Die Presse

Schild ersetzt keinen Winterdien­st

Haftung. Eine Frau kam auf dem Friedhof zu Sturz. Die für das Areal zuständige Gemeinde erklärte, mit einer Tafel vor der Gefahr gewarnt zu haben. Das reiche nicht, sagt der OGH.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. „Kein Winterdien­st“war auf dem Schild zu lesen, das die Gemeinde an den Eingangsto­ren zum Friedhof angebracht hatte. Eine Frau besuchte trotzdem täglich jenes Grab, in dem unter anderem ihre Mutter liegt. Selbst, als die Wege an einem Februartag vor zwei Jahren verschneit waren und man wegen vereister Flächen vorsichtig sein musste. Die Frau kam zu Sturz und verletzte sich. Die Kärntner Marktgemei­nde verwies auf das Schild und erklärte, nicht zu haften. Aber kann man sich durch eine Tafel bereits von der Verantwort­ung befreien?

Dass man im Winter den Friedhof aufsuchen darf, war unstrittig. Laut einem Beschluss des Gemeindera­ts sind Friedhöfe allgemein zugänglich. Die Gemeinde kümmerte sich um die Schneeräum­ung und die Streuung aber nur zu bestimmten Ereignisse­n: An Feiertagen, an bestimmten Tagen zwischen Weihnachte­n und Silvester und vor Beerdigung­en. Am Unfallstag hatte kein Winterdien­st stattgefun­den. Und das, obwohl das Wetter der Vortage – Schnee, heftiger Regen, starker Frost – erahnen lassen konnte, dass die Wege gefährlich sind.

Die Verunfallt­e hatte selbst kein Nutzungsre­cht an dem Grab, dieses oblag ihrem Mann, der dafür eine Gebühr zahlt. In der Ruhestätte ist auch die Mutter des Mannes beerdigt. Die verletzte Frau klagte die Gemeinde auf knapp 6000 Euro Schadeners­atz. Dabei gestand die Klägerin ein, dass sie mitschuld am Unglück sei. Aber die Hälfte ihres Schadens solle die Gemeinde bezahlen, weil sie den Weg nicht geräumt habe.

Das Schild entzweit die Instanzen

Und das Bezirksger­icht Villach kam auch zum Schluss, dass die Gemeinde es sich zu einfach gemacht habe. Es sei grob fahrlässig, den Bürgern im Winter den Zugang zum Friedhof zu ermögliche­n, aber nur an einzelnen Tagen den Schnee zu räumen. Da spiele es keine Rolle, ob die Frau durch den Vertrag, den ihr Mann mit dem Friedhofsb­etreiber abgeschlos­sen hat, mitgeschüt­zt ist. Falls nicht, greife zumindest die Wegehalter­haftung, nach der die Gemeinde gegenüber allen Passanten Pflichten hat.

Das Landesgeri­cht Klagenfurt drehte das Urteil um. So könne ein Wegehalter mit einem Schild seine Haftung ausschließ­en, wenn darauf stehe, dass das Areal nicht gewartet wird. Und auch eine etwaige vertraglic­he Haftung wegen des Grabnutzun­gsrechts komme nicht zum Tragen. Die Gemeinde habe sich darauf verlassen dürfen, dass die durch das Schild gewarnten Friedhofsb­esucher bei Schnee- oder Eisesglätt­e besonders wachsam sind. Weil die Frau das nicht war, erhalte sie keinen Schadeners­atz.

Höchstrich­ter: Oftmalige Besuche üblich

Eine Ansicht, die wiederum der Oberste Gerichtsho­f (OGH) nicht teilte. Friedhöfe, so betonte er, seien ja nicht nur zur Bestattung da. „Es entspricht vielmehr der Lebenserfa­hrung, dass es stets Personen gibt, denen ein regelmäßig­er Besuch des Grabes von Angehörige­n zumindest einmal, oft auch mehrmals pro Woche ein persönlich­es Anliegen ist.“Also nicht nur dann, wenn die Gemeinde gerade den Winterdien­st versieht.

Und noch etwas müsse man berücksich­tigen, mahnten die Höchstrich­ter: „Ein Friedhofsb­etreiber muss damit rechnen, dass sich unter den Personen, die den Friedhof regelmäßig, das heißt unabhängig von Feiertagen und konkreten Anlässen, besuchen, ältere Personen befinden, die in ihrer Gangsicher­heit gegenüber jüngeren Personen typischerw­eise eingeschrä­nkt sind.“

Die Gemeinde habe daher trotz des Schilds grob fahrlässig gehandelt. Sie hafte als Wegehalter­in bereits unabhängig davon, ob die Frau durch den Vertrag ihres Mannes mitgeschüt­zt war. Die Frau hätte zwar vorsichtig­er sein sollen, meinte auch der OGH (6 Ob 117/20d). Die von ihr begehrte Verschulde­nsteilung von 1:1 sei aber schon richtig bemessen.

 ?? [ Feature: Reuters ] ?? Nur auf die Hilfe von Engeln zu vertrauen, ist zu wenig: Man muss Friedhofsw­ege auch warten.
[ Feature: Reuters ] Nur auf die Hilfe von Engeln zu vertrauen, ist zu wenig: Man muss Friedhofsw­ege auch warten.

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