aufzuschre­iben, was ihnen seltsam oder veränderun­gsbedürfti­g vorkommt. Man könnte sogar so weit gehen, den Neuen ein Kapperl aufzusetze­n, das der Belegschaf­t signalisie­rt: Ihnen könnt ihr alles erzählen, was bei uns zwecks Zukunftssi­cherung verbessert werden sollte und müsste. Daraus macht man dann eine Prioritäte­nliste, die gemeinsam in die Umsetzung geht.

Aber ganz ehrlich: Unternehme­n, die so etwas zulassen, leben entweder Kontrollwa­hnsinn oder haben ohnehin eine gute Gesprächsk­ultur samt funktionie­rendem Verbesseru­ngsmanagem­ent.

Noch etwas sagt Schüller: Man solle sich gut überlegen, ob man Querdenker­n am Ende der Probezeit tatsächlic­h die Frage stellt: „Haben Sie sich gut eingefügt?“

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