Schild ersetzt keinen Winterdienst
Haftung. Eine Frau kam auf dem Friedhof zu Sturz. Die für das Areal zuständige Gemeinde erklärte, mit einer Tafel vor der Gefahr gewarnt zu haben. Das reiche nicht, sagt der OGH.
Wien. „Kein Winterdienst“war auf dem Schild zu lesen, das die Gemeinde an den Eingangstoren zum Friedhof angebracht hatte. Eine Frau besuchte trotzdem täglich jenes Grab, in dem unter anderem ihre Mutter liegt. Selbst, als die Wege an einem Februartag vor zwei Jahren verschneit waren und man wegen vereister Flächen vorsichtig sein musste. Die Frau kam zu Sturz und verletzte sich. Die Kärntner Marktgemeinde verwies auf das Schild und erklärte, nicht zu haften. Aber kann man sich durch eine Tafel bereits von der Verantwortung befreien?
Dass man im Winter den Friedhof aufsuchen darf, war unstrittig. Laut einem Beschluss des Gemeinderats sind Friedhöfe allgemein zugänglich. Die Gemeinde kümmerte sich um die Schneeräumung und die Streuung aber nur zu bestimmten Ereignissen: An Feiertagen, an bestimmten Tagen zwischen Weihnachten und Silvester und vor Beerdigungen. Am Unfallstag hatte kein Winterdienst stattgefunden. Und das, obwohl das Wetter der Vortage – Schnee, heftiger Regen, starker Frost – erahnen lassen konnte, dass die Wege gefährlich sind.
Die Verunfallte hatte selbst kein Nutzungsrecht an dem Grab, dieses oblag ihrem Mann, der dafür eine Gebühr zahlt. In der Ruhestätte ist auch die Mutter des Mannes beerdigt. Die verletzte Frau klagte die Gemeinde auf knapp 6000 Euro Schadenersatz. Dabei gestand die Klägerin ein, dass sie mitschuld am Unglück sei. Aber die Hälfte ihres Schadens solle die Gemeinde bezahlen, weil sie den Weg nicht geräumt habe.
Das Schild entzweit die Instanzen
Und das Bezirksgericht Villach kam auch zum Schluss, dass die Gemeinde es sich zu einfach gemacht habe. Es sei grob fahrlässig, den Bürgern im Winter den Zugang zum Friedhof zu ermöglichen, aber nur an einzelnen Tagen den Schnee zu räumen. Da spiele es keine Rolle, ob die Frau durch den Vertrag, den ihr Mann mit dem Friedhofsbetreiber abgeschlossen hat, mitgeschützt ist. Falls nicht, greife zumindest die Wegehalterhaftung, nach der die Gemeinde gegenüber allen Passanten Pflichten hat.
Das Landesgericht Klagenfurt drehte das Urteil um. So könne ein Wegehalter mit einem Schild seine Haftung ausschließen, wenn darauf stehe, dass das Areal nicht gewartet wird. Und auch eine etwaige vertragliche Haftung wegen des Grabnutzungsrechts komme nicht zum Tragen. Die Gemeinde habe sich darauf verlassen dürfen, dass die durch das Schild gewarnten Friedhofsbesucher bei Schnee- oder Eisesglätte besonders wachsam sind. Weil die Frau das nicht war, erhalte sie keinen Schadenersatz.
Höchstrichter: Oftmalige Besuche üblich
Eine Ansicht, die wiederum der Oberste Gerichtshof (OGH) nicht teilte. Friedhöfe, so betonte er, seien ja nicht nur zur Bestattung da. „Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, dass es stets Personen gibt, denen ein regelmäßiger Besuch des Grabes von Angehörigen zumindest einmal, oft auch mehrmals pro Woche ein persönliches Anliegen ist.“Also nicht nur dann, wenn die Gemeinde gerade den Winterdienst versieht.
Und noch etwas müsse man berücksichtigen, mahnten die Höchstrichter: „Ein Friedhofsbetreiber muss damit rechnen, dass sich unter den Personen, die den Friedhof regelmäßig, das heißt unabhängig von Feiertagen und konkreten Anlässen, besuchen, ältere Personen befinden, die in ihrer Gangsicherheit gegenüber jüngeren Personen typischerweise eingeschränkt sind.“
Die Gemeinde habe daher trotz des Schilds grob fahrlässig gehandelt. Sie hafte als Wegehalterin bereits unabhängig davon, ob die Frau durch den Vertrag ihres Mannes mitgeschützt war. Die Frau hätte zwar vorsichtiger sein sollen, meinte auch der OGH (6 Ob 117/20d). Die von ihr begehrte Verschuldensteilung von 1:1 sei aber schon richtig bemessen.