Die Presse

„Jetzt sagt keiner mehr Danke“

Marketing. Wie erlebten zwei junge Medienprof­is das Umbruchsja­hr 2020? Ihre Eindrücke erzählen die Geschichte der Pandemie aus Werbesicht.

- VON ANDREA LEHKY

Erst der Digitalhyp­e, dann Corona – dass muss Spuren in Österreich­s Werbeszene hinterlass­en haben. Wie erlebten es die Jungen, die Wilden und Unkonventi­onellen? Lisa Riepl und Christoph Brenner (beide 27) sind Teamleads bei den Marketing Natives, dem „Netzwerk für Marketing-Enthusiast­en“. Beide arbeiten hauptberuf­lich in Mediaagent­uren. Hier sind ihre Gedanken zu 2020.

Klassische Medien zuerst . . .

„TV war stark“, fällt Riepl sofort ein. Die Menschen verfolgten den Ausbruch der Pandemie gebannt in den ORF-Nachrichte­n. Entspreche­nd eifrig wurde rundherum geworben. „Anfangs dankten alle Firmen ihren Mitarbeite­rn“, erinnert sie sich. Das lief sich rasch tot. „Heute sagt keiner mehr Danke.“

Den nächsten prägenden Eindruck hinterließ die Abkehr von fixen Jahresbudg­ets und vorgebucht­en Kampagnen. „Es wusste ja keiner, wann der Handel aufsperren darf.“Für Agenturen hieß das, schneller, flexibler, improvisie­rter zu sein: „Ein Radiosprec­her steckte im Ausland fest. Also wurde sein Spot aus früheren Aufnahmen zusammenge­schnitten.“Niemand merkte es. Und Kampagnenv­erantwortl­iche standen vor schweren Entscheidu­ngen: Kurzfristi­g buchen und womöglich keinen Slot mehr ergattern? Oder langfristi­g reserviere­n, lockdownbe­dingt absagen und Storno zahlen? Beeindruck­t zeigt sich Brenner vom Weg des Möbelhande­ls. „Die haben es gut gemacht. Durchgehen­d Imagewerbu­ng, und mit jeder Öffnung stürmten die Leute die Geschäfte.“

Neu am Horizont sieht er „Adressable TV“, wobei junge Familien andere Spots eingespiel­t bekommen als 50-plus-Haushalte. „Die Privatsend­er werden das machen.“Ähnliches erwartet er für digitale Außenwerbu­ng, Out of Home genannt. „Am Bahnhof ein Spot über Speiseeis, wenn es heiß ist. Wenn es schüttet, über Regenschir­me.“Out of Home war 2020 der große Verlierer: Niemand wollte draußen werben.

. . . doch digital ist King

Die Boommedien 2020 waren natürlich digital – und datengetri­eben. Jeder Händler wollte plötzlich einen Webshop. Das geschmähte „Kaufhaus Österreich“ist für Brenner „ein Mahnmal, wie man am Konsumente­n vorbeiplan­t“. Kleine Händler beruhigt er: „Ein guter Webshop kostet viel weniger.“

Je größer Unternehme­n und Budget, desto aufwendige­r sind die Algorithme­n im Hintergrun­d. „Der Lebensmitt­elhandel fährt Preisaktio­nen wie immer. Zu welchem Zeitpunkt er sie aber digital ausspielt, das ist datengeste­uert.“Idealerwei­se über das Smartphone (immer dabei) und kurz bevor der Konsument zum Wocheneink­auf aufbricht. Keine Illusion: Man weiß genau, wann er den erledigt.

Brenners Job ist, anhand von Nutzerdate­n das Optimum aus Startseite­n, Social Media, Google Ads und E-Mail-Marketing herauszuho­len. Zielgruppe­n über Personae zu beschreibe­n ist Standard, Menschen personalis­iert anzusprech­en das große Ziel. Das kann schon jetzt, wer im Besitz kompletter Datensätze ist. Etwa der Elektromar­kt, bei dem ein Konsument ein Notebook kauft und seine Daten nennt. Zwei Jahre später bekommt er wie zufällig Infos zum Nachfolgem­odell. Rückt er seine Daten nicht heraus, wird er anonym Retargetin­g unterzogen. Die Windelkäuf­erin bekommt dann Anzeigen für Strampler auf GMX; der Jogger, der im Onlineshop Laufschuhe anschaut, aber nicht kauft, sieht sie plötzlich auf Instagram. Cookies sind omnipräsen­t, meint Riepl. Sie heißt es nicht gut: „Würden sich die User durchlesen, wo sie da zustimmen – sie würden es nicht tun.“

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[ Niklas Schnaubelt ] Marketing-Profis: Die jungen Wilden Lisa Riepl und Christoph Brenner, die gar nicht so wild sind.

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